Boris Johnson wird nächste Woche wohl der nächste britische Premierminister. Er gibt sich hart beim Brexit und verlangt von der EU Zugeständnisse, doch seine Forderungen scheinen unerfüllbar. Einige Abgeordnete wollen deshalb sogar die Queen in den Streit um den Brexit hineinziehen.
"Verschwenden Sie diese Zeit nicht". Mit diesen Worten warnte EU-Ratspräsident Donald Tusk die Briten, als der Brexit im April zum zweiten Mal verschoben wurde. In der neuen Frist bis 31. Oktober sollte das britische Parlament eine Mehrheit für das Brexit-Abkommen finden - so stellte sich die Europäische Union das vor. Doch in den drei Monaten seither sind die Briten keinen Schritt weiter gekommen.
In wenigen Tagen geht Premierministerin
Johnson macht vollmundige Versprechen für Änderungen am Abkommen - die die EU jedoch kategorisch ausschliesst. Ein Brexit ohne Vertrag am 31. Oktober mit verheerenden Folgen für die Wirtschaft ist daher immer wahrscheinlicher.
Sowohl Johnson als auch Hunt wollen das in Kauf nehmen. Einem Bericht zufolge könnte deshalb nun sogar die Queen in den politischen Streit um den EU-Austritt Grossbritanniens hineingezogen werden.
Abgeordnete wollen Queen zur Bittstellerin machen
Wie die BBC am Donnerstagabend berichtete, erwägen konservative Gegner eines ungeregelten Austritts, die 93 Jahre alte Königin
Die Abgeordneten könnten einen Antrag in Brüssel auf Verlängerung der Brexit-Frist per Gesetz beschliessen. Gestellt werden kann der Verlängerungsantrag jedoch nur von der Regierung.
Als britisches Staatsoberhaupt sei die Königin berechtigt, im Namen Grossbritanniens an einem EU-Gipfel teilzunehmen und ihr Land dort zu vertreten, heisst es in dem Bericht. Sie könne dann dort den Antrag auf Fristverlängerung stellen. Der Buckingham-Palast wollte sich dazu auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur nicht äussern.
Beobachter halten es für so gut wie ausgeschlossen, dass es dazu kommt. Es gilt als ungeschriebenes Gesetz in der konstitutionellen Monarchie Grossbritanniens, dass sich das Königshaus strikt aus der Politik heraushält. Die Debatte darüber zeigt jedoch, wie sehr die politische Krise in Grossbritannien inzwischen zu einer Verfassungskrise geworden ist.
Was ist das Hauptproblem des Brexit-Deals?
Als Hauptproblem beim Brexit-Deal haben Johnson und Hunt den sogenannten Backstop ausgemacht. Das ist eine Garantieklausel, die verhindern soll, dass zwischen dem britischen Nordirland und dem EU-Mitglied Irland wieder Grenzkontrollen eingeführt werden müssen.
Denn das könnte den alten Konflikt zwischen katholischen Befürwortern einer Vereinigung Irlands und protestantischen Loyalisten wieder schüren. Der Backstop sieht vor, dass Grossbritannien so lange Teil einer Zollunion mit der EU bleibt, bis das Problem anderweitig gelöst ist. Für Nordirland sollen zudem teilweise Regeln des Europäischen Binnenmarkts gelten.
Die Klausel sei ein "Instrument der Einkerkerung" Grossbritanniens in Zollunion und Binnenmarkt, polterte Johnson bei einem Radioduell Anfang der Woche. Er verlangt, den Backstop zu streichen und die irische Grenzfrage erst nach dem Austritt in einem künftigen Freihandelsabkommen mit der EU zu lösen. "Der Backstop ist tot", versicherte auch Hunt.
Was sagt die Europäische Union?
Die EU versteift sich auf die Gegenposition. "Das Austrittsabkommen lebt", sagt der deutsche Europastaatsminister Michael Roth. Und auch die EU-Kommission wiederholt stets das Mantra: Es wird nicht nachverhandelt.
Vage Hoffnung hat man in Brüssel, dass die britischen Kandidaten im Wahlkampf nur Schaum schlagen. "Das hat sich zu einem politischen Schmierentheater entwickelt", meint zum Beispiel die Grünen-Europaabgeordnete Terry Reintke. "Da wird viel geblufft."
Was geschieht als Nächstes?
Der Kandidat, der sich als Nachfolger von Theresa May durchsetzt, wird von Königin Elizabeth II. am Mittwoch mit der Regierungsbildung beauftragt. Höchstwahrscheinlich wird das Boris Johnson sein. Er übernimmt eine Regierung, die mit gerade einmal drei Stimmen nur über eine hauchdünne Mehrheit im Parlament verfügt.
Wie gross das Misstrauen gegen Johnson ist, zeigte eine Abstimmung am Donnerstag. Die Abgeordneten votierten überraschend deutlich für einen Gesetzeszusatz, der es Johnson sehr schwer machen würde, das Parlament für eine No-Deal-Lösung vorübergehend auszuschalten.
Hat Johnson einen Plan?
Der frühere Londoner Bürgermeister und Ex-Aussenminister setzt wohl darauf, dass die EU einknicken wird, wenn klar wird, wie ernst er es mit einem No-Deal-Brexit meint. Vor allem das EU-Mitglied Irland, das für die Grenzkontrollen zum britischen Nordirland sorgen müsste, werde nachgeben, hoffen die Johnson-Anhänger.
Bisher deutet nichts darauf hin. Die EU beharrt auf der Linie, dass bestenfalls die politische Erklärung über die künftigen Beziehungen beider Seiten noch zur Debatte steht. Es wird erwartet, dass Johnson im Sommer durch europäische Hauptstädte touren wird, um die bisher felsenfeste Front der EU aufzumeisseln.
Wird das Parlament in London einen No-Deal-Brexit verhindern?
Die Möglichkeiten des Parlaments sind beschränkt. Nur einen Tag nach dem erwarteten Amtsantritt von Johnson beginnt die Sommerpause. Zum Showdown dürfte es erst im September oder sogar im Oktober kommen. Die Abgeordneten müssten die Kontrolle über den Parlamentskalender an sich reissen und die Regierung per Gesetz zu einer weiteren Verschiebung des EU-Austritts zwingen.
Gelänge das nicht, bliebe den proeuropäischen Rebellen in der Tory-Fraktion nur noch, ihre eigene Regierung zu stürzen. Doch es ist unklar, wer tatsächlich zu diesem aussergewöhnlichen Schritt bereit wäre. Die Hemmschwelle ist hoch.
Gibt es bald eine Neuwahl in Grossbritannien?
Angesichts der verfahrenen Situation im Parlament gilt eine baldige Neuwahl inzwischen als wahrscheinlich. Die Frage ist, ob sie vor oder nach dem EU-Austritt stattfindet. Aus Teilen der EU gab es bereits Signale, dass der Brexit-Termin am 31. Oktober für eine Wahl noch einmal verschoben werden könnte.
"Ich bin bereit zu einer weiteren Verschiebung des Austrittsdatums, wenn aus einem guten Grund mehr Zeit nötig ist", sagt die künftige EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen. Die Aussicht ist ja auch nicht verlockend, zum Amtsantritt am 1. November als Krisenmanagerin von Spannungen auf der irischen Insel, Lastwagenstaus am Ärmelkanal und Produktionsausfällen in der Industrie beginnen zu müssen.
Allerdings hat Johnson eine Verschiebung des Brexit-Datums ausgeschlossen. Wie sein Konkurrent Hunt will er auch keine Wahl vor dem Austritt, aus Furcht vor dem Verlust von Wählerstimmen an die Brexit-Partei von Nigel Farage.
Andererseits könnte Johnson den von ihm angedrohten No-Deal-Brexit kaum ohne klare Mehrheit im Parlament durchziehen. Nur ein neues Mandat der Wähler könnte wohl einen solch drastischen Schritt absichern. (dpa/thp) © dpa
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