Plan B? Richtig Neues hatte die britische Premierministerin nicht im Angebot. Doch zeigt sich auch die EU-Seite zunehmend nervös im Brexit-Drama. Polen und Rumänien schiessen plötzlich mit einem Vorschlag im Alleingang quer und provozieren eine Klarstellung.
In der Brexit-Blockade hat
Brüssel schloss Nachverhandlungen über das Austrittsabkommen prompt abermals aus. Allerdings streiten die EU-27, die Mitgliedstaaten ausschliesslich Grossbritanniens, nun erstmals auf offener Bühne, ob es nicht doch Zugeständnisse an London geben soll.
Dabei dreht sich alles wieder um die Garantie einer offenen Grenze zwischen dem EU-Staat Irland und dem britischen Nordirland, den sogenannten Backstop.
Die Klausel war einer der Gründe dafür, dass das britische Unterhaus das Austrittsabkommen vorige Woche mit grosser Mehrheit ablehnte - und das, obwohl sich EU und Grossbritannien einig sind, dass eine feste Grenze zwischen Irland und Nordirland neue Gewalt in der früheren Bürgerkriegsregion anfachen könnte.
Polen und Rumänien schiessen quer
Der polnische Aussenminister Jacek Czaputowicz verliess die bisherige EU-Linie und plädierte öffentlich für ein grosses Zugeständnis an London: eine Befristung der Backstop-Garantie auf fünf Jahre.
"Ich weiss nicht, ob das umsetzbar ist, ob Irland bereit ist, einen solchen Vorschlag zu machen", sagte Czaputowicz der BBC. "Aber ich habe den Eindruck, das könnte die Blockade bei den Verhandlungen lösen."
Rumänien, das aktuell den EU-Vorsitz innehat, hatte sich zuvor bereits ähnlich geäussert und sich offen für Änderungen an der Brexit-Vereinbarung mit Grossbritannien gezeigt.
Wenn sich London bewege, werde sich auch die EU bewegen und ihre "Position anpassen", sagte Aussenminister Teodor Melescanu am Montag in Brüssel. Dann könne auch über die Nordirland-Frage gesprochen werden: "Der Backstop, alles ist offen, steht auf der Tagesordnung."
Eine Meinung, die innerhalb der EU keine Mehrheit hätte, konterte unter anderem Deutschlands Aussenminister
Der irische Aussenminister Simon Coveney stellte klar, dass seine Regierung weiter auf einem unbefristeten Backstop beharrt. Czaputowicz' Äusserung sei nicht die Haltung der gesamten EU, sagte er.
Die irische Europaministerin Helen McEntee widersprach im Sender RTE britischen Berichten, wonach sich Irland in einem bilateralen Vertrag mit Grossbritannien in der Grenzfrage einigen könne.
Sorge um neue Unruhen
Nahrung erhielt diese Befürchtung nach der Explosion einer Autobombe im nordirischen Londonderry am Wochenende. Als Verdächtige wurden fünf Männer festgenommen, die der militanten Gruppierung Neue IRA angehören sollen.
Derartige Vorfälle könnten sich nach dem Brexit häufen, warnte der Nordirland-Mediator Michael Doherty. Am Montag versetzte der Raub zweier Autos durch bewaffnete, maskierte Männer die Polizei zweimal erneut in Alarmbereitschaft.
May verurteilte die Bombe von Londonderry und bekannte sich ausdrücklich zum irischen Friedensprozess und zur Vermeidung einer harten Grenze in Irland. Doch treffe der Backstop weiter auf Besorgnis im Unterhaus, sagte die Regierungschefin.
Sie wolle in dieser Woche im Gespräch mit Abgeordneten ausloten, wie eine "grösstmögliche Unterstützung" erreicht werden könne. Mit dem Ergebnis wolle sie dann die EU konfrontieren.
EU schliesst Nachverhandlungen weiter aus
Die EU will das Austrittsabkommen nicht nachverhandeln - das ist seit Wochen die offizielle Linie und das bekräftigte ein Sprecher von EU-Ratschef Donald Tusk sofort nach Mays Rede. Auch Deutschland trägt diese Linie mit, wie Bundesaussenminister Heiko Maas deutlich machte.
Allerdings sagte Maas auch, man brauche ein Abkommen zwischen Grossbritannien und der EU: "Das hat leider im Unterhaus in London keine Mehrheit gefunden. Daran müssen wir jetzt weiterarbeiten. Das wollen wir auch. Dazu sind wir bereit." Jedoch müssten die Briten erstmal sagen, was sie wollen.
May bekräftigte bei der Bekanntgabe ihres "Plan B" ihre Roten Linien: Sie will den für 29. März geplanten Brexit nicht absagen und nicht verschieben, sie will keine Neuwahl und keine zweite Volksabstimmung.
Doch suchen inzwischen britische Abgeordnete auf eigene Faust nach Auswegen aus der Sackgasse. Dazu arbeiten sie an Änderungsanträgen zu Mays Beschlussvorlage.
So gibt es Pläne von Oppositionsabgeordneten und EU-freundlichen Rebellen im Regierungslager, einen Aufschub des Brexit-Datums zu erzwingen, sollte sich ein Austritt ohne Abkommen abzeichnen. Abgestimmt werden soll darüber am 29. Januar.
Angst vor "No Deal"
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat die britische Regierung zu raschen und in London konsensfähigen Vorschlägen im Brexit-Streit aufgerufen.
"Die Bundesregierung erwartet, dass die britische Regierung sich bald auf Vorschläge einigt, die von einer Mehrheit des Unterhauses unterstützt werden", teilte ein deutscher Regierungssprecher am Montagabend nach dem Vorstoss von Premierministerin Theresa May für Nachverhandlungen über die Irland-Frage mit.
"Die Bundesregierung setzt sich weiter für einen geordneten Austritt Grossbritanniens aus der EU ein."
CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer hält den Vorstoss der britischen Premierministerin Theresa May für Neuverhandlungen mit der EU über die schwierige Irland-Frage für unzureichend.
Mays Äusserungen entsprächen "sicherlich nicht dem, was wir, was in Europa unter dem Stichwort 'Grossbritannien muss erklären, was es will' erwartet worden ist", sagte Kramp-Karrenbauer am Montagabend am Rand des Neujahrsempfangs der "Zeit" in Berlin. Die Premierministerin setze nochmals "auf Verhandlungen, die für uns abgeschlossen sind."
Luxemburgs Aussenminister Jean Asselborn schlug vor, sich auf die Option einer dauerhaften Zollunion zu konzentrieren. "Damit könnte man die irische Frage lösen und man könnte auch ein Chaos verhindern am 30. März", sagte er in Brüssel.
Ein Austritt Grossbritanniens ohne Abkommen führe unweigerlich dazu, dass es wieder Grenzkontrollen und Zölle gebe. Asselborn: "Das will ja keiner." (ank/dpa)
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