- Die Inzidenzen steigen weiter, Omikron trifft alle Bereiche des Lebens - auch die Justiz.
- Was das für Gerichtsverhandlungen und Prozesstermine bedeutet - und warum Unruhen in Gefängnissen befürchtet werden.
Im Saal 201 des Mainzer Landgerichts frösteln die Prozessbeobachter schnell und ziehen ihre Jacken wieder an. "Mitten in der Verhandlung alle 20 Minuten die Fenster aufzumachen, ist schwieriger als die ganze Zeit zu lüften", erklärt Landgerichtspräsident Tobias Eisert, warum in dem Gebäude schon scherzhaft von "Verhandlungen im Kühlschrank" die Rede ist. Lüftungs- und Hygienekonzepte, Ausweichquartiere, Verzögerungen bei Prozessen, Besuchseinschränkungen in Gefängnissen: Die Corona-Pandemie hat auch den Alltag der Justiz in Deutschland verändert.
"Durch die Omikron-Welle sind die Herausforderungen für die Gerichte zur Durchführung eines weitgehend reibungslosen Sitzungsbetriebs nochmals gewachsen", stellt der Geschäftsführer des Deutschen Richterbunds, Sven Rebehn, fest. Die Gewerkschaft Strafvollzug BSBD vermisst ein bundeseinheitliches Notfallszenario für die Gefängnisse "für den Fall, dass zahlreiche Bedienstete wegen Omikron ausfallen". "Wir sind ein elementarer Bestandteil der Inneren Sicherheit", betont der Bundesvorsitzende René Müller. Sollten so viele Bedienstete im Strafvollzug ausfallen, dass immer mehr Angebote für die Häftlinge gestrichen werden müssten, drohten "grosse Unruhen".
Nächtliches Anstehen vor Prozessbeginn
Längst nicht alle Gerichte haben ausreichend grosse Säle, um unter Corona-Bedingungen mit einer Vielzahl von Beteiligten verhandeln zu können. "Die Justiz muss deshalb auch auf Räume ausserhalb der Gerichte zurückgreifen", berichtet Rebehn, "was organisatorisch aufwendig ist." Das gilt insbesondere bei Verfahren mit grossem öffentlichen Interesse. Stadt-, Sport- und Messehallen: Die Miete der Räume verursacht zusätzliche Kosten. Brandenburgs Justizministerin Susanne Hoffmann (CDU) etwa hat daher angekündigt, die Einrichtung eines zentralen Gerichtssaals für grosse und öffentlichkeitswirksame Prozesse zu prüfen.
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Wo keine Ausweichquartiere gefunden werden, bleibt nur stundenlanges Warten. Bei einigen Prozessen stehen Zuschauer und Pressevertreter schon nachts an, um bei Verhandlungsbeginn am Morgen einen der wenigen begehrten Plätze zu ergattern. So etwa beim Prozessauftakt um den Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke vor dem Oberlandesgericht in Frankfurt. Oder der Prozessbeginn wird wegen Platzmangels vertagt, wie kürzlich etwa ein grösserer Drogenprozess am Landgericht Erfurt.
Omikron-Welle: Krankheitsfälle verzögern Prozesse
"Mit der um sich greifenden Omikron-Virusvariante ist in einigen Regionen ein spürbarer Anstieg der Krankheitsfälle beim Personal in der Justiz zu beobachten", stellt Rebehn fest. "Zudem steigt die Zahl der kurzfristigen coronabedingten Anträge auf Terminverlegung und Terminaufhebung durch Verfahrensbeteiligte."
Beim Kriegsverbrecherprozess gegen einen syrischen Arzt am OLG Frankfurt etwa sitzen für alle Fälle gleich drei Ersatzrichter auf der Bank. Immer häufiger müssen auch Verfahren unterbrochen werden. So auch der Prozess gegen eine ehemalige Sekretärin im KZ Stutthof vor dem Landgericht Itzehoe, der länger als die eigentlich erlaubte Zeit unterbrochen werden musste.
Möglich macht das eine im Frühjahr 2020 wegen der Pandemie eingeführte und bis 26. März befristete Ausnahmeregelung für längere Unterbrechungen in Strafprozessen. Deren Verlängerung prüft gerade das Bundesjustizministerium. Rebehn hält eine Verlängerung für richtig. So soll verhindert werden, dass Prozesse platzen und neu beginnen müssen. Unterm Strich gelinge es den Gerichten aber, den regulären Sitzungsbetrieb aufrechtzuerhalten und die üblichen Laufzeiten für Prozesse einzuhalten.
Richter: "Ich muss ihr Gesicht sehen können"
Als Zugangsvoraussetzung für die Gerichte gilt Rebehn zufolge grundsätzlich 3G (genesen, geimpft oder getestet). Viele Gerichte haben ein Testzentrum in unmittelbarer Nähe, falls ein ungeimpfter Zeuge, Angeklagter oder Anwalt den notwendigen Test nicht hat. Das Tragen von FFP2-Masken ist ausserhalb der Gerichtssäle Pflicht. Die Auflagen für die Sitzungen bestimmen die jeweiligen Vorsitzenden Richter und Richterinnen. "Viele lassen alle Beteiligten während der Verhandlung durchgehend FFP2-Masken tragen, auch Zuschauer müssen durchgehend eine Maske tragen."
Dabei komme es aber immer wieder vor, "dass Verfahrensbeteiligte ihre Masken nachlässig tragen oder sie nach einem Redebeitrag nicht wieder aufsetzen und deshalb wiederholt ermahnt werden müssen", berichtet Rebehn. "Was die Atmosphäre im Gerichtssaal insgesamt verschlechtert." Manchmal ist es auch der Richter oder die Richterin, der den Angeklagten oder einen Zeugen darum bittet, die Maske abzusetzen: "Ich muss Ihr Gesicht sehen können", forderte etwa der Vorsitzende Richter im Hamburger Prozess um eine mutmassliche IS-Rückkehrerin Zeugen auf.
Debatte über Auflagen
Die Thüringer Rechtsanwaltskammer fordert eine sofortige Aufhebung aller Corona-Zugangsbeschränkungen. "Ein Test dürfte als Zutrittsvoraussetzung durchaus zumutbar und in Anbetracht des durch die Pandemie erforderlich gewordenen Hygieneschutzes verhältnismässig sein", sagt dagegen die Geschäftsführerin der Bundesrechtsanwaltskammer, Stephanie Beyrich. Wenn in einem Einzelfall wegen der Regeln prozessuale Nachteile entstünden, könne dies in einem Rechtsstaat ja gerichtlich überprüft werden.
Eine flächendeckende Digitalisierung der Arbeitsplätze und des Rechtsverkehrs würden nach Einschätzung Rebehns den Gerichtsalltag unter Omikron leichter machen. "Ein Problem ist nach wie vor, dass niederschwellige Möglichkeiten zum Einsatz von Videoverhandlungen für geeignete Verfahren längst nicht in allen Gerichten zur Verfügung stehen." (Ira Schaible, dpa/af)
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