• Bei seiner Antrittsreise in die USA überzeugte Bundeskanzler Scholz mit souveränen Medienauftritten.
  • Doch ist es ihm auch gelungen, die herrschenden Zweifel an der deutschen Ukraine-Strategie auszuräumen?
  • Zwei Politexperten analysieren den Auftritt des Bundeskanzlers.
Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen des Autors bzw. der zu Wort kommenden Experten einfliessen. Hier finden Sie Informationen über die verschiedenen journalistischen Textarten.

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Fotos im Schlabberpulli, Treffen mit US-Präsident Biden vor knisterndem Kaminfeuer, ein Live-Interview auf CNN – Olaf Scholz hat bei seinem Antrittsbesuch für mächtig Schlagzeilen gesorgt. Doch ist es ihm auch gelungen, Kritik an seiner Person zu entschärfen und beim Bündnispartner zu punkten?

"Er hat diese schwierige Reise insgesamt passabel bewältigt", sagt Stefan Marschall, Politologe an der Heinrich-Heine Universität Düsseldorf. "Letzten Endes war es ein Drahtseilakt, die US-amerikanische Politik und Öffentlichkeit der Zuverlässigkeit Deutschlands versichern zu wollen und gleichzeitig nach Hause in seine Partei und die Koalition hinein die Botschaft zu senden, dass man bei der eher zurückhaltenden Strategie in der Ukraine-Krise bleibt."

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Biden zumindest betonte, wie verlässlich Deutschland als Partner sei – und das auffallend oft. So oft, dass es sich lohnt, genauer hinzuschauen. "Biden hat Scholz nicht auflaufen lassen, sondern ihm demonstrativ den Rücken gestärkt", sagt Stefan Marschall. "Aber ganz reibungsfrei war das Treffen wohl nicht. Es gibt eine Reihe von Fragen und Zweifel, was die deutsche Politik betrifft und die sind bei dem Besuch nur zum Teil abgeräumt worden."

Unterschiedliche Aussagen von Biden und Scholz zum Thema Nord Stream 2

Was sich zum Beispiel am Streitthema Nord Stream 2 zeigt. Bidens Aussage dazu war unmissverständlich: Sollte Russland in die Ukraine einmarschieren, wäre das das Ende von Nord Stream 2. Und Scholz? Der hatte sich in den Kopf gesetzt, das Wort Nord Stream 2 erst gar nicht in den Mund zu nehmen.

Es ist diese scheinbare Unverbindlichkeit, die in den USA sehr kritisch gesehen wird. Das beobachtet auch der USA-Experte Florian Böller von der TU Kaiserslautern: “In den vergangenen Wochen wurde die deutsche Haltung gegenüber Russland in den USA, aber auch von anderen NATO-Bündnispartnern als zögerlich wahrgenommen und kritisiert. Biden betont demgegenüber demonstrativ, dass er Deutschland als NATO-Partner vertraut und an der Verlässlichkeit Deutschlands keinen Zweifel hegt.“

Scholz und Biden sei es gelungen, ein Signal der transatlantischen Geschlossenheit zu senden, trotz unterschiedlicher strategischer Ansätze. "Anders als noch unter Trump ist unter Biden das Bemühen zu erkennen, eine gemeinsame Position auszuhandeln und die Interessen der Partner mit einzubeziehen", sagt Böller.

Scholz überzeugt mit souveränem Auftritt bei CNN

Derweil ist Scholz präsent in den amerikanischen Medien. Er gibt der Washington Post ein grosses Interview, und parliert 15 Minuten mit Moderator Jake Tapper auf CNN. Live und in sicherem Englisch. Seinen Bekanntheitsgrad in den USA dürfte Scholz also gesteigert haben.

Für Florian Böller geht es allerdings "weniger um die Person Scholz oder sein Auftreten, sondern vielmehr um die Frage, wie sich Deutschland unter der neuen Regierung politisch positioniert."

Deshalb macht Scholz immer wieder klar, dass Deutschland ein verlässlicher Partner der USA und der NATO ist. Ebenso betont er, dass Deutschland die grösste wirtschaftliche und finanzielle Unterstützung für die Ukraine leiste. Nur ein Wort kommt ihm auch hier nicht über die Lippen – Nord Stream 2. Jake Tapper gelingt es jedenfalls nur zum Teil, Scholz zu fassen. Auch wenn dieser überraschend lebendig wirkt, wenn er nicht in seiner Muttersprache agiert.

Was ist das Image von Olaf Scholz?

Scholz bleibt jedenfalls seiner sachlichen Linie treu. Und das ist auch gut so, findet Stefan Marschall. "In der internationalen Politik wird ein sachlicher und nüchterner Ansatz geschätzt", so Marschall. "Das erklärt auch das internationale Ansehen von Angela Merkel. Emotionale Politiker wie Trump werden dagegen gefürchtet, weil sie aussenpolitisch nicht berechenbar sind."

Die Ära Merkel ist jedoch Geschichte. Und Scholz muss sein Image erst noch aufbauen. Wohlgesinnte Stimmen in den amerikanischen Medien reden von seiner charakteristischen leisen Stimme, seiner freundlichen, ruhigen Art. Das Nachrichtenportal Bloomberg dagegen sieht ihn als "schwaches Glied des Westens in der Ukraine-Krise".

Soviel ist klar: Bei einer militärischen Eskalation würde der politische Druck auf Deutschland steigen. Das betont auch Florian Böller. "Ich bezweifle, dass die Bundesregierung im Falle einer Eskalation an Nord Stream 2 festhalten könnte."

Das Verhältnis zu den USA wird also wohl noch einigen Prüfungen standhalten müssen. Und die diplomatischen Künste von Olaf Scholz bleiben weiterhin gefragt.

Über die Experten: Stefan Marschall ist Politologe und Professor für Politikwissenschaft an der Heinrich-Heine Universität Düsseldorf. Florian Böller ist Juniorprofessor für Internationale Beziehungen/Aussenpolitik an der TU Kaiserslautern.

Verwendete Quellen:

  • Interview mit Stefan Marschall
  • Interview mit Florian Böller
  • cnn.com: Scholz says US and Germany will act together if Russia invades Ukraine
  • washingtonpost.com: Scholz says response to Russia will be ‘united and decisive’ if Ukraine is invaded
  • tagesschau.de: Markenzeichen: Gedämpfte Stimme
  • bloomberg.com: Germany’s Scholz Is Tested as West’s Weak Link in Ukraine Crisis
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