Beunruhigende Nachrichten aus dem Irak: Die radikale Islamistengruppe Isis erobert Stück für Stück das Land. Schon stehen sie kurz vor der Hauptstadt Bagdad. Die irakische Armee schaut hilflos zu. Wie konnte das passieren? Welche Schuld die USA am Chaos im Irak tragen.

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Der irakischen Regierung entgleitet ihr Land immer weiter. Die Städte Mossul und Tikrit hat sie bereits an die islamistische Organisation Isis (Islamischer Staat im Irak und Syrien) verloren. Zuletzt stürmten die Islamisten die grösste Ölraffinerie des Landes. Nur etwa 10.000 Mann soll die Gruppe stark sein – wie kann es ihr trotzdem gelingen, den Irak in ein solches Chaos zu stürzen?

Aufstand der Sunniten gegen die Schiiten

"Isis ist nicht allein. Sie ist nur die Speerspitze einer breiteren sunnitischen Aufstandsbewegung", sagt der Terrorismus-Experte Curti Covi vom Institut für Sicherheitspolitik der Universität Kiel. Unterstützt würden sie von Teilen des alten Regimes von Saddam Hussein sowie einigen sunnitischen Stämmen.

Was gerade im Irak geschieht, ist vor allem ein Aufstand der Sunniten gegen die Schiiten. Die beiden Glaubensrichtungen des Islam stehen sich seit jeher nicht gerade mit Wohlwollen gegenüber. Der Konflikt entstand in der Frühzeit des Islam im Streit über die rechtmässige Nachfolge des Propheten Mohammed. Im Irak sind etwa ein Drittel der Bevölkerung Sunniten, zwei Drittel Schiiten – eine Mischung, die es in sich hat. Es tobt ein ständiger Machkampf darüber, wer das Sagen im Land hat.

Unter Saddam Hussein wurden die Schiiten unterdrückt, nun, unter Premierminister Nuri al-Maliki, sind es die Sunniten, die diskriminiert werden. Dazwischen waren acht Jahre lang die Amerikaner im Land – warum hat sich nichts verändert?

USA ziehen halbverrichteter Dinge ab

"Vor dem Einmarsch 2003 war man sich in den USA nicht bewusst, was für ein Wespennest der Irak ist", sagt Covi. Entsprechend bewiesen die Amerikaner nicht viel Fingerspitzengefühl, als es um die Befindlichkeiten der einzelnen Religionsgruppen ging. Nach dem Sturz Saddams lösten sie im Eiltempo Armee und Geheimdienste auf, die Sunniten wurden aus Schlüsselpositionen verdrängt, die Macht an die schiitische Bevölkerungsmehrheit übergeben. "Das war eine sehr kurzsichtige Entscheidung", sagt Covi. Die Chance, eine ausbalancierte Führung nach dem Vorbild des Libanons zu schaffen, wurde so vertan.

Der zweite Fehler der USA war der Komplettabzug aller Truppen im Jahr 2011. Ursprünglich wollte das Land noch einige Kräfte im Irak lassen, doch Maliki weigerte sich, ein entsprechendes Abkommen zu unterzeichnen. Die Präsenz von US-Truppen hätte Isis und Unterstützer möglicherweise eher abgeschreckt.

Die Amerikaner hätten damals nicht genügend hart mit Maliki verhandelt, sagte der Konfliktforscher Christian Hacke in einem Radiointerview. So zogen sie halbverrichteter Dinge ab. Nach dem Abzug verdrängte Maliki zunehmend die Sunniten aus dem öffentlichen Leben und schaffte so den Nährboden für den jetzigen Aufstand. Darüber hinaus hatten die Amerikaner die Terrororganisationen im Irak zwar geschwächt, doch nicht endgültig vernichtet – Isis kann als ihr Nachfolger gesehen werden.

Sicher kann man den USA nicht allein die Schuld am Erstarken von Isis geben. Doch durch ihre teilweise fragwürdigen Entscheidungen während ihrer Zeit im Irak tragen sie zumindest eine Mitverantwortung. Präsident Obama arbeitet denn auch mit Hochdruck daran, die Region wieder in den Griff zu bekommen. Zwar schliesst er den Einsatz von US-Bodentruppen aus, doch hat er neben mehreren Kriegsschiffen auch eine Spezialeinheit in den Irak geschickt. Sie sei auch zum Kampfeinsatz bereit.

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