Am Sonntag vor einer Woche erlebte Belarus die bisher grössten Proteste gegen Staatschef Lukaschenko. Nun soll es eine Neuauflage des Marsches der Freiheit geben. Doch der Machtapparat warnt die Demokratiebewegung vor einer Revolution und droht.
Zwei Wochen nach der umstrittenen Präsidentenwahl in Belarus (Weissrussland) kommen die Gegner von Staatschef Alexander Lukaschenko zu einem neuen Marsch der Freiheit in Minsk zusammen. Der Beginn der Grosskundgebung samt anschliessendem Demonstrationszug ist für den frühen Sonntagnachmittag angesetzt.
Erwartet werden trotz Regenwetters Zehntausende Menschen. Am Sonntag vergangener Woche hatten sich zu den grössten Protesten in der Geschichte der Ex-Sowjetrepublik Hunderttausende Menschen in der Hauptstadt versammelt. Auch in anderen Städten kommt es seit der Wahl am 9. August täglich zu Protesten und Streiks in den Staatsbetrieben.
Die von Vorwürfen beispiellosen Betrugs begleitete Präsidentenwahl hat die grösste innenpolitische Krise des Landes ausgelöst. Der als "letzter Diktator Europas" verschriene Lukaschenko hatte sich nach 26 Jahren an der Macht mit 80 Prozent der Stimmen zum sechsten Mal in Folge zum Sieger der Präsidentenwahl erklären lassen. Auch am Samstag protestierten allein in Minsk Tausende gegen Lukaschenko.
Oppositionsführerin Tichanowskaja im Exil
Die Opposition beansprucht den Wahlsieg für die 37 Jahre alte Fremdsprachenlehrerin Swetlana Tichanowskaja. Sie ist aus Angst um ihre Sicherheit und die ihrer Kinder in das EU-Nachbarland Litauen geflohen. Von dort aus versucht sie, die Demokratiebewegung mit Videobotschaften zu steuern.
Die EU hat die Wahl nach den Fälschungsvorwürfen und der anschliessenden Polizeigewalt gegen friedliche Demonstranten nicht anerkannt. Länder wie Russland und China hingegen haben Lukaschenko zum Sieg gratuliert.
Die Lage im Land ist seither gespannt – nicht nur, weil die Menschen sich um ihre Wahl betrogen sehen. Breites Entsetzen lösten auch Bilder der Gewalt von Uniformierten gegen Bürger auf den Strassen und in den Gefängnissen aus. Es gibt Dutzende Videos und Fotos von schwer misshandelten Menschen. Lukaschenko bezeichnete die grosse Mehrheit dieser Bilder, die um die Welt gingen, als "inszeniert".
Dutzende Ärzte hatten aber die mit Blutergüssen und blutigen Striemen sowie Platzwunden übersäten Körper der Öffentlichkeit gezeigt. Die Staatsmedien berichten nicht darüber. Es gibt Hunderte Verletzte, die gegen den Staat klagen. Dutzende Internetseiten, auf denen Augenzeugenberichte zu sehen sind, sind in Belarus gesperrt.
Zahl der Toten steigt auf vier
Die Zahl der Toten stieg am Samstag von drei auf vier. Wie das Menschenrechtszentrum Wesna mitteilte, wurde ein seit dem 12. August vermisster 28-jähriger Familienvater in einem Park gefunden. Die Todesursache war unklar.
Die Opposition hat den Machtapparat mit Unterstützung der EU und Russlands zum Dialog für einen Ausweg aus der Krise aufgerufen. Lukaschenko hat dies abgelehnt. Er machte bei einem Besuch bei den Streitkräften im Gebiet Grodno am Samstag einmal mehr deutlich, dass er die Proteste vom Ausland - und zwar von den EU- und Nato-Nachbarländern Polen und Litauen - aus gesteuert sieht. Beweise lieferte er nicht, behauptete aber auch, dass es gegen Belarus gerichtete Nato-Truppenbewegungen an der Westgrenze gebe.
Lukaschenko versetzt Streitkräfte in volle Gefechtsbereitschaft
Der Staatschef versetzte die Streitkräfte in volle Gefechtsbereitschaft – zum ersten Mal in seinem Vierteljahrhundert an der Macht, wie er sagte. Lukaschenko trat in Grodno auch bei einer Kundgebung vor Unterstützern auf. Er warnte vor einer Revolution und sagte, dass die Nato zur Unterstützung Tichanowskajas bereit sei, in das Land einzumarschieren.
Verteidigungsminister Viktor Chrenin sprach ebenfalls von der Möglichkeit eines Versuches, die Macht in dem Land mit bewaffneter Gewalt zu ergreifen. Die Führung warnte, dass für einen solchen Fall der Nachbar Russland militärisch zur Stelle sein werde.
Lukaschenkos Gegner werfen dem Machthaber vor, grundlos neue Spannungen in dem Land zu schüren. Er spiele die "militärische Karte", um von der politischen Krise und von seiner Wahlniederlage abzulenken, hiess es. Viele Menschen befürchten, dass Lukaschenko eine Militärdiktatur errichten könnte. Er sagte mehrfach, er werde notfalls die Armee für die Sicherung der eigenen Macht einsetzen. (dpa/lh)
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