In der Schweiz verleihen Exponenten der Sozialdemokratischen Partei (SP) der Initiative für ein nationales Verhüllungs-Verbot Auftrieb. Mit ihrer Unterstützung des Begehrens rechtskonservativer Kreise stossen sie in der eigenen Partei – vor allem bei Genossinnen – auf Ablehnung.

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Sie halte gar nichts von einer Burka, sagt die Basler SP-Ständerätin Anita Fetz, "nicht nur aus feministischen Gründen, sondern weil wir hier eine 'Face-to-face-Kultur' haben. Es ist Teil unserer Kommunikation, dass man sich ins Gesicht schaut."

Aber sie sei in der Stadt Basel in den letzten zwanzig Jahren höchstens zwei oder drei vollverschleierten Frauen begegnet. Wegen einer Handvoll Fällen ein nationales Verhüllungsverbot einzuführen, wie es das Initiativ-Komitee fordert, "ist absolut unverhältnismässig".

Frauen, die eine Nikab oder Burka tragen, sind in den meisten Regionen der Schweiz noch nie aufgetaucht. Anzutreffen sind sie in steigender Anzahl hingegen in einigen Tourismusorten sowie in den Städten Genf, Zürich und im Tessin. Bei fast allen handelt es sich um Ehefrauen gutbetuchter Touristen aus reichen Golfstaaten wie Saudi-Arabien, Kuwait oder Katar.

Dem Zürcher SP-Regierungspräsidenten Mario Fehr sind sie ein Dorn im Auge. Letzte Woche forderte er in einem Interview in der "Neuen Zürcher Zeitung", dass die hiesige Gemeinschaft nicht von ihren Werten abrücken und deshalb die Burka verbieten sollte. "Ausländern wird signalisiert, dass sie willkommen sind, dass aber in diesem Kanton oder in diesem Land das Gesicht gezeigt werden muss."

Unterstützung erhält Mario Fehr vom Westschweizer Parteikollegen Pierre-Yves Maillard. In der Sonntagszeitung "Le Matin Dimanche" sagte der Waadtländer SP-Staatsrat, dass "die Freiheiten des Gewissens und des Verhaltens attackiert werden". Die Frauen könnten bezeugen, dass unsere Gesellschaft es wert sei, gegen den Rückschritt verteidigt zu werden. "Das beginnt bei den Freiheiten der Frauen und des Körpers. Hier dürfen wir keine Kompromisse eingehen", sagt Maillard, der das Burka-Verbot "sicher nicht bekämpft".

Dass sich ausgerechnet Exponenten der SP, die sich Toleranz gegenüber anderen Kulturen auf die Parteifahne schreibt, für das rechtskonservative Volksbegehren stark machen, gibt nicht nur in den Medien, sondern auch unter den Genossen und vor allem Genossinnen zu reden.

Anita Fetz bezeichnet die Äusserungen ihres Zürcher Parteikollegen als Symbolpolitik. Eine Burka habe in unserem Alltag keinen Platz, sagt zwar auch die Basler Genossin, "aber nur weil in Zürich ein Regierungsrat findet, dass dies der richtige Ort für eine Wertedebatte sei, wollen wir in Basel kein Verbot." Wenn es in gewissen Regionen Probleme gebe, dann sollten diese von den Kantonen geregelt werden, schlägt die Basler Genossin vor.

Im Kanton Tessin ist es seit Anfang Juli verboten, das Gesicht auf öffentlichem Grund zu verhüllen. Dort sprachen sich 2013 mehr als 60% der Stimmenden für ein kantonales Verhüllungsverbot aus. Laut Angaben des örtlichen Polizeichefs ist das Verbot im Tessin von den arabischen Gästen bisher respektiert worden. Am Tessiner Modell orientiert sich auch der Initiativtext für ein landesweites Verhüllungsverbot.

Zeichen gegen extremen Islamismus?

"Ein nationales Verbot auf Vorrat einzuführen, ist unsinnig", sagt Anita Fetz. Anstatt dem islamistischen Terror mit einem Burka-Verbot gegen ein paar Dutzend verhüllte Touristinnen den Kampf anzusagen, sollte man von muslimischen Organisationen in der Schweiz mehr Transparenz einfordern – zum Beispiel über ausländische Finanzströme in die Moscheen, um radikale Kräfte ausfindig zu machen. "Ich bin dafür, dass in den Moscheen in einer Landessprache gepredigt werden muss und die Imame in der Schweiz ausgebildet werden müssen, damit sie sich mit unserem Rechtssystem auseinandersetzen müssen. Gemässigte Muslime haben da bestimmt nichts dagegen", glaubt die Basler Ständerätin zu wissen.

Gegen ein Burka-Verbot spricht sich auch SP-Nationalrätin Min Li Marti aus, obwohl ihr die Burka "nicht sympathisch" sei. "In einem liberalen Staat gehören Kleidervorschriften nicht in die Verfassung. Will die Schweiz ein Zeichen gegen extremen Islamismus setzen, indem wir irgendeinem Symbol den Kampf ansagen?", fragt sie rhetorisch und meint: "Eine liberale, aufgeklärte Gesellschaft muss ihre Werte vorleben und nicht eine Sündenbock-Diskussion führen".

Ähnlich argumentiert Priska Seiler Graf. "Vordergründig will man mit dem Verbot ein Zeichen setzen gegen die Unterdrückung der Frauen. Aber im konkreten Fall richtet es sich wieder gegen die Frauen, die angehalten und aufgefordert werden, den Schleier zu lüften, und dadurch in Konflikt kommen", sagt die SP-Nationalrätin.

Sie goutiere die Burka auch nicht, weil sie Ausdruck der Unterdrückung der Frau sei. "Die Kleidervorschriften werden ja in den betreffenden Ländern nicht von Frauen, sondern von Männern erlassen. Das entspricht überhaupt nicht meiner liberalen, westlichen Weltanschauung. Aber es wäre genauso wenig liberal, wenn wir mit einem Burka-Verbot in der Verfassung selber eine Kleidervorschrift erlassen. Solche Vorschriften widersprechen einem weltoffenen, demokratischen Staatsverständnis, ob man die Burka gut findet oder nicht."

Dass die Gäste aus den Golfstaaten – häufig Profiteure eines diktatorischen, patriarchalen Regimes – wegen deren dicken Geldbeuteln vom Schweizer Tourismus hofiert werden, stört die Zürcher Nationalrätin. "Ich hoffe, dass diese Touristen von unserer liberalen und toleranten Gesellschaft etwas mitbekommen und nicht nur die Zürcher Bahnhofstrasse [weltberühmte Flanier- und Einkaufsmeile, N.d.R.] leerkaufen. Aber ich glaube nicht, dass sie unser Wertesystem kennen lernen, wenn wir ihnen die Burka verbieten."

"Diplomatische Lösung"

Eine vermittelnde Position zwischen Befürwortern und Gegnerinnen eines Burka-Verbots nimmt SP-Nationalrat Tim Guldimann ein. Als ehemaliger Schweizer Diplomat kennt er muslimische Gesellschaften nicht nur vom Hörensagen. Wie der Biografie auf seiner Homepage zu entnehmen ist, vermittelte er zum Beispiel in Tschetschenien 1996 den Waffenstillstand und organisierte dort die ersten freien Wahlen. 2006 erhielt er in Berlin den Moses-Mendelssohn-Preis "zur Förderung der Toleranz gegenüber Andersdenkenden und zwischen Völkern und Religionen".

Was die Verteidigung unserer Werte anbelange, teile er die Meinung seines Zürcher Parteikollegen. "Ich bin nicht für einen Multikulti-Liberalismus. Wer in unsere Gesellschaft kommt, muss unsere Kultur beachten. Und wer keine Landessprache lernen will, soll nicht die Möglichkeit haben, längerfristig hierzubleiben." Die Burka entspreche zwar nicht unserer offenen Gesellschaft, sei aber wegen der ganz wenigen Fälle irrelevant. Mit einem Verbot lasse sich das Problem nicht lösen, denn damit laufe man Gefahr, radikale Überzeugungstäter – und dazu gehörten Konvertitinnen im eigenen Land – zu provozieren.

Anstelle eines Verbots schlägt Guldimann eine pragmatischere Lösung vor: "Zum Beispiel auf dem Verordnungsweg festhalten, dass die Behörden die betreffenden Touristinnen auf unsere kulturellen Überzeugungen hinweisen und diese freundlich bitten sollen, darauf zu verzichten", sagt der erfahrene Diplomat.  © swissinfo.ch

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