Eine Begrenzung der Flüchtlingszahlen in Richtung EU und eine Bekämpfung der Fluchtursachen sind derzeit zwei wesentliche Ziele von Angela Merkels Flüchtlingspolitik. Dafür ist sie jetzt erneut zu Gesprächen mit dem türkischen Staatschef Erdoğan und Ministerpräsident Davutoğlu gereist. Wie ist die Situation vor Ort und was wird von der Türkei jetzt konkret gefordert?

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Die Türkei gilt als Schlüsselland in der Flüchtlingskrise. Weniger, weil das Land in der Region politisch grossen Einfluss hätte, sondern vor allem aufgrund seiner geografischen Lage.

Diese Lage macht die Türkei zum Haupttransitland für Flüchtlinge aus dem Nahen Osten und Asien, in letzter Zeit vor allem für Syrer, Iraker und Afghanen.

Rund 2,5 Millionen syrische Flüchtlinge hat die Türkei nach Regierungsangaben aufgenommen, plus 500.000 aus anderen Konfliktgebieten in der Region.

Die EU und die Türkei haben im vergangenen Herbst ein gemeinsames Vorgehen zur Eindämmung der Flüchtlingskrise vereinbart.

Dabei soll die Türkei vor allem ihre See- und Landesgrenzen mit der EU strenger kontrollieren, intensiver gegen Menschenschmuggel vorgehen und die Flüchtlinge im Land besser integrieren.

Drei Milliarden Euro zu wenig?

In allen Punkten, so Kristian Brakel von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), habe die Türkei schon einiges geleistet. "Die Türkei hat ihren Arbeitsmarkt für syrische Flüchtlinge geöffnet, sie können sich dort nun eine Existenz aufbauen", sagt der Türkei-Experte im Gespräch mit unserem Portal.


Zudem werde zunehmend Geld in den Bau von Schulen investiert, so dass auch syrische Kinder zur Schule gehen können. Die Grenzen seien dichtgemacht worden, man gehe gegen Schleppernetzwerke vor und arbeite mit Griechenland daran, die griechisch-türkische Seegrenze besser zu überwachen.

In der EU werden die Anstrengungen der Türkei derzeit als noch nicht ausreichend angesehen. Sie lockt die Türkei unter anderem mit einer Wiederaufnahme der Verhandlungen über einen EU-Beitritt und drei Milliarden Euro - einem Betrag, der nach Auskunft von Ministerpräsident Ahmet Davutoğlu allerdings nicht ausreicht und nur dazu diene, "den politischen Willen zur Lastenteilung zu zeigen". Auch einige Experten sind der Meinung, dass die Türkei mehr Hilfe benötigt.

"Türkei braucht mehr Unterstützung"

"Klar ist, die Türkei braucht mehr und dauerhaftere Unterstützung, um in der Flüchtlingskrise zu helfen", sagt Kristian Brakel.

Auch Günter Seufert von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) schrieb im Dezember, dass eine Zusammenarbeit nur erfolgreich sein könne, wenn nicht nur Europa, sondern auch die Türkei direkt davon profitiere.

"Europäische Länder sollten deshalb die Last der Türkei auch dadurch mindern, dass sie eine nicht zu geringe Zahl dort bereits registrierter Flüchtlinge - vorwiegend Familien mit Kindern - aufnehmen."

Ein solcher Verteilungsplan scheint erst einmal nicht in Sicht, zumal sich die EU auch mit starker Kritik an ihren Verhandlungen mit der Türkei auseinandersetzen muss. Schliesslich sehen einige das Verhandeln auf Augenhöhe als eine politische Aufwertung der Türkei - mit dem Nebeneffekt, dass aus Brüssel weniger Kritik an der türkischen Politik laut wird, vor allem an der Bekämpfung der Kurden im eigenen Land.

Keine schnellen Lösungen bei der Bekämpfung von Fluchtursachen

Wohl kein Thema bei den Gesprächen Merkels mit Recep Tayyip Erdoğan und Ahmet Davutoğlu wird die Bekämpfung von Fluchtursachen in den Heimatländern der Flüchtlinge sein.

"Für die Kriege und Konflikte in den Ländern, aus denen die meisten Flüchtlinge kommen, ist die Türkei nicht primär verantwortlich - ausser im Norden Syriens, wo syrische Kurden, die mit der PKK verbündet sind, kämpfen", sagt Kristian Brakel zur Rolle der Türkei in dieser Frage.

Kanzlerin Merkel betonte in letzter Zeit immer wieder, wie wichtig Hilfe in der Heimat der Menschen sei und dass die Lebensbedingungen dort verbessert werden müssten.

Sie nannte das eine Jahrhundertaufgabe und auch viele Experten sind überzeugt, dass es keine schnellen Lösungen geben wird. Allein schon, weil es verschiedene Fluchtursachen gibt, wie Armut, Naturkatastrophen oder eben Kriege.

Bei letzteren ist die Gemengelage oft kompliziert. Wie im Fall Syrien gibt es inzwischen viele beteiligte Parteien, die an einen Tisch zu bringen sind.


Der Migrationsforscher Jochen Oltmer vermisst ein Konzept, wie genau die viel beschworene Fluchtursachenbekämpfung aussehen solle. Im Gespräch mit dem ARD-Magazin Panorama sagte er: "Schauen wir uns die Konflikte einmal an: Wir reden über Syrien, Irak oder Afghanistan. Die Konflikte laufen über viele Jahre, wenn nicht sogar Jahrzehnte."

Und es gebe keine Perspektive, zu einem Ende der Konflikte zu kommen.

"Ein Mittel: Rüstungsexperte stoppen"

Die Friedensforscher Johannes M. Becker und Ulrike Krause machen auf der Website des Netzwerks Flüchtlingsforschung einige Vorschläge, nennen unter anderem einen Stopp von Rüstungsexporten, um Massnahmen zur Unterstützung von Konflikten und Gewalt zu unterbinden.

Zudem treten sie für zivile anstelle von militärischen Massnahmen zur Konfliktprävention, -bearbeitung und Friedenserhaltung ein. Aber auch sie betonen: "Diese Punkte stellen langfristige Unternehmungen dar, die nicht in einer Legislaturperiode erreicht werden können."

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