- Boris Johnson beugt sich dem Druck aus seiner Partei und tritt als Chef der konservativen Tories zurück.
- Sein Amt als britischer Premierminister will Johnson aber vorerst behalten.
- Bis zum Parteitag im Oktober soll ein Nachfolger gefunden sein.
Der britische Premierminister
Vor seinem Amtssitz in der Downing Street 10 wandte sich Johnson gewohnt selbstsicher an die britische Bevölkerung: "Ich möchte, dass Sie wissen, wie traurig ich bin, den besten Job der Welt aufzugeben." Als er an ein Redepult trat, waren von ausserhalb der Downing Street Buhrufe zu hören, Mitarbeiter spendeten hingegen Applaus.
Boris Johnson zeigt weder Einsicht noch Reue
Reue zeigte Johnson nicht. Stattdessen kritisierte er in seiner gut sechsminütigen Stellungnahme die Rücktrittsforderungen seiner Partei als "exzentrisch". "Es ist nun eindeutig der Wille der konservativen Parlamentsfraktion, dass es einen neuen Parteichef geben soll und damit auch einen neuen Premierminister", sagte Johnson. Er habe zugestimmt, dass der Auswahlprozess für einen neuen Parteichef nun beginnen solle.
Johnson betonte zugleich, er habe noch versucht, seine Partei von seinem Verbleib zu überzeugen. "Ich bedauere, dass ich keinen Erfolg hatte mit diesen Argumenten, und natürlich ist es schmerzhaft, so viele Ideen und Projekte nicht selbst vollenden zu können", sagte er.
Kurz vor seiner Rücktrittsankündigung ernannte Johnson noch neue Minister. Zahlreiche Parteifreunde fordern, der 58-Jährige solle sofort auch als Regierungschef abtreten. Die Opposition verlangt eine Neuwahl.
Johnson geriet in den vergangenen Tagen massiv unter Druck. Mehrere Kabinettsmitglieder und Dutzende parlamentarische Regierungsmitarbeiter traten von ihren Ämtern zurück. Noch am Mittwoch hatte er sich kämpferisch gegeben, am Donnerstag wurde der Druck aber zu hoch.
Affäre um Parteikollegen bringt Johnson zu Fall
Zuletzt forderte ihn sogar der erst am Dienstag ins Amt berufene Finanzminister Nadhim Zahawi zum Rücktritt auf.
Zahawi gilt wie Aussenministerin Liz Truss und Handelsministerin Penny Mardaunt als möglicher Nachfolger von Johnson als Premier. In Umfragen führt Verteidigungsminister Ben Wallace. Offiziell hat bisher nur Generalstaatsanwältin Suella Braverman ihre Kandidatur angekündigt.
Oppositionschef Keir Starmer von der Labour-Partei begrüsste den Rücktritt Johnsons. Er forderte aber, nun sei ein "frischer Start" nötig. "Wir brauchen eine Labour-Regierung", sagte Starmer. "Wir sind bereit."
Ausgelöst wurde die jüngste Regierungskrise in Westminster durch eine Affäre um Johnsons Parteikollegen Chris Pincher, dem sexuelle Belästigung vorgeworfen wird. Dabei kam heraus, dass Johnson von älteren, ähnlichen Anschuldigungen gegen Pincher wusste, ihn aber dennoch in ein wichtiges Fraktionsamt hievte. Das hatte sein Sprecher zuvor jedoch mehrmals abgestritten.
Skandale und Ausrutscher pflastern Johnsons Weg
Johnson stand seit seinem Amtsantritt am 24. Juli 2019 wiederholt im Mittelpunkt von Skandalen. So wurde ihm vorgeworfen, die Corona-Pandemie zuerst unterschätzt zu haben. Johnson erkrankte selbst schwer an dem Virus.
Später gab es Affären um die Luxus-Renovierung seiner Amtswohnung sowie einen Luxusurlaub in der Karibik, die jeweils von Gönnern zumindest teilfinanziert wurden, sowie um korrupte Parteifreunde.
Auch die "Partygate"-Affäre um illegale Lockdown-Feiern in der Downing Street überstand Johnson, obwohl er für die Teilnahme an einer Party von der Polizei einen Strafbescheid erhielt. Erst vor wenigen Wochen gewann er knapp ein parteiinternes Misstrauensvotum. Der Vater von mindestens sieben Kindern war der erste Premier seit fast 200 Jahren, der im Amt heiratete.
Bis zuletzt hatte Johnson noch Unterstützer. Sie lobten den Premier dafür, er habe in den "grossen Fragen" wie der Corona-Impfkampagne richtig entschieden sowie den Brexit vollendet. Auch für seine klare Unterstützung der Ukraine mit Waffenlieferungen im Krieg gegen Russland wurde Johnson vielfach gelobt.
Der ukrainische Präsidentenberater Mychajlo Podoljak dankte Johnson für die Hilfe. Russland hingegen bejubelte den Rückzug am Donnerstag mit Häme. Die Grünen im Europaparlament betonten, Johnsons Aus biete die Chance für einen Neustart zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU. (dpa/thp)
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