Erst feiert Frankreichs Staatschef Macron euphorisch die Fussball-Weltmeister. Dann bricht ein Sturm der Entrüstung über seinen mutmasslich gewalttätigen Sicherheitsmitarbeiter herein.

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Frankreich hat sein Sommertheater: Hauptdarsteller sind Staatschef Emmanuel Macron und sein früherer Sicherheitsmitarbeiter Alexandre Benalla. Nach Vorwürfen, am 1. Mai gewaltsam gegen Demonstranten vorgegangen zu sein, musste Benalla seinen Hut nehmen.

Das Aufsehen ist gross. Die Justiz ermittelt, in beiden Parlamentskammern tagen Ermittlungsausschüsse, in sozialen Medien gibt es eine Dauerdebatte. Die Machtzentrale Élyséepalast reagierte spät - viele meinen zu spät.

"Theaterliebhaber Emmanuel Macron sollte wissen, dass das Stück, das er aufführt, ihn nicht gut aussehen lässt", bilanziert die Zeitschrift "Le Point".

Grösste Krise in Macrons bisheriger Präsidentschaft

Manche sprechen von einer Staatsaffäre. Auf jeden Fall sei es die grösste Krise in der Amtszeit des sozialliberalen Staatschefs, meinen Medien. Macron bezeichnet die öffentliche Aufregung um das "Benallagate" hingegen als "Sturm im Wasserglas".

Der 40-Jährige, der im Mai 2017 quasi aus dem Nichts in den Élyséepalast aufgestiegen war, wollte alles anders machen, das öffentliche Leben moralisieren. Die "beispielhafte Republik" war ein Wahlkampfmotto des erklärten Europa- und Deutschlandfreundes gewesen. Nun wird zurückgerudert: Beispielhaft heisse nicht unfehlbar.

Der Aufschrei in den Reihen der Opposition ist gross. Wurde der Vorfall vertuscht? Wurde Benalla geschützt und zu gering bestraft? Innenminister Gérard Collomb erscheint vor zwei Ermittlungsausschüssen; auch der Pariser Polizeipräfekt, der Büroleiter Macrons und der Élysée-Generalsekretär werden befragt.

Die Debatte verliert sich zunehmend in Details: Wer hat Benalla erlaubt, als Beobachter an der Demonstration vom 1. Mai teilzunehmen? Wer kannte ihn, wer duzte ihn, wer schützte ihn möglicherweise? Die Abgeordneten geben aber nicht klein bei: am Dienstag soll über zwei Misstrauensanträge von Oppositionsparteien gegen die Regierung abgestimmt werden.

Der Vorstoss hat allerdings wenig Aussicht auf Erfolg. Denn die Präsidentenpartei La République En Marche und Verbündete haben eine satte Mehrheit in der Volksvertretung.

Ist Macrons Image auf Dauer angekratzt? Aktuelle Umfragen geben bisher keine klare Antwort darauf. Laut Meinungsforschungsinstitut Ipsos sank sein Beliebtheitswert auf den tiefsten Stand seit September 2017. Demnach heisst nur noch ein knappes Drittel der Franzosen sein Regierungshandeln gut.

Das Institut Harris Interactive fand hingegen heraus, dass Macron mit 42 Prozent mehr Vertrauen geniesst als im Monat zuvor.

Macron verhalte sich "wie ein Clan-Chef"

Nach Bekanntwerden der Vorwürfe schwieg der frühere Investmentbanker lange. Dann kam überraschend das Mea Culpa: "Der Verantwortliche, der einzige Verantwortliche, das bin ich und ich allein." Er habe Benalla vertraut, und er habe auch dessen Strafe abgesegnet.

Beide kennen sich schon länger, Benalla hatte Macron im Wahlkampf als Leibwächter begleitet.

Die Erklärung gab der Herr des Élyséepalases bei einem Umtrunk mit Parteifreunden ab. Er habe sich vor seiner "Sekte" geäussert, deren Applaus ihm sicher gewesen sei, kritisierte die konservative Abgeordnete Valérie Boyer beim Sender BFMTV.

Macrons rechtspopulistische Erzgegnerin Marine Le Pen vom Rassemblement National (früher Front National) ergänzte, der Präsident hätte sich an alle Franzosen wenden müssen. "Er verhält sich wie ein Clan-Chef."

Der Pariser Rechtsprofessor Dominique Rousseau meint, dass die Schweigsamkeit wenig hilfreich war. "Falls Emmanuel Macron vom Anfang der Affäre an das gesagt hätte, was er vor den Parlamentariern von La République En Marche erklärt hat, dann hätte es diese mediale Aufregung nicht gegeben", sagte der Verfassungsexperte der Deutschen Presse-Agentur in Paris.

Macron habe "einfache Dinge" gesagt, so der Jurist: "Benalla war sein Leibwächter im Wahlkampf, er war effizient und wurde deshalb später im Élysée eingestellt. Bei der Demonstration vom 1. Mai hat er einen Fehler gemacht - dieser Fehler war, wie Macron gesagt hat, eine Enttäuschung und ein Verrat."

Skandale führten "niemals" zum Rücktritt eines Präsidenten

In der von Charles de Gaulle 1958 gegründeten Fünften Republik habe es unter allen Präsidenten Skandale gegeben, beispielsweise die Versenkung des Greenpeace-Schiffes "Rainbow Warrior" unter François Mitterrand 1985. "Niemals haben diese Skandale zum Rücktritt eines Präsidenten geführt", resümiert Rousseau.

Frankreichs Verfassung schützt den Staatschef - dieser ist vor dem Volk verantwortlich, die Regierung hingegen vor dem Parlament. Wann stellt sich der Präsident der Kontrolle des Volkes? Bei den Wahlen.

"Falls das Volk die Arbeit, die er gemacht hat, schätzt, wird er wiedergewählt. Falls es nicht zufrieden ist, wird der Präsident abgewählt", bilanziert Rousseau. So sei es zuletzt dem Konservativen Nicolas Sarkozy vor sechs Jahren ergangen.  © dpa

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