Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat das Aufenthaltsrecht in Deutschland aufgewachsener sogenannter faktischer Inländer weiter gestärkt. Nach einem am Donnerstag veröffentlichten Beschluss reichen vergangene Drogenstraftaten bei diesen Menschen nicht automatisch als Grund für eine Ausweisung aus. (Az. 2 BvR 29/24)
Als faktische Inländer gelten Menschen, die zwar nicht über die deutsche Staatsangehörigkeit verfügen, aber in der Bundesrepublik geboren wurden oder schon als Kind nach Deutschland kamen und fest hier verwurzelt sind. Dies hängt jeweils von den Umständen des Einzelfalls ab, eine konkrete Altersgrenze für die Einreise besteht jedenfalls nach bisheriger Rechtsprechung nicht.
Neben dem Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens nach der Europäischen Menschenrechtskonvention können sie sich nach bisheriger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im Streit um eine Ausweisung auch auf das im Grundgesetz verankerte Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit berufen.
Der Beschwerdeführer im Streitfall ist in München geboren und ging dort in den Kindergarten und zur Schule. Er hat die Mittlere Reife und legt nach einer Ausbildung zum Lagerlogistiker derzeit die entsprechenden Abschlussprüfungen ab. Ab 2018 stand er mehrfach wegen Drogenstraftaten und teils schwerer Körperverletzung vor Gericht. Anfang 2022 wurde er deswegen ausgewiesen.
Dabei ging die Ausländerbehörde von einer erheblichen Wiederholungsgefahr aus. Mit seiner Klage hiergegen macht der junge Mann geltend, er sei faktischer Inländer und habe die Straftaten im Jugend- und Heranwachsendenalter begangen. Inzwischen habe er eine Drogentherapie und Eingliederungsmassnahme durchlaufen, so dass keine Wiederholungsgefahr mehr bestehe.
Das Verwaltungsgericht und der bayerische Verwaltungsgerichtshof (VGH) in München wiesen die Klage jedoch ab. Das Bundesverfassungsgericht hob diese Entscheidungen nun auf und wies den VGH an, neu über den Streit zu entscheiden.
Zur Begründung rügten die Karlsruher Richter, der VGH habe nicht ernsthaft geprüft, ob der Beschwerdeführer wegen seiner Verwurzelung in Deutschland als faktischer Inländer gelten könne. Zwar könnten auch diese Menschen ausgewiesen werden. Bei der Interessenabwägung und Prüfung der Verhältnismässigkeit sei aber das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit zu berücksichtigen.
So sei bei Drogenstraftaten zwar in der Regel eine Wiederholungsgefahr zu vermuten. Bei faktischen Inländern müssten Ausländerbehörden und Gerichte dies aber näher prüfen und begründen. "Erforderlich ist daher eine auf den konkreten Einzelfall bezogene individuelle Gefahrenprognose unter Berücksichtigung aktueller Tatsachen, die die Gefahr entfallen lassen oder nicht unerheblich vermindern können", heisst es in dem Karlsruher Beschluss. Diesen Anforderungen werde die VGH-Entscheidung nicht gerecht. © AFP
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