Der Bundesrat schlägt dem Parlament vor, die Masseneinwanderungsinitiative mit einer einseitigen Schutzklausel umzusetzen. Diese würde die Zuwanderung nicht vor 2019 begrenzen. Bern strebt aber weiterhin eine einvernehmliche Lösung mit Brüssel an. Doch diese gibt es vorerst nicht.
Das Ziel des Bundesrates bleibt es, mit der EU eine einvernehmliche Lösung zur Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative zu finden. Das betonte Justizministerin Simonetta Sommaruga am Freitag vor den Medien. Die Schutzklausel ist Teil eines Pakets von Gesetzesentwürfen, welche die Regierung verabschiedete.
Nur eine einvernehmliche Lösung schaffe Rechtssicherheit, sagte Sommaruga. Und nur eine solche stabilisiere die Beziehungen zu Europa und sichere den bilateralen Weg. Weil diese Lösung aber noch nicht vorliege, lege der Bundesrat dem Parlament die Botschaft für eine einseitige Schutzklausel vor.
"Die einseitige Schutzklausel ist ein Zwischenschritt", so Sommaruga. Sobald ein Verhandlungsergebnis mit der EU vorliege, werde der Bundesrat diese in den parlamentarischen Prozess einbringen.
Bundespräsident Johann Schneider-Ammann bezeichnete den Entscheid des Bundesrates vom Freitag als "einen der wichtigsten und schwierigsten Entscheide". Die Hauptherausforderung bleibe es, eine Lösung zu finden mit der EU. Es gleiche nach wie vor der Quadratur des Kreises, wenn gleichzeitig die Bilateralen gerettet und das Ja zur Masseneinwanderungs-Initiative respektiert werden solle.
Diese sieht vor, dass eine Zuwanderungskommission dem Bundesrat einen Schwellenwert vorschlägt. Wird dieser Schwellenwert im Jahr nach Inkrafttreten des neuen Regimes überschritten, legt der Bundesrat im Jahr darauf Höchstzahlen für die Zuwanderung fest. Die Beschränkung gilt auch für Bürger der EU. Die Höchstzahlen würden also ab dem dritten Jahr gelten. Das heisst, dass mindestens bis Ende 2018 volle Personenfreizügigkeit mit der EU gilt.
Unter die Limite fallen alle Bewilligungen mit Erwerbstätigkeit ab vier Monaten Dauer. Mit Grenzgängerbewilligungen soll eine Umgehung vermieden werden.
Kontingente soll es auch für den Familiennachzug von Angehörigen aus Drittsaaten geben. Für anerkannte Flüchtlinge und vorläufig Aufgenommene plant der Bundesrat ein eigenes Kontingent. Dieses soll rasch an die jeweilige Flüchtlingssituation angepasst werden können. Für Asylsuchende sind keine Höchstzahlen vorgesehen.
SVP droht mit Volksinitiative
Die rechtsnationale Schweizerische Volkspartei (SVP) drohte mit einer Volksinitiative zur Kündigung des Personenfreizügigkeitsabkommens, falls Bundesrat und Parlament die Umsetzung des Volksentscheides zur Begrenzung der Zuwanderung verhindern oder von einem Veto der EU abhängig machen.
Klare Vorstellungen, wie die Zuwanderung mit einer Schutzklausel markant gesenkt werden sollen, fehlten weiterhin und würden auf die später zu erlassende Verordnung verschoben, schrieb die SVP in einer Stellungnahme.
Auch die Sozialdemokratische Partei (SP) lehnt eine einseitige Schutzklausel zur Umsetzung der Masseneinwanderungs-Initiative ab. Damit würden die gesamten bilateralen Beziehungen und der Wohlstand der Schweiz aufs Spiel gesetzt. Es führe kein Weg an einer einvernehmlichen Lösung vorbei, so die SP.
Die SP bleibe dabei: Die Zuwanderung müsse mit innenpolitischen Reformen abgefedert werden. Die SVP habe das Land mit ihrer "untauglichen Initiative" in die Sackgasse geführt.
Auch die Gruppe Raus aus der Sackgasse (Rasa) lehnt die unilaterale Schutzklausel ab, weil sie den bilateralen Verträgen widerspreche. Sie fordert dagegen, dass der Bundesrat dem Parlament in den nächsten Wochen eine Botschaft zu ihrer Volksinitiative unterbreitet.
In dieser verlangt Rasa die Streichung des Artikels zur Zuwanderungsbegrenzung aus der Schweizer Verfassung. Dies käme einer Rücknahme der SVP-Initiative "gegen Masseneinwanderung" gleich, die 2014 angenommen wurde.
Zustimmung von der Wirtschaft
Die Freisinnig-Demokratische Partei (FDP.Die Liberalen) stellt sich hinter die Schutzklausel. Sie sei ein gangbarer Weg. Es sei aber völlig unverständlich, warum der Bundesrat in diesem so zentralen Dossier so lange gezögert habe. Ein Lichtblick sei, dass der Bundesrat versuche, sich mit der EU auf die Einführung einer Schutzklausel zu einigen.
Leider habe die Landesregierung den FDP-Vorschlag, wonach Niederlassungsbewilligungen im Fall der Verweigerung einer Integration widerrufen und durch eine Jahresaufenthaltsbewilligung ersetzt werden könnten, ignoriert. Abgelehnt werden von der Partei zusätzliche flankierende Massnahmen.
Auf Zustimmung stiess der Entscheid des Bundesrats auch bei der Christlichdemokratischen Volkspartei. "Jetzt kann das Parlament endlich den Volkswillen umsetzen", schrieb die CVP.
"Die Richtung stimmt – Europafrage bleibt aber heikel", schrieb Economiesuisse, der Dachverband der Schweizer Wirtschaft. Die Umsetzung der Masseneinwanderungs-Initiative mit einer Schutzklausel komme den Forderungen nach einer wirtschaftsfreundlichen und europaverträglichen Umsetzung grösstenteils nach.
Kündigung nicht ausgeschlossen
Die Lösung mit der einseitigen Schutzklausel steht unter einem grossen Vorbehalt: In der Botschaft erinnert der Bundesrat an die Praxis des Bundesgerichts, das dem Freizügigkeitsabkommen bisher Vorrang vor Schweizer Gesetzten gegeben hat. Würde das Parlament die Vorlage mit der einseitigen Schutzklausel verabschieden, könnte diese nur angewendet werden, wenn die Schweiz das Abkommen kündigen würde, schreibt der Bundesrat.
Doch nun ist das Parlament am Zug. Dieses greift möglicherweise auf eine verträglichere Lösung zurück, um die Bilateralen nicht zu gefährden. Möglich ist jedoch auch, dass der Bundesrat im zweiten Halbjahr 2016 doch noch zu einer Einigung mit Brüssel kommt. Für diesen Fall will er dem Parlament eine Zusatzbotschaft nachreichen.
Brüssel hat bisher jedoch klar betont, dass die EU jegliche Begrenzung der Einwanderung als Verletzung der Personenfreizügigkeit taxiert. Die EU kann das Freizügigkeitsabkommen kündigen, falls die Schweiz den Vertrag verletzt. Ob sie das tut, ist eine politische Frage.
Um das inländische Arbeitskräftepotenzial besser auszuschöpfen, will die Regierung zudem, dass Flüchtlinge, die in der Schweiz bleiben dürfen, leichter eine Arbeit finden. Demgegenüber haben arbeitslose Ausländer fortan keinen Anspruch mehr auf Sozialhilfe. Das Ausländergesetz wurde entsprechend geändert.
Nationalrat verschärft flankierende Massnahmen
Um die Wirksamkeit der flankierenden Massnahmen zu verbessern, will der Nationalrat fehlbare Arbeitgeber schärfer bestrafen. Die Obergrenze der Bussen für Verstösse gegen minimale Lohn- und Arbeitsbedingungen soll von heute 5000 Franken auf 30'000 Franken erhöht werden.
Die grosse Kammer hiess am Dienstag eine entsprechende Änderung des Entsendegesetzes als Erstrat mit 126 zu 65 Stimmen gut. Die Obergrenze von 5000 Franken habe nicht die geplante abschreckende Wirkung entfacht, begründete Kommissionssprecher Corrado Pardini die Erhöhung.
Die höheren Sanktionen sollen einerseits gegen ausländische Arbeitgeber ausgesprochen werden können, die Arbeitnehmer in die Schweiz entsenden und gegen die schweizerischen Lohn- und Arbeitsbedingungen verstossen. Andererseits sollen die Kantone Schweizer Arbeitgeber zur Rechenschaft ziehen können, die gegen einen Normalarbeitsvertrag mit zwingenden Mindestlöhnen verstossen. © swissinfo.ch
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