Sie scheinen unaufhaltbar und schrecken selbst vor grausamsten Massakern nicht zurück: Die Terrormiliz Boko Haram geht mit einer unfassbaren Brutalität gegen ihre Gegner vor und ist offenbar nicht nur an der Islamisierung Nigerias interessiert. Doch was hat es mit dieser Gruppe tatsächlich auf sich?
Ihre Botschaft ist unmissverständlich im Namen angelegt: Boko Haram wird häufig mit "Bücher sind Sünde" oder "Westliche Bildung verboten" übersetzt. Aus mehreren Tausend Milizionären solle die nigerianische Extremistengruppe bestehen, berichtete der Afrika-Reporter Farouk Chothia 2014 der britischen Rundfunkanstalt "BBC". Die Mitglieder selbst sehen sich als "Vereinigung der Sunniten für den Islam und den Dschihad" und trainieren dafür in speziellen Ausbildungslagern.
Boko Haram ist vor allem im muslimischen Norden Nigerias aktiv. Darüber hinaus werden der Gruppe auch Kontakte in den Tschad nachgesagt. Vor allem aber das Nachbarland Kamerun gerät immer häufiger ins Visier der Islamisten, wie ein Anschlag auf die Militärbasis in der Stadt Kolofata gezeigt hat. Nach einem mehrstündigen Gefecht konnten die kamerunischen Streitkräfte den Stützpunkt zurückerobern. Über 140 der schwer bewaffneten Boko-Haram-Kämpfer und ein kamerunischer Soldat seien dabei ums Leben gekommen, erklärte ein Militärsprecher.
Jüngste Gräueltaten: Die Milizen ermordeten innerhalb der letzten zwei Tage fast 150 Menschen. Etwa 100 Gläubige seien am Mittwoch während der Gebetszeit in dem Ort Kukawa ermordet worden, sagte ein örtlicher Parlamentarier am Donnerstag. "Die Angreifer sind zu verschiedenen Moscheen gegangen und haben alle Männer aufgereiht und erschossen", erklärte Mohammed Tahir. Die Täter hätten die Uhrzeit bewusst ausgewählt, um möglichst viele Menschen gleichzeitig töten zu können, fügte er hinzu.
Bei einem anderen Angriff in dem Ort Nusharan seien bereits am Dienstag 48 Männer ermordet worden, so der Politiker. "Die Täter haben alle Männer in dem Dorf zusammengetrieben und erschossen." Rund ein Dutzend Verletzte würden in einem Krankenhaus behandelt.
Tahir sagte, solche Angriffe seien möglich, weil in diesen Regionen kaum Militär stationiert sei. Die Extremisten suchten sich immer öfter Ziele aus, bei denen kaum Widerstand zu erwarten sei.
Widerstandsfähig trotz Rückschlägen
Dass die Islamisten seit Jahren ein immer grösseres Gebiet für sich beanspruchen, hat verschiedene Gründe. Aufgrund einer zellenartigen Organisationsstruktur erhöht sich ihre Widerstandsfähigkeit zusehends. Einzelne Rückschläge wie in Kolofata verkraftet die Miliz ohne grössere Probleme, wie bisherige Auseinandersetzungen gezeigt haben.
Geführt werden die Milizionäre von der Shura, einem Rat aus 20 bis 30 Männern, wobei jedes Ratsmitglied für einen geographisch abgesteckten Bereich zuständig ist. Die offizielle Führungsposition beansprucht jedoch ein Mann für sich allein: Abubakar Shekau.
Glaubt man Shekau, beansprucht Boko Haram nicht nur den Norden, sondern auch das christlich geprägte Süd-Nigeria für sich als Kalifat und will dort die Scharia, das religiöse Gesetz des Islam, einführen. Künftig soll es weder Wahlen noch andere Gesetze neben den islamistischen geben. Bildung, Kleidung und Musik dürfen keine westlichen Elemente mehr enthalten. Für Frauen auch christlichen Glaubens bedeutet das Zwangsverschleierung, für Diebe den Verlust einer Hand.
Mehr als zehntausend Opfer
Wie ernst es Boko Haram meint, davon zeugen zahlreiche Tote und Verschleppte sowie die Verwüstung ganzer Landesteile Nigerias. Seit 2009 kommt es immer wieder zu Anschlägen auf Polizeistationen, Behörden, Kirchen und sogar Schulen. So wurden im vergangenen November frühmorgens in der Stadt Mamado 47 Menschen getötet - die meisten davon Schüler.
Nach einem Überfall auf einen kamerunischen, grenznahen Militärstützpunkt Ende Dezember gelang es Boko Haram sogar kurzzeitig die eigene Flagge vor Ort zu hissen. Erst als das kamerunische Militär das Lager bombardierte, flohen die Islamisten. Den jüngsten und bislang blutigsten Anschlag auf das Handelszentrum Baga mit eingerechnet, zählt die Menschenrechtsorganisation Amnesty International (AI) mehr als zehntausend Opfer, die auf das Konto von Boko Haram gehen.
"Das nigerianische Militär gehört zu den bestausgebildeten Streitkräften in ganz Afrika", sagt AI-Mitarbeiter Christian Hanussek. Dass dennoch nur wenige Erfolge gegen Boko Haram erzielt und das staatliche Machtmonopol immer kleiner würden, führt der Länderkoordinator auf zwei Ursachen zurück. "In Nigeria haben wir es mit einem hochgradig korrupten Land zu tun", sagt Hanussek. Ihm zufolge würden Militärausgaben zweckentfremdet anstatt im Kampf gegen Boko Haram eingesetzt. Auch gebe es Kontakte zwischen bestechlichen Offizieren und Boko-Haram-Anhängern.
Zerreissprobe für Nigeria
Doch nicht nur korrupte nigerianische Militärs stehen in zweifelhaftem Kontakt mit der Terrormiliz. Sektenführer Shekau werden auch Verbindungen in den islamischen Maghreb nachgesagt, wo unter anderem Al-Kaida aktiv ist. Weitere Seilschaften führen zu Al Shaabab, der "Bewegung der Mudschaheddin-Jugend" in Somalia und in das westafrikanische Mali zu Ansa Dine, den "Unterstützern des Glaubens".
Genau wie Al-Kaida so streckt auch Boko Haram seine Fühler immer weiter aus. In einem im August 2013 veröffentlichten Video droht Shekau den USA, dass auch sie bald mit der Gewalt Boko Harams konfrontiert würden. In einer kürzlich veröffentlichten Videobotschaft preiste er zudem die Attentäter von Paris. Der ehemalige US-Botschafter in Nigeria, John Campbell, warnte daraufhin, Boko Haram könnte "eine globale Bewegung werden".
Wie real die Gefahr durch Boko Haram für den Westen ist, lässt sich nur schwer einschätzen. Das ölreiche Nigeria mit seinem christlichen Staatspräsidenten Jonathan Goodwill stellen die Islamisten hingegen bereits jetzt schon tagtäglich vor die Zerreissprobe. (mit Agenturmaterial von dpa)
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