• Die Lage in Bosnien und Herzegowina ist seit Jahren instabil, aber nun hat sich die Situation wieder verschärft.
  • Der Kreml könnte diese Situation ausnutzen, um den Westbalkan weiter zu destabilisieren.
  • Politikwissenschaftlerin Sabina Ferhadbegović erklärt die Hintergründe.
Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen der Autorin bzw. der zu Wort kommenden Expertin einfliessen. Hier finden Sie Informationen über die verschiedenen journalistischen Textarten.

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Deutsche Soldaten sollen sich wieder an einer europäischen Militäroperation in Bosnien und Herzegowina beteiligen. Mit einem Mandat bis Ende Juni 2023 könnten bis zu 50 Soldaten ins Balkanland zurückkehren. Das sieht ein Entwurf des Bundeskabinetts vor, dem der Bundestag noch zustimmen muss.

Die Bundeswehr hatte sich vor zehn Jahren aus dem Land auf dem Westbalkan zurückgezogen, wo sie seit 1995 aktiv war. Das Ziel des europäischen Einsatzes mit dem Titel "Eufor Althea" ist noch immer dasselbe: Für Sicherheit sorgen und die Einhaltung des Dayton-Abkommens von 1995 zu unterstützen.

Lage hat sich wieder verschärft

Das Friedensabkommen, welches nach Kriegsende 1995 getroffen wurde, regelt die Verfassung des geteilten Landes. Die Föderation Bosnien und Herzegowina sowie die Teilrepublik Srpska haben eine gemeinsame Zentralregierung, ihre Befugnisse sind jedoch eingeschränkt.

Nun haben sich die Spannungen im Land wieder massiv verstärkt und der Krieg in der Ukraine hat ein geopolitisches Augenmerk auf die Region gelenkt. "Der Auslöser für die aktuellste Verschärfung war die Entscheidung des letzten Hohen Repräsentanten Valentin Inzko, dass die Leugnung und Verherrlichung von Kriegsverbrechen, Genozid und Verbrechen gegen die Menschlichkeit künftig strafbar sein wird", sagt Historikerin Sabina Ferhadbegović. Über die Erinnerung an den Bosnien-Krieg und die Frage nach Täter und Opfer gibt es seit Jahren Streit.

Schwache Zivilgesellschaft

Eine Welle der Empörung und mehrere politische Entscheidungen der Teilrepublik Srpska seien die Folge gewesen. Dort steht der bosnisch-serbische Politiker Milorad Dodik der nationalistischen Partei SNSD vor und ist Mitglied des dreiköpfigen Staatspräsidiums. Dessen Vorsitz wechselt, zuletzt war Dodik von 2020 bis 2021 Staatsoberhaupt von Bosnien und Herzegowina. Seit Langem verfolgt er das Ziel, die serbische Teilrepublik abzuspalten.

"Dodik hat bereits getroffene Entscheidungen der Teilrepublik, an gesamtstaatlichen Institutionen zu partizipieren, zurückgezogen. Dadurch hat sich die ohnehin instabile Situation verschärft", sagt Ferhadbegović. Junge Menschen würden zunehmend das Land verlassen, was die ohnehin fragile Zivilgesellschaft zusätzlich schwäche. "Fast 30 Jahre nach Ende des Krieges sind kaum Fortschritte gemacht worden, die Strukturen ändern sich kaum und die europäische Perspektive scheint nicht greifbar", erklärt die Historikerin.

Parlamentswahlen im Oktober

Es gibt weiteres Konfliktpotenzial: Im Oktober stehen Parlamentswahlen an. "Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat das Wahlgesetz in Bosnien und Herzegowina als diskriminierend verurteilt und festgelegt, dass es verändert werden muss", erklärt die Osteuropa-Expertin. Derzeit könnten nur Serben, Kroaten und Bosniaken, die als konstitutive Nationen gelten, als Mitglieder der Präsidentschaft und der sogenannten "Volkskammer", der zweiten Kammer des Parlaments", gewählt werden.

"Bei der Reform des Gesetzes gibt es weitere Streitpunkte und die anstehenden Wahlen sind lange, vor allen durch die politischen Vertreterinnen und Vertreter der bosnischen Kroaten, blockiert worden", so Ferhadbegović. In Bosnien und Herzegowina sei der Zugang zur Macht und zum öffentlichen Dienst stark nationalisiert. "Die Spannungen im Land könnten zunehmen, wenn die Parteien die Wahlergebnisse nicht anerkennen", sagt die Expertin.

Weitet sich der Ukraine-Konflikt aus?

Eine weitere Frage schwebt über dem Westbalkan: Wie wirkt sich der Ukraine-Krieg auf die Region aus? Russlands Einfluss hier ist gross. "Dodik ist als einer der wenigen zum Wirtschaftsforum nach St. Petersburg gefahren und hat sich mit Putin getroffen", erinnert Ferhadbegović. Er stelle sich als Russland-Freund dar und Moskau als Schutzpatron der serbischen Bevölkerung auf dem Balkan.

"Russland kann im Sicherheitsrat Entscheidungen, die im Zusammenhang mit Bosnien getroffen wurden, blockieren, auch der Hohe Repräsentant wird von Russland nicht anerkannt", sagt die Historikerin. Dodik könnte ein Ansatzpunkt für Moskau sein, um Druck auf die Europäische Union auszuüben. So steht im November 2022 die Entscheidung an, das derzeitige Eufor-Mandat zu verlängern.

Moskau hat grossen Einfluss

Denn durch die historische und kulturelle Nähe zum serbischen Teil der Bevölkerung hat Moskau die Möglichkeit der destruktiven Einflussnahme, wenn es die Abspaltungstendenzen unterstützt.

"Gleichzeitig ist mit Dodik ein Nationalist an der Macht, der skrupellos genug ist, um seine Interessen durchzusetzen und nicht die Interessen der bosnisch-herzegowinischen Bevölkerung", meint Ferhadbegović.

Und dieses Interesse lautet: Die Teilrepublik Srpska unabhängig machen und vom Rest des Landes abspalten. Auch im benachbarten Serbien gibt es dafür grosse Sympathien. "Sollte das passieren, käme das einer politischen Bankrotterklärung der EU gleich", sagt die Expertin.

Perspektive EU-Beitritt

Auch die Bewohnerinnen und Bewohner des Westbalkans würden die Gefahr sehen, dass Dodik die Chance nutzt, um zu eskalieren und dabei von Russland Unterstützung bekommt. "Der Russland-Konflikt wirkt sich also bereits jetzt auf den Westbalkan aus", sagt Ferhadbegović. Menschenrechtsorganisationen warnen bereits seit Kriegsbeginn vor einer Ausweitung des Konflikts auf den Westbalkan.

Die Stimmung in Bosnien sei schlecht, die Menschen fühlten sich an die 1990er Jahre erinnert, sagt die Expertin. Die Frage nach einem Kandidatenstatus für den EU-Beitritt der Ukraine und Moldau habe die Debatte auf dem Westbalkan weiter angeheizt.

Signale von der EU

Von sechs Westbalkanstaaten, die sich um eine EU-Mitgliedschaft bemühen, haben bislang nur Bosnien-Herzegowina und Kosovo noch keinen Kandidatenstatus erhalten. "Slowenien hat sich stark dafür eingesetzt, als politisches Signal auch Bosnien-Herzegowina einen Kandidatenstatus zu erteilen. Milorad Dodik hat bereits angekündigt, seine Zustimmung für die Vereinbarung zurückzuziehen, sollte Bosnien nicht auch einen Kandidatenstatus bekommen", sagt die Expertin.

"Von der EU erwartet die Bevölkerung Bosnien-Herzegowinas ein Signal, dass sie das Land als Teil der Europäischen Gemeinschaft sieht", sagt Ferhadbegović. Der Einsatz der deutschen Bundeswehr ist aus Sicht der Expertin ein Schritt in diese Richtung.

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Über die Expertin:
Dr. Sabina Ferhadbegović arbeitet am historischen Institut der Universität Jena. Sie studierte osteuropäische Geschichte, Politikwissenschaften sowie slawische Sprache und Literatur in Freiburg.

Verwendete Quellen:

  • bmvg.de/de: Bundesministerium der Verteidigung: EUFOREuropean Union Force Althea: Erneuter Einsatz der Bundeswehr in Bosnien und Herzegowina. 15. Juni 2022


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