- Sprit-Mangel, steigende Energiepreise, Inflation: In Grossbritannien wächst der Unmut der Bürger.
- Auch die Lebenshaltungskosten insgesamt gehen nach oben.
- Bei den Tories hingegen gibt es weiterhin viel Unterstützung für Premierminister Boris Johnson.
Ausgerechnet kurz vor dem Parteitag von
Premierminister Johnson war tagelang abgetaucht und schwieg, dann spielte er die Krise herunter. "Wir fangen an, erste Anzeichen einer Verbesserung zu sehen", sagte er in einem kurzen Clip und versprach, für Weihnachten werde man die Versorgungslage in den Griff bekommen.
Grossbritannien: Der "Winter der Unzufriedenheit" steht vor der Tür
Doch als wären die Knappheiten noch nicht genug, müssen die Verbraucher in Grossbritannien einen heftigen Anstieg der Energiekosten verkraften, der das Land besonders hart trifft, weil es kaum über Gasvorräte verfügt. Und steigt die Inflationsrate, könnten auch bald die Zinsen steigen, was viele Hausbesitzer in Schwierigkeiten bringen könnte.
Zudem ist das "Furlough Scheme", die britische Variante des Kurzarbeitergelds, Ende September ausgelaufen. Das Programm hatte Tausende Menschen in Jobs gehalten, die es womöglich gar nicht mehr gibt. Das alles kommt nach der unpopulären Entscheidung Johnsons, trotz anderslautender Wahlversprechen die Sozialabgaben zu erhöhen, um eine dringend notwendige Pflegereform zu finanzieren. Die Rede ist bereits von einer heraufziehenden "Cost of Living Crisis" (Krise der Lebenshaltungskosten) und einem "Winter of Discontent" (Winter der Unzufriedenheit). Befürchtet wird, dass zahlreiche Menschen in die Armut rutschen könnten.
Innerparteilich sieht es weiter gut aus für Boris Johnson
Trotzdem glaubt der Politikwissenschaftler Anand Menon vom King's College in London, dass die Tories Johnson beim viertägigen Parteitag in Manchester, der an diesem Sonntag beginnt, "wie einen Helden" feiern werden. "Die Tory-Mitglieder lieben ihn und die Tory-Abgeordneten lieben ihn auch, weil er (Wahlen) gewinnt", so Anand im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. Dass sich Johnson zu der Kraftstoffkrise erst sehr spät äusserte, traf zwar vereinzelt auf Kritik, doch darin sieht Menon eher die Tendenz Johnsons, sich wegzuducken, wenn es brenzlig wird. Dann sollen andere ran.
Von einem Teil dieser menschlichen Schutzschilde hat sich Johnson bereits vor der Parteikonferenz entledigt: In einer Kabinettsumbildung verbannte er den bisherigen Aussenminister Dominic Raab ins Justizministerium und warf Bildungsminister Gavin Williamson raus. Beide hatten keine gute Figur gemacht. Williamson war in der Pandemie wegen Chaos bei den Schulabschlussprüfungen und der Organisation des Unterrichts in der Pandemie in die Kritik geraten. Raab war nur zögerlich aus dem Urlaub zurückgekehrt, als die militant-islamistischen Taliban die afghanische Hauptstadt Kabul übernahmen und britische und andere westliche Truppen überstürzt das Land verliessen.
Politik-Experte: Neuwahl 2023 "ist eine Möglichkeit"
Es werde sicherlich beim Parteitag "eine Menge ziemlich hart geführter Debatten" über die wirtschaftlichen Entscheidungen geben, so Menon. Aber noch glaubt er nicht, dass der Premier dadurch Schaden genommen hat. Er warnt aber: "Wenn es wirtschaftlich wirklich schlecht läuft und besonders wenn es eine hohe Inflations- und Arbeitslosenrate geben sollte, wird das der Regierung Schwierigkeiten bereiten". Langfristig könnte aber eine negative ökonomische Prognose Johnson womöglich sogar zu einer vorgezogenen Neuwahl bewegen, glaubt der Wissenschaftler: "Ich denke, Frühjahr 2023 ist eine Möglichkeit."
Auch Florian Foos, der an der London School of Economics im Bereich Political Behaviour forscht, sieht Risiken für Johnson in einer schwächelnden Wirtschaft. Doch auch eine erneute Verschärfung der Pandemie könne die Stimmung im Land zu Ungunsten der Konservativen beeinflussen, glaubt er. Johnson habe wie so oft mit seiner radikalen Öffnungsstrategie alles auf eine Karte gesetzt. Die Fehler aus der Anfangszeit seien ihm dank der erfolgreichen Impfkampagne zwar inzwischen von vielen Briten verziehen worden, "doch sollte es jetzt wieder schiefgehen, könnte das auch bald anders aussehen", so Foos. (best/dpa)
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