Angebliche Vertuschungsversuche, Anweisungen an deutsche Beamte und Interventionen in Brüssel: China agiert in der Coronakrise gleichzeitig ungewohnt forsch wie unbeholfen. Was steckt hinter Pekings Strategie?

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Wuhan ist angeblich virenfrei. Am Ursprungsort der Coronavirus-Pandemie gebe es keine Patienten mehr, die wegen einer Infektion behandelt werden müssten, vermeldeten Chinas Staatsmedien am Montag. Bereits seit Anfang März berichtet Peking (bis auf eine Ausnahme) nur noch etwa 20 bis 150 neue Corona-Fälle pro Tag. Zuletzt soll sich die Anzahl sogar nur noch im einstelligen Bereich bewegt haben.

China hat das Virus besiegt – das ist die Erzählung, die Beamte und Mitarbeiter deutscher Bundesministerien weiterverbreiten sollten, wenn es nach Vertretern der Volksrepublik ginge. Am Wochenende bestätigte die Bundesregierung Kontaktversuche "mit dem Zweck, öffentliche positive Äusserungen über das Coronavirus-Management der Volksrepublik China zu bewirken".

Fast zeitgleich hätten der "New York Times" zufolge zudem chinesische Beamte in Peking und Brüssel interveniert. Sie wollten einen kritischen EU-Bericht verhindern. Angesichts dessen und immer wieder vorgebrachter Vertuschungsvorwürfe wirkt Chinas Kommunikationsstrategie in der Coronakrise zuweilen ungewohnt unbeholfen – wie ist das zu erklären?

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"China reagiert sehr plump"

"China reagiert aus deutscher Perspektive sehr plump", was die Äusserungen seiner Diplomaten und seine internationale Machtausübung angeht, bestätigt der China-Experte Nis Grünberg vom Mercator Institute for China Studies (MERICS) im Gespräch mit unserer Redaktion. Grünberg forscht in der Berliner Denkfabrik unter anderem zu Chinas Staatsführung und Ideologie.

Grünberg meint: Bisher hätten die chinesischen Diplomaten "noch nicht den Ton gefunden", wie man das Bild der Volksrepublik im Ausland am besten darstellt. "Die Botschaften wurden genauso formuliert wie in China, wo beispielsweise Anweisungen ganz normal sind. Das führte zwangsläufig zu einigen PR-Pannen", erläutert er.

China-Beobachtern wie ihm sei allerdings nicht ganz klar, ob mangelnde Erfahrung auf diesem Feld der Grund sei oder ob Peking "einfach provozieren" wolle. Womöglich sollen auch interne, chinesische Gruppen bedient werden.

Der Sinologe erkennt aber in jedem Fall eine neue Strategie in den internationalen Beziehungen unter Staatschef Xi Jinping: "China hält sich nicht mehr wie früher bedeckt, sondern agiert nun aktiver und sichtbarer."

China: USA verbreiten "unverschämte Lügen"

Dieses Vorgehen spiegelt sich auch im Umgang mit Kritik wider. Der chinesische Botschafter in Deutschland, Wu Ken, wies etwa vergangenen Donnerstag im ZDF-"Morgenmagazin" Vorwürfe von Vertuschungen in der Corona-Pandemie durch sein Land zurück – und kritisierte seinerseits die USA.

Den Vereinigten Staaten warf er vor, "eine Reihe von Verschwörungstheorien" gegen China gestartet zu haben. Dabei handele es sich "um ein Ablenkungsmanöver, um eigene Verantwortung wegzuschieben".

Mit ungewohnt drastischen Worten reagierte auch der chinesische Aussenamtssprecher Geng Shuang auf mögliche US-Entschädigungsforderungen wegen der Coronakrise. US-Politiker verbreiteten "unverschämte Lügen" über die Pandemie, sagte Geng am Dienstag. Damit wollten sie sich "vor ihrer Verantwortung für ihre eigenen, schlechten Massnahmen zur Vorbeugung und Kontrolle der Epidemie drücken und die öffentliche Aufmerksamkeit von sich ablenken".

Mangelnde Transparenz

Ein kaum verhohlener Seitenhieb auf Donald Trump. Der US-Präsident hat China wiederholt wegen seines Umgangs mit der Verbreitung des Virus scharf kritisiert. Zwischenzeitlich sprach er vom "chinesischen Virus". Washington wirft Peking vor allem mangelnde Transparenz zu Beginn der Krise vor.

Offenbar nicht ganz zu Unrecht: Wuhan korrigierte vor zwei Wochen plötzlich die Zahlen um 1.290 bislang nicht gezählte Tote auf 3.896 nach oben. Die offizielle Erklärung: Viele Menschen seien daheim gestorben, Krankenhäuser seien überlastet gewesen. Es habe "verspätete, fehlende und falsche Berichte" gegeben, wird argumentiert.

Zum Verbleib von mehreren chinesischen Bürgerjournalisten äussern sich die Behörden hingegen seit Monaten nicht. Die Enthüllungen der drei Männer zur Situation in Wuhan hatten sowohl in China als auch international für Aufsehen gesorgt – seit Februar fehlt von ihnen jede Spur.

Coronakrise beschleunigt internationale Spannungen

"Ob Handelskrieg oder 5G-Debatte: Die Coronakrise beschleunigt die existierenden Spannungen zwischen China und dem Westen", sagt MERICS-Forscher Grünberg. Von Verschwörungstheorien zum Ursprung des Virus über unhaltbare Schuldzuweisungen bis hin zu den US-Forderungen nach Reparationszahlungen: "All das ist sehr gefährlich und vergiftet das Verhältnis", betont Grünberg.

Dazu kommt: "Chinas Einflussnahme ist in den vergangenen Jahrzehnten immer umtriebiger geworden." Das Land sehe sich jetzt als Grossmacht - "als weltweit zweitgrösste Ökonomie ist das normal", bemerkt Grünberg.

Ihm zufolge will China in der Coronakrise die Botschaft verbreiten, ein kompetenter und verlässlicher Partner und Helfer zu sein, der Ärzte, medizinisches Material und Erfahrung schickt.

Diesem Image schaden aber Meldungen von unbrauchbaren Atemschutzmasken. Mehrere Länder, darunter Spanien, Kanada, die Niederlande, Tschechien und die Türkei, hatten zuletzt hunderttausende minderwertige chinesische Schutzausrüstungsprodukte zurückgerufen.

Desinformationskampagnen im Internet

Missgriffe wie diese versucht Peking auf mehreren Wegen gerade zu biegen. Neben den eingangs erwähnten Intervenierungsversuchen auf diplomatischer Ebene nutzt die Volksrepublik nun vermehrt soziale Netzwerke wie Twitter und Facebook.

Sowohl der Europäische Auswärtige Dienst als auch die Bundesregierung und das Bundesamt für Verfassungsschutz sehen verstärkt China hinter Desinformationskampagnen und Verschwörungstheorien zum Thema Coronavirus. Peking setze demnach gezielt falsche Informationen über Details des Ausbruchs und mögliche Ursachen der Pandemie in die Welt.

"Hinter den Kulissen hat China schon immer versucht, das weltweite Bild von sich zu kontrollieren. Neu ist aber die öffentliche Rolle", erklärt China-Experte Grünberg. Peking wolle in öffentlichen Debatten in den sozialen Netzwerken mitmischen. Wohl auch, weil es sich in einer neuen Rolle wiederfinde: "Zum ersten Mal schaut quasi die ganze Welt zeitgleich auf das Land", sagt Grünberg.

In dieser Situation sei es für Chinas Diplomaten umso schwerer, sich sowohl nach aussen als auch nach innen hin richtig zu verhalten. "Auf der einen Seite will man China aktiver auf – im Land selbst zensierten – Medien verteidigen, auf der anderen Seite erntet man dadurch nur noch mehr Kritik. Vielleicht reagieren sie auch deshalb so empfindlich und unroutiniert."

Mit Material von dpa und AFP.
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