Die Partei war der grosse Sieger bei der vergangenen Landtagswahl in Bayern. Ihr Vorsitzender Hubert Aiwanger hat dabei längst schon die Europawahl 2024 und die Bundestagswahl im kommenden Jahr im Blick.
Es war eine Aussage bei einer Demonstration gegen das umstrittene Heizungs-Gesetz der Ampel-Regierung, die ihn bundesweit berühmt machte. Im Wahlkampf hielt
Die grosse Aufmerksamkeit rückte den Parteichef allerdings auch in den Fokus einer durchaus kritischen Berichterstattung: Im August 2023 veröffentlichte die "Süddeutsche Zeitung" einen Artikel, der von einem antisemitischen Flugblatt berichtete, das mutmasslich von Aiwanger verfasst worden sein soll. Die "Flugblatt-Affäre" überschattete den Wahlkampf in Bayern und führte zu der Diskussion darüber, wie antisemitisch die Freien Wähler sind.
Geschadet hat es ihnen nicht: Am 8. Oktober hiess der grosse Sieger bei der Landtagswahl: Hubert Aiwanger und seine Freien Wähler. Er konnte nicht nur abermals Vize-Ministerpräsident werden – sondern ein weiteres Ministerium für seine Partei reklamieren. Nun soll der Erfolg auch auf die europäische Ebene ausstrahlen. Am 17. Februar wollen die Freien Wähler in Bitburg ihr Wahlprogramm für die Europawahl im Juni vorstellen.
Wer sind die Freien Wähler und wie sind sie entstanden?
Andreas Herteux ist Wirtschafts- und Sozialforscher sowie Mitherausgeber des Buches "Die Freien Wähler – eine Erfolgsgeschichte der Demokratie". Gegenüber unserer Redaktion erklärt er: "Die Wurzeln der Freien Wähler reichen bis in die Nachkriegszeit zurück." Nach dem Ende des Nationalsozialismus und den Erfahrungen mit der NSDAP herrschte teilweise eine gewisse Parteienskepsis, gerade auch, was Weisungen aus Parteizentralen betraf. "Die Freien Wähler entwickelten sich daher von der Basis aus – quasi als Anti-Partei."
Zunächst wollte man, ohne Partei zu sein, aktiv die direkte Umgebung und Heimat politisch gestalten - als Parteilose beziehungsweise Freie Wähler. "So entstanden in vielen Gemeinden und Städten unabhängige Zusammenschlüsse von Parteilosen, die völlig autonom nur in ihrer direkten Umgebung tätig waren." Erst später hätten sich diese dann organisiert, sagt Herteux.
Ziel sei es zunächst gewesen, kommunal und regional zu agieren. Dafür schlossen sie sich in kleinen Ortsgruppen zusammen, um ihre politischen Vorstellungen umzusetzen. Das habe sich erst spät geändert, so der Sozialwissenschaftler: "Immer wieder kam dabei der Gedanken auf, auch ausserhalb der Kommune zu wirken und beispielsweise zu Landtagswahlen anzutreten. Das war umstritten." Die Landtagswahl in Bayern 1997 war dann schliesslich der Wendepunkt. "Da gab es erstmals eine Mehrheit dafür, landesweit anzutreten."
Um eine Partei handelte es sich zu diesem Zeitpunkt trotzdem noch nicht, sondern um eine organisierte Wählergruppe. "Man hat eine Form gesucht, die eben keine Partei darstellt, um dem Zwiespalt zu entgehen", sagt Herteux. Diese Form habe aber zu finanziellen Nachteilen bei der Parteienfinanzierung geführt, weshalb man sich dann doch dazu entschied, von der "Anti-Partei" zur Partei im rechtlichen Sinne zu werden. "Die Entscheidung, 2009 eine Partei zu gründen, war ein weiterer grosser Diskussionspunkt innerhalb der Freien Wähler und ist es teilweise heute noch", sagt Herteux.
Welche Ziele verfolgen die Freien Wähler?
"Das Selbstverständnis der Freien Wählern ist es immer, ideologiefreie, pragmatische Politik vor Ort zu offerieren und die Sache selbst in den Mittelpunkt zu stellen." Das wurde dann auch auf Landesebene übertragen – und nun auch auf die Bundespolitik. Die politische Ausrichtung der Partei sei liberal-konservativ, weiss Herteux. Bundesvorsitzender Hubert Aiwanger prägte die Partei in Bayern allerdings stark konservativ. Als Rechtspopulisten sieht der Sozialwissenschaftler die Freien Wähler trotzdem nicht. Es hätte immer wieder Ausschlüsse von stark rechts gerichteten Landesverbänden in der Vergangenheit gegeben, etwa wenn es zu antisemitischen Vorfällen gekommen sei. Der Stil von Hubert Aiwanger würde auch innerhalb der Freien Wähler als kontrovers gesehen werden.
"Die Freien Wähler im Gesamten sind vielfältig in ihren politischen Ansichten", stellt Herteux klar. Aiwangers Strategie täusche darüber hinweg, dass die Mitglieder aus allen möglichen Richtungen kommen würden: "Da finden Sie sowohl Alt-68er als auch konservative Bauern." In Rheinland-Pfalz wurde jüngst ein Antrag gestellt, der darauf abzielt, dass sich die Partei dort klar von der AfD abgrenzt. Es gebe auch Verbände, die aus Nähe der Grünen entstanden seien, betont der Sozialwissenschaftler.
So sei es gut möglich, dass sich auch im Europawahlprogramm, das am kommenden Wochenende beim Parteitag in Bitburg verabschiedet werden soll, liberale Ideen finden würden, die auf den ersten Blick mit Hubert Aiwangers politischen Vorstellungen schwer vereinbar sind.
Die Chancen der Freien Wähler in den Bundestag einzuziehen
Dass die Ambitionen der Freien Wähler deutlich weiter reichen als Brüssel, hat Hubert Aiwanger bereits im vergangenen Jahr klargestellt. Nach dem überraschend guten Ergebnis bei der Landtagswahl in Bayern erklärte der Partei-Chef: "Ich bin überzeugt davon, dass wir 2025 in den Bundestag einziehen."
Sozialwissenschaftler Herteux hält das grundsätzlich für möglich, ist aber abwägend: "Wir haben, neben den etablierten Parteien, ein Bündnis Sahra Wagenknecht, das jetzt gestartet ist und die Werteunion, die möglicherweise antritt. Der Parteienmarkt ist vielfältiger, aber dadurch steigen auch die Chancen der Freien Wähler, denn der Wähler ist es auch." Letztlich komme es darauf an, wie sich die Freien Wähler ausrichten würden. "Es ist die strategische Frage, ob man nur das Ländlich-Konservative ansprechen oder sich auch darüber hinaus weitere Zielgruppen erschliessen möchte." Dann hätten die Freien Wähler die Chance, sich als Alternative zu den etablierten Parteien zu präsentieren.
Über den Gesprächspartner
- Andreas Herteux ist ein deutscher Wirtschafts- und Sozialforscher. Er ist Mitherausgeber des Buches "Die Freien Wähler – eine Erfolgsgeschichte der Demokratie".
Verwendete Quellen
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