- Die Sicherheitslage am Flughafen Kabul spitzt sich immer weiter zu.
- Im Gedränge vor den Toren gab es bereits Tote, Terrordrohungen nehmen zu, deutsche Soldaten werden in ein Gefecht verwickelt.
- Die Bundeswehr ändert nun ihre Strategie bei der Evakuierung.
Die Evakuierungsaktion in der afghanischen Hauptstadt Kabul wird immer schwieriger und gefährlicher. Am Montagmorgen wurden deutsche Soldaten vor dem Flughafen erstmals in ein Feuergefecht mit unbekannten Angreifern verwickelt. Eine afghanische Sicherheitskraft wurde dabei getötet, drei weitere verletzt. Weil der Zugang zum Flughafen kaum noch möglich ist, ist die Bundeswehr nun auch ausserhalb des massiv gesicherten Geländes im Einsatz, um Menschen in Sicherheit zu bringen. Daran sind auch Elitesoldaten des Kommandos Spezialkräfte beteiligt.
Es bleibt nicht mehr viel Zeit für die Rettungsaktion. Die militant-islamistischen Taliban, die vor gut einer Woche die Macht in Afghanistan übernommen haben, wollen einer Verlängerung der Evakuierungsmission westlicher Staaten über den 31. August hinaus nicht zustimmen. Diese Frist sei eine "rote Linie", sagte ein Taliban-Sprecher dem britischen Nachrichtensender Sky News. "Wenn sie vorhaben, die Besatzung zu verlängern, wird das eine Reaktion hervorrufen".
Maas will Weiterbetrieb des Flughafens
Die Bundesregierung versucht nun, eine Fortsetzung der Evakuierungsflüge nach dem für den 31. August geplanten Abzug der US-Truppen zu ermöglichen. Es würden mit den USA, der Türkei und den Taliban Gespräche geführt, um einen zivilen Weiterbetrieb des Flughafens für diesen Zweck zu erreichen, sagte Maas. Das könnte auch Thema beim Treffen der Staats- und Regierungschefs der grossen westlichen Wirtschaftsmächte (G7) am Dienstag sein, an dem US-Präsident
Deutschen Transportflieger haben inzwischen deutlich mehr als 3000 Menschen ausgeflogen. Auf den Ausreiselisten des Auswärtigen Amts dürfte aber eine fünfstellige Zahl stehen - deutsche Staatsbürger, ehemalige afghanische Mitarbeiter der Bundeswehr und Bundesministerien und auch andere besonders gefährdete Menschen in Afghanistan. Genaue Angaben dazu macht das Ministerium aber nicht. "Solange wir die Chance haben, werden wir so viele Menschen ausfliegen, wie wir nur können", bekräftigte Maas.
Abwehrgefecht im Morgengrauen
Zu dem Schusswechsel am Flughafen kam es nach Angaben des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr um 04.13 Uhr (MESZ) am Nordtor des Flughafens, vor dem seit Tagen Tausende Menschen warten, um auf einen der Evakuierungsflüge zu kommen. Dort wurden Soldaten der inzwischen aufgelösten afghanischen Armee, die an der äusseren Zugangsschleuse zum Flughafen eingesetzt sind, von Unbekannten beschossen und erwiderten das Feuer. Auch US-Soldaten, die die innere Zugangsschleuse bewachen, und Bundeswehrsoldaten griffen in das Abwehrgefecht ein.
Die US-Streitkräften sprachen später von einem "kurzen Schusswechsel". Die Angreifer entkamen unerkannt. Die US-Regierung hatte erst am Sonntag Sorgen vor einem Anschlag der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) am Flughafen oder in der Umgebung geäussert. "Die Bedrohung ist real, sie ist akut, sie ist anhaltend", sagte der Nationale Sicherheitsberater von US-Präsident Joe Biden, Jake Sullivan, im Sender CNN. Man nehme die Warnungen "absolut todernst". Die militant-islamistischen Taliban und der regional aktive Zweig des IS sind verfeindet und haben in der Vergangenheit gegeneinander gekämpft.
Lage ist noch chaotischer geworden
Verteidigungsministerin
In den vergangenen Tagen hatte sich die Sicherheitslage am Flughafen massiv zugespitzt. Auch zwei Deutsche wurden auf dem Weg dorthin verletzt, mindestens einer davon durch Schüsse. Im Gedränge vor den zeitweise geschlossenen Toren des Flughafens gab es am Wochenende mindestens sieben Tote. Maas sagte am Montag, die Lage um den Flughafen habe sich in den vergangenen Stunden "weiter chaotisiert". Er warnte davor, sich auf eigene Faust zum Flughafen zu begeben.
Bundeswehr jetzt auch ausserhalb des Flughafens aktiv
Wegen der dramatischen Situation und der teils blockierten Zugänge zum Flughafen ändert die Bundeswehr nun ihre Strategie und operiert auch ausserhalb des geschützten Airports, um Menschen sicher zu den Evakuierungsflügen zu bringen. Es sei im Moment fast nicht mehr möglich, zum Flughafen zu gelangen, begründete Kramp-Karrenbauer den Schritt. "Deswegen müssen wir sehr viel stärker dazu übergehen, die Leute sozusagen abzuholen. Das tun wir."
Das Verteidigungsministerium bestätigte die Rettung einer Münchner Familie, die nach Berichten von "Bild" und "Spiegel" von Elitesoldaten des Kommando Spezialkräfte (KSK) in den Flughafen gebracht wurde. Bei der Geheim-Operation "Blue Light" hätten sich die deutschen Soldaten zu Fuss vorgearbeitet und eine 19-jährige Münchnerin, ihren kleinen Bruder und ihre Mutter gerettet, hiess es bei "Bild" unter Berufung auf Sicherheitskreise. Die Operation habe rund eine Stunde gedauert.
Bisher hatte sich die Evakuierungsmission der Bundeswehr auf das Flughafengelände beschränkt. Zwei Hubschrauber, die zur Evakuierung von gefährdeten Menschen aus dem Stadtgebiet nach Afghanistan gebracht worden waren, kamen bisher nicht zum Einsatz.
AKK will über persönliche Konsequenzen nachdenken
Begleitet wird die Evakuierungsaktion in Deutschland weiter von der Debatte über politische Konsequenzen aus den Fehleinschätzungen, die vor der Machtübernahme der Taliban getroffen wurden. Als erstes Regierungsmitglied schloss Kramp-Karrenbauer (CDU) persönliche Konsequenzen aus den Fehlern nicht aus. "Wenn diese Mission zu Ende ist, dann werde ich für mich selbst sehr genau überlegen, welche Verantwortung ich getragen habe, welcher Verantwortung ich gerecht geworden bin, wo vielleicht auch nicht - und welche Schlüsse ich persönlich daraus ziehen muss", sagte sie.
Ihren Soldaten versprach Kramp-Karrenbauer zudem, ihnen nun zunächst den Rücken für ihre Evakuierungs-Mission frei halten zu wollen: "Was immer da vor Ort passiert: Ich halte den Kopf hin", sagte sie.
Auch Maas (SPD) betonte, dass er in der weiteren politischen Diskussion für sein Ministerium geradestehen werde. "Ich trage die politische Verantwortung für alles, was im Auswärtigen Amt geschieht, natürlich auch insbesondere für die Fehler, die gemacht werden", sagte er. Ein Teil dieser Verantwortung bestehe aber darin, die Diplomaten nun bei der Evakuierungsaktion zu unterstützen. Über alles andere werde später zu sprechen sein.
Kramp-Karrenbauer und Maas haben wie auch Kanzlerin Merkel Fehleinschätzungen der Lage in Afghanistan eingestanden. Zu den Forderungen nach einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss sagte Maas, dass es ein grosses, berechtigtes öffentliches Interesse an einer Aufarbeitung gebe. "In welcher Form man das tut, ob in einem Untersuchungsausschuss oder wie auch immer sei dahingestellt." (dpa/fra)
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