Ein mutmasslich rechtsextremer Soldat des "Kommando Spezialkräfte" hat in seinem Haus Waffen und Sprengstoff gehortet. Experten sagen: In der Elitetruppe der Bundeswehr gibt es inzwischen zu viele Beispiele, um noch von Einzelfällen sprechen zu können.
Das "Kommando Spezialkräfte" gilt als Eliteeinheit der Bundeswehr. Die Soldatinnen und Soldaten sind etwa dafür zuständig, Geiseln zu befreien oder Terroristen festzusetzen. Das KSK kommt zum Einsatz, wenn Aufgaben "durch herkömmliche Einheiten nicht erfüllt werden können", schreibt die Spezialeinheit mit Sitz im württembergischen Calw über sich selbst.
Nicht zu diesem elitären Bild passt der Fall eines 45 Jahre alten KSK-Soldaten aus dem sächsischen Wermsdorf. Der Oberstabsfeldwebel sitzt in Untersuchungshaft, seit Beamte des Landeskriminalamts Mitte Mai auf seinem Grundstück Munition, Sprengstoff und Waffen gefunden haben. Ins Visier war er geraten, weil Sicherheitsbehörden wegen rechtsextremer Umtriebe im KSK ermitteln.
"Niemand, der in irgendeiner Weise radikal auffällt, hat einen Platz in der Bundeswehr", betont ein Sprecher des Bundesverteidigungsministeriums auf Anfrage unserer Redaktion. Doch wie gross ist das Rechtsextremen-Problem im KSK speziell und in der Bundeswehr allgemein? Dazu gibt es unterschiedliche Einschätzungen.
Die Linken-Politikerin Martina Renner beschäftigt sich schon lange mit rechtsextremen Netzwerken. Sie glaubt nicht, dass der 45-Jährige ein Einzelfall ist. "Vielmehr sind diese Fälle ein Ausdruck von mangelnder Transparenz und fehlender demokratischer Haltung in der Truppe", sagt die Bundestagsabgeordnete gegenüber unserer Redaktion.
"Um noch von Einzelfällen zu sprechen, sind es inzwischen zu viele Einzelfälle", meint auch der Rechtsextremismus-Experte Hajo Funke. "Es besteht gerade in kleineren Einheiten die Gefahr, dass sich rechtsextreme Gesinnungen ausdehnen. Beim KSK ist das der Fall", so der emeritierte Professor für Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin.
Zahlreiche Vorfälle in der Vergangenheit
Schon 2003 sorgte der damalige Kommandeur des KSK für Aufsehen: Reinhard Günzel wurde unehrenhaft entlassen, nachdem er eine als antisemitisch eingestufte Rede des damaligen CDU-Abgeordneten Martin Hohmann (heute AfD) gelobt hatte. Später stellte er in einem Buch das KSK in die Tradition der Wehrmachts-Spezialeinheit "Brandenburg".
2007 verschickte ein KSK-Offizier einen Drohbrief an einen der Friedensbewegung nahestehenden Oberstleutnant. Die "Zeit" zitierte daraus unter anderem folgenden Satz: "Sie werden beobachtet, nein, nicht von impotenten instrumentalisierten Diensten, sondern von Offizieren einer neuen Generation, die handeln werden, wenn es die Zeit erforderlich macht."
Für bundesweite Schlagzeilen sorgte 2017 der KSK-Unteroffizier André S., der unter dem Namen "Hannibal" ein Netzwerk von rechten Preppern gegründet hatte – also von Personen, die Schutzausrüstung oder sogar Waffen für eine angeblich bevorstehende Katastrophe oder einen Krieg horten. Erst im Herbst 2019 verliess er endgültig die Bundeswehr.
Dann wäre da noch die Party einer KSK-Kompanie, auf der im April 2017 rechtsextreme Musik gespielt und der Hitlergruss gezeigt wurde. Der Kommandeur, der auf diese Weise verabschiedet wurde, erhielt laut der Tageszeitung "taz" eine Geldstrafe und war zunächst der Einzige, der juristische Konsequenzen zu tragen hatte. Offenbar gerieten Ermittler durch die Party aber auch auf die Spur des Mannes aus Sachsen, bei dem sie nun Waffen und Sprengstoff fanden – drei Jahre später.
363 Verdächtige im Jahr 2019
Das Bundesverteidigungsministerium bewertet den Fall als Ermittlungserfolg des Militärischen Abschirmdienstes, kurz MAD. Der Geheimdienst ist unter anderem für Extremismusfälle in der Bundeswehr zuständig. "Die enge Zusammenarbeit hat sich bewährt", sagt ein Sprecher des Ministeriums unserer Redaktion. "Sie hat sich in den vergangenen Jahren unheimlich weiterentwickelt."
Mehrere Ereignisse haben die Aufmerksamkeit für das Thema Rechtsextremismus geschärft: Dazu gehören der Fall des Bundeswehroffiziers Franco A., der offenbar einen Terroranschlag als vermeintlicher syrischer Flüchtling plante, und die Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke im vergangenen Jahr – mutmasslich durch einen Rechtsradikalen.
Der "Spiegel" berichtete im März von Äusserungen des MAD-Präsidenten Christof Gramm vor Bundestagsabgeordneten. Dabei soll Gramm gesagt haben, dass sich in mindestens 9 von 20 Fällen der Verdacht auf Rechtsextremismus bestätigt habe – für eine kleine Einheit wie das KSK mit rund 1.100 Soldaten sei das eine hohe Zahl.
Dass rechtsextreme Ansichten nicht nur im KSK, sondern in der gesamten Bundeswehr vorkommen, zeigt auch der MAD-Jahresbericht für 2019. Von insgesamt 482 Verdachtsfällen auf politischen Extremismus betrafen 363 Fälle Rechtsextremismus.
Hinzu kamen 16 Ermittlungen gegen sogenannte Reichsbürger. Islamismus (77 Verdachtsfälle), die Unterstützung von ausländischen politischen Gruppierungen (17) sowie Linksextremismus (9) spielten eine vergleichsweise kleinere Rolle. Die Zahl von Verdachtsfällen auf Rechtsextremismus ist im Vergleich zu den Vorjahren zudem deutlich angestiegen.
MAD sieht keinen Beweis für Netzwerke
Derzeit liegen dem MAD zufolge aber keine Beweise für einen "rechtsextremistisch agierenden Personenzusammenschluss" – also ein Netzwerk – in der Bundeswehr vor. Eine Einschätzung, die Politikwissenschaftler Hajo Funke so nicht teilt. "Es existieren unterirdische Netzwerke, die hochgefährlich sind", sagt er. Das Redaktionsnetzwerk Deutschland berichtete Anfang dieses Jahres etwa von der "Kreuz-Connection", in der Extremisten und Soldaten miteinander vernetzt sein sollen.
Immer wieder kommt auch die Frage nach Verbindungen zu rechten Parteien auf. So beschäftigt der AfD-Bundestagsabgeordnete Jan Nolte einen Bekannten von Franco A., gegen den zwischenzeitlich ebenfalls ermittelt wurde. Dass rechte Netzwerke zwischen Soldaten und Politikern bestehen, sei ihm allerdings nicht bekannt, sagt Funke.
"Man sollte mehr tun"
Linken-Politikerin Martina Renner fände es wichtig, von unabhängigen Wissenschaftlern untersuchen zu lassen, wie stark extremistische Einstellungen in der Bundeswehr verbreitet sind. "Nur so können wir von der letztlich unproduktiven Frage wegkommen, ob es sich nicht doch nur um Einzelfälle handeln könnte."
Politikwissenschaftler Hajo Funke glaubt nicht, dass die Politik in diesem Bereich bisher genug unternimmt. "Man weiss mehr und man sollte mehr tun", sagt er. Auffällige Personen müssten aus ihren Gruppen herausgenommen und bestraft werden. Allerdings passiere weder das eine noch das andere.
"Es wäre die Pflicht des Innenministers und der Verteidigungsministerin, systematisch gegen diese Netzwerke vorzugehen. Und der MAD wäre angehalten, diese Netzwerke viel systematischer aufzudecken", sagt Funke. "Das passiert aber nicht, weil die Sicherheitsbehörden ihre eigenen Institutionen schützen."
Verwendete Quellen:
- Bundesamt für den Militärischen Abschirmdienst: MAD-Report, Jahresbericht des Militärischen Abschirmdienstes für das Jahr 2019
- Bundesministerium der Verteidigung, Pressestelle
- Bundesministerium der Verteidigung: Pressemitteilung "Null Toleranz gegenüber Extremisten"
- Bundeswehr.de: Kommando Spezialkräfte
- Redaktionsnetzwerk Deutschland: "Die rechtsradikale 'Kreuz'-Connection und die Bundeswehr"
- Spiegel.de: "Militärgeheimdienst enttarnt neun rechtsextreme Soldaten beim KSK"
- taz.de: "Rechter KSK-Soldat bei der Bundeswehr – Zu Hause beim 'Nazi-Opa'"
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