Die Regierung Chinas hat Mitglieder ethnischer Minderheiten in Internierungslager eingesperrt, um sie ideologisch umzuerziehen. Es soll sich um Hunderttausende Menschen handeln, darunter grösstenteils Uiguren. Aufgedeckt wurde der Skandal durch geleakte Regierungsdokumente. Was hinter den "China Cables" steckt und was in den Lagern vor sich geht.
Es sind geheime Dokumente mit einer unwahrscheinlichen Tragweite: Auf anonymem Wege haben brisante, von der Kommunistischen Partei Chinas verfasste Papiere das "International Consortium of Investigative Journalists" (ICIJ) erreicht. Renommierte Journalisten des "Guardian", der BBC, "Süddeutschen Zeitung" (SZ), von CBS, NDR und WDR werteten diese Dokumente aus und veröffentlichten die Ergebnisse unter dem Namen "China Cables" – und die sind der Beleg einer schweren Menschenrechtsverletzung.
Seit 2017 liegen deutliche Hinweise vor, dass es in China Internierungslager gibt; vermutlich hat das Programm zur Assimilierung aber schon 2014 begonnen. Die chinesische Regierung torpedierte Nachforschungen, was nicht zuletzt deshalb möglich war, da die Region Xinjiang, in der die Lager verortet werden, vom Rest Chinas relativ abgeschottet ist. Ausländische Journalisten bekommen kaum Zugang zu dieser Region, die chinesischen Kollegen unterliegen der Zensur.
Inhalt der "China Cables"
Die Dokumente zeigen, dass China Lager unterhält, in denen offenbar zwischen einigen Hunderttausend bis zu einer Million Menschen interniert sind, darunter grösstenteils Uiguren, zum Teil aber auch Kasachen, Kirgisen, Hui-Chinesen und Muslime anderer Ethnien, sowie Christen und offenbar auch ausländische Staatsbürger.
Deutlich wird in diesen Papieren auch, dass die Insassen eingeschlossen, komplett videoüberwacht und ideologisch "umerzogen" werden sollen.
Die chinesische Regierung bestreitet die Echtheit der Papiere, bezeichnet sie als "Fake-News" und spricht von "freiwilligen Fortbildungszentren", in denen extremes Gedankengut und Armut bekämpft werden sollen, religiöse oder persönliche Freiheiten aber respektiert würden. Nach Angabe der Regierung können die von ihr als "Schüler" bezeichneten Insassen die Zentren jederzeit verlassen.
Uiguren - Die grösste turksprachige Ethnie im chinesischen Xinjiang
Die Uiguren zählen zu den Turkvölkern und sind in der autonomen Region Xinjiang im Nordwesten Chinas beheimatet. Xinjiang - offiziell Uigurisches Autonomes Gebiet Xinjiang - macht fast 18 Prozent der Fläche Chinas aus und hat etwa 24 Millionen Einwohner. Die Uiguren, in der Mehrzahl Muslime, bilden eine Minderheit in China.
Die Regierung in Peking versucht, die Uiguren zu assimilieren, indem muslimische Gebräuche verboten und Moscheen und Friedhöfe zerstört werden.
Ausserdem werden Han-Chinesen, die grösste chinesische Volksgruppe, nach Xinjiang umgesiedelt, was zur Folge hat, dass sich der Anteil der Uiguren an der Einwohnerzahl Xinjiangs von 70 Prozent im Jahr 1949 auf mittlerweile weniger als die Hälfte reduziert hat.
Inhalte des chinesischen "Umerziehungsprogramms"
Beabsichtigt ist offenbar eine ideologische "Umerziehung" ethnischer Minderheiten. Innerhalb der Lager werden die Insassen komplett videoüberwacht; Wachtürme sollen verhindern, dass die Insassen Fluchtversuche unternehmen.
Die Insassen werden je nachdem, wie gut ihre Sprachkenntnisse der Standardsprache Mandarin sind, wie gut sie die Ideologie adaptieren und sie sich an Regeln halten - die auch so intime Details wie Körperhygiene oder Toilettenbenutzung nicht aussparen - eingestuft.
Wohlverhalten wird durch Freigänge und frühe Entlassung belohnt, Fehlverhalten durch Verlegung in einen strengeren Bereich und eine längere Inhaftierungszeit bestraft.
Nach der Freilassung erwartet die ehemaligen Insassen trotz der ideologischen und sprachlichen Schulungen nicht der versprochene, angeblich bessere Job, sondern viele werden dazu gezwungen, Arbeitsverträge mit schlechter Bezahlung zu unterschreiben.
Auch ausserhalb der Lager werden Uiguren gezielt überwacht und in einer Datenbank erfasst. Im Ausland werden sie mit Hilfe der chinesischen Botschaften und Konsulate bespitzelt.
Situation in den Lagern
Den Dokumenten ist zu entnehmen, dass die Menschen durch psychologische Manipulation "umerzogen" werden sollen. Sofern die Insassen sich widersetzen, werden sie bestraft. Selbst Familienangehörige ausserhalb der Lager müssen mit Repressalien rechnen.
Wenn die sogenannte "Umerziehung" abgeschlossen ist und die Menschen das Lager nach meist einem Jahr oder länger verlassen dürfen, werden sie weiterhin überwacht.
Die Situation in den Lagern ist offenbar desaströs. Ein ehemaliger Gefangener berichtet, mit zehn anderen Gefangenen in eine Zelle eingesperrt und wie ein Tier behandelt worden zu sein, andere Inhaftierte berichten von Folter und Vergewaltigungen.
Kulturelle Auswirkungen des Programms
Mit Hilfe künstlicher Intelligenz und modernen Überwachungstechnologien werden offenbar bereits im Vorfeld Verdächtige ausgemacht, die in der Folge verhört und/oder verhaftet werden, darunter auch die Intellektuellen des Landes.
Adrian Zenz, führender Experte für Sicherheit der Region Xinjiang, spricht in diesem Zusammenhang gar von einem "kulturellen Genozid".
Gegensätzliche Reaktionen der Staaten
Die Unterdrückung und Verfolgung der Uiguren wird von vielen Ländern wie den Mitgliedsstaaten der EU, den USA und Kanada stark kritisiert, Sanktionen werden angedroht oder verhängt.
Andere Länder wie Nordkorea, Saudi-Arabien, Syrien und weitere 34 Länder verwehren sich gegen eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten Chinas.
Die chinesischen Medien meiden das Thema, Kommentare im Internet werden schnellstmöglich gelöscht. Viele Chinesen meiden aus Angst die Region.
Verwendete Quellen:
- The New York Times: The Xinjiang Papers - 'Absolutely No Mercy': Leaked Files Expose How China Organized Mass Detentions of Muslims
- Lawfare: China - No, New Xinjiang Legislation Does not Legalize Detention Centers
- Süddeutsche.de: Die wichtigsten Fakten zu den China Cables
- Zeit Online: China Cables - Gehempapiere zeigen systematische Verfolgung von Uiguren
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.