Xi Jinping will den "chinesischen Traum" verwirklichen: China soll wieder zur einstigen Grösse in der Welt aufsteigen. Doch der chinesische Staatschef stösst mit diesem Grossmachtanspruch auf Widerstand - nicht nur im Ausland, sondern auch daheim.

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Nie zuvor war der Machtanspruch Chinas grösser und das Land geht selbstbewusster denn je in das neue Jahrzehnt. Aber nie zuvor war auch der Gegenwind so heftig.

Doch Xi Jinping lässt sich davon nicht beirren: "Keine Macht kann den Fortschritt des chinesischen Volkes und der Nation aufhalten", verkündete der Staats- und Parteichef zum 70. Gründungstag der Volksrepublik am 1. Oktober. Mit der gewaltigsten Militärparade in der Geschichte Chinas untermauerte er seinen Grossmachtanspruch.

Kein Zweifel, niemand hat die Aussenpolitik der Volksrepublik so umgekrempelt, keiner seiner unmittelbaren Vorgänger das Land so verändert wie Xi Jinping.

Manager und Journalisten müssen Linientreue beweisen

"Ich sehe eine Wiederbelebung von Mao Tsetungs Zeiten", sagt ein europäischer Botschafter zu der neuen Ideologisierung, die an "rote" Tugenden anknüpft. Schmerzlich fühlen sich Opfer der Kulturrevolution (1966-76) an die damalige Gesinnungsschnüffelei erinnert.

Wie damals rufen heute Parteivertreter die Manager von Unternehmen zu sich, um zu prüfen, wie gut sie die Worte des "grossen Vorsitzenden" kennen. Genauso chinesische Journalisten, die modern per Handy-App ihre Linientreue und ideologische Standfestigkeit nachweisen müssen.

Besonders seit sich Xi Jinping im vergangenen Jahr in der Verfassung verankern liess, bis an sein Lebensende herrschen zu können, geht die Angst um.

Zugleich wurde ein neues Aufsichtsgesetz erlassen, dass monatelange Inhaftierungen und Ermittlungen an der Justiz vorbei gegen alle Staatsbediensteten erlaubt. Seither trauen sich immer weniger, noch ein offenes Wort zu reden. Nicht mehr der Ministerpräsident und seine Minister regieren das Land, sondern Führungsgruppen und Kommissionen der Partei um Xi Jinping.

China fordert Ergebenheit gegen Investitionen

Schluss mit der Maxime des pragmatischen Reformers Deng Xiaoping, wonach sich China aussenpolitisch bedeckt halten und auf den richtigen Zeitpunkt warten sollte. Xi Jinping sieht ihn längst gekommen. Er will China wieder zur früheren Grösse in der Welt führen.

Zur Erfüllung seines "chinesischen Traums" soll die Initiative der "neuen Seidenstrasse" (Belt and Road) den wirtschaftlichen und politischen Einfluss ausdehnen - selbst in die Arktis.

Für seine Investitionen fordert China Ergebenheit von den Ländern, die profitieren - oder zumindest stillschweigende Duldung.

"Werte der KP nicht mit Werten des Westens vereinbar

In Maos Zeiten habe China die Revolution exportiert, heute sei es nicht anders, findet der chinesische Historiker Zhang Lifan. "Es geht darum, das chinesische Beispiel zu einem globalen Regierungsmodell zu transformieren", sagt er. "Das letztendliche Ziel ist wahrscheinlich ein globales rotes Imperium."

Die Werte der Kommunistischen Partei seien aber nicht kompatibel mit den universellen Werten des Westens. "Dieser Konflikt wird früher oder später kommen."

Napoleon beschrieb China einst als "schlafenden Riesen": "Wenn er erwacht, wird er die Welt erschüttern." Aus dem Entwicklungsland ist heute die zweitgrösste Wirtschaftsmacht geworden. China nutzt nicht nur seine wachsende wirtschaftliche und technologische Stärke, sondern füllt auch das Vakuum, das die USA mit dem Rückzug von US-Präsident Donald Trump aus der globalen Verantwortung zurücklassen.

Hongkongs politische Härte ist "erschütternd"

"China ist unter der Führung von Xi Jinping besonders in diesem Jahr ein zunehmend härteres Gegenüber geworden", sagt Kristin Shi-Kupfer vom China-Institut Merics in Berlin. Die "politische Härte", vor allem bei der Verfolgung der muslimischen Minderheit der Uiguren und gegenüber der Protestbewegung in Hongkong, sei "erschütternd".

"Knallhart" nutze China auch offene Märkte, Medien und Institutionen in der Welt für seine Zwecke: "Währendessen hat sich das chinesische Regime selbst wirtschaftlich kaum substanziell geöffnet - sondern bedrängt und bekämpft universelle Werte als westlich und schädlich."

Der Westen wirkt oft gelähmt oder noch zu beschäftigt mit den anhaltenden Folgen der Finanzkrise 2008, einem Verlust des Vertrauens in Marktwirtschaft und Demokratie sowie dem Aufstieg von Populismus, Nationalismus und Autokratie in vielen Ländern.

Europa gerät zwischen die Fronten

Europa gerät zwischen die Fronten - auf der einen Seite die angeschlagene Supermacht USA, auf der anderen das aufstrebende China. Das Gespenst eines "neuen Kalten Krieges" geht um, während Trump seinen Handelskrieg gegen China führt und eine "Entkopplung" der beiden grössten Volkswirtschaften vorantreibt.

So hat es Xi Jinping gleich mit mehreren Krisenherden zu tun. Den Handelskonflikt müsse er "zeitnah" lösen, glaubt Merics-Expertin Shi-Kupfer. Weil er so viel Macht an sich gezogen habe, werde er verantwortlich gemacht, wenn der Streit "weitere schmerzliche Folgen, aber auch zu grosse Kompromisse zur Folge hat".

Der Konflikt mit den USA werde aber auch nach einem Handelsdeal andauern - und die "grösste strukturelle Herausforderung für Xi Jinping" bleiben.

Sind viele Chinesen "heimlich" gegen Xi Jinping?

Auch die seit einem halben Jahr andauernden Proteste in Hongkong stellen Xi Jinping auf eine schwere Probe. Er müsse den Finanzplatz erhalten, wolle aber die Kontrolle über das Volk sichern, sagt Shi-Kupfer. "Xi Jinpings Gegner, die er sich unter anderem durch die Antikorruptionskampagne gemacht hat, warten nur darauf, dass er einen Fehler macht oder die Krisen eskalieren."

Ein weiteres Problem von so viel Macht: "Das Dilemma eines jeden totalitären Herrschers oder Apparats ist es, dass bestimmte Informationen aus Angst oder Kalkül nicht weitergegeben werden."

"Ich glaube, dass viele Menschen heimlich gegen ihn sind", sagt der Kritiker Zhang Lifan. An der Oberfläche seien sie unterwürfig, aber darunter verfolgten sie eigene Interessen und seien nicht kooperativ. Das dürfte sich noch verschlimmern.

Das "grösste Problem" für Xi Jinping sieht Zhang Lifan aber in dem langsameren Wirtschaftswachstum in China, das sowohl mit dem Handelskrieg als auch mit den Problemen in Hongkong zu tun habe.

"Es kann zu Unzufriedenheit der Massen mit dem Regime führen", warnt der Historiker vor Arbeitslosigkeit und sozialen Unruhen. "Nur Wirtschaftswachstum kann zeigen, dass das Regime noch einen gewissen Grad an Legitimität besitzt." (jwo/dpa)  © dpa

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