Trotz Kritik an seiner Politik und Person hat der aktuelle Präsident der Demokratischen Republik Kongo, Félix Antoine Tshisekedi, bei den jetzt anstehenden Wahlen beste Chancen auf eine Wiederwahl.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von David Bieber sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfliessen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

In der Demokratischen Republik (DR) Kongo wird am Mittwoch, 20. Dezember, ein neuer Präsident sowie ein neues Parlament gewählt. Die frühere belgische Kolonie hat immer noch massiv mit den Folgen der Corona-Pandemie, mit zwei Ebola-Ausbrüchen, mit dem Wiederaufleben von Rebellengruppen im Osten des Landes sowie mit eskalierenden Spannungen mit dem benachbarten Ruanda zu kämpfen.

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In diesem unruhigen Kontext wählt das knapp 96-Millionen-Einwohnerland im Zentrum des afrikanischen Kontinents nun. Rund 44 Millionen Kongolesen sind aufgerufen, Präsident und Parlament zu wählen. Zugleich finden Provinz- und Kommunalwahlen statt.

Ursula Langkamp, Landesdirektorin der Welthungerhilfe in der DR Kongo, erklärt unserer Redaktion zur aktuellen Situation vor den Wahlen: "Es wird angenommen, dass Tshisekedi die Wahl gewinnen wird. Er hat ja auch den Regierungsapparat zur Verfügung."

Der amtierende Präsident Félix Antoine Tshisekedi ist der Vorsitzende der Union für Demokratie und sozialen Fortschritt (UDPS), der ältesten und grössten Partei in der DR Kongo. Er ist der Nachfolger seines verstorbenen Vaters Étienne Tshisekedi in dieser Position. 2019 gewann der heute 60-Jährige die Wahl, als der langjährige Präsident Joseph Kibila (2001 bis 2019) nicht wieder antrat.

Tshisekedis Programm ist laut Langkamp in sechs Hauptpunkte gegliedert, die sich auf die Stärkung der einheimischen Wirtschaft konzentrieren. Konkret geht es um die "Schaffung von mehr Arbeitsplätzen in den nächsten fünf Jahren (6,4 Millionen neue Arbeitsplätze)" und die Verbesserung der Kaufkraft.

Dazu soll es auch wieder mehr Sicherheit für alle geben und einen besseren Zugang zu grundlegenden öffentlichen Dienstleistungen. Was da steht, ist bei Weitem nicht neu, bereits 2019 ging der jetzige Präsident mit einem ähnlichen Programm in den Wahlkampf.

Trotz Bodenschätzen eines der ärmsten Länder der Erde

Tshisekedis Regierungsbilanz fällt besonders bei seinen Kritikern – naturgemäss – schlecht aus. Die Jugend in grossen Städten und die Vertreter der in der DR Kongo mächtigen katholischen Kirche werfen dem Staatspräsidenten Korruption, Misswirtschaft und Untätigkeit vor.

Auch habe er die drängenden Probleme wie die hohe Arbeitslosigkeit sowie die grassierende Armut und Unterernährung des immer noch bitterarmen Landes nicht gelöst. "Zirka 26 Millionen Menschen werden als ernährungsunsicher eingestuft und sind auf humanitäre Hilfe angewiesen", erklärt Ursula Langkamp weiter.

Die Demokratische Republik Kongo ist trotz ihrer immensen Bodenschätze eines der ärmsten Länder der Erde. Es ist der weltweit führende Kobaltproduzent und der drittgrösste Kupferproduzent – Mineralien, die bei der Herstellung elektronischer Geräte und Elektrofahrzeuge verwendet werden. Dennoch lebt mehr als die Hälfte der gut 96 Millionen Menschen von weniger als 2,15 Dollar pro Tag, berichtet der Nachrichtensender Al Jazeera. Etwa 80 Prozent der kongolesischen Jugendlichen seien arbeitslos. Die Lebensmittelpreise steigen – beeinflusst durch Corona, den Ukraine-Krieg und eine geschwächte Währung. Schlechte Infrastruktur wie schlechte Strassen und fehlende Elektrizität lähmen das Land weiterhin.

Vom sich zuspitzenden Konflikt im Osten, wo die Regierung gegen militante Rebellen seit knapp drei Jahrzehnten kämpft, ganz zu schweigen. Im Gegenteil: Die Situation scheint sich an der Grenze zu Ruanda weiter zu verschlechtern.

Dennoch scheint Tshisekedi – der eine kostenlose Grundschuldbildung und Massnahmen gegen den weit verbreiteten Betrug im Bergbau einführte – sehr gute Karten auf eine Wiederwahl zu haben. Die Alten und die Landbevölkerung weiss er hinter sich. Bei ihnen verfangen die immer nationalistischeren Klänge und Parolen des Präsidenten.

Von den 26 Kandidaten (darunter nur zwei Frauen) im Wahlkampf, der am vergangenen Montag endete und laut Langkamp relativ ruhig verlief, gibt es eigentlich nur zwei Personen, die geeignet wären, ein Land wie Kongo zu regieren: Amtsinhaber Tshisekedi und Moise Katumbi. Alle anderen werden kaum wahrgenommen, obgleich auch der frühere Friedensnobelpreisträger, Menschenrechtsaktivist und Arzt Denis Mukwege kandidiert.

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Moise Katumbi als Kandidat der Opposition

"Die Opposition hat sich auf Moise Katumbi als Kandidaten geeinigt. Er steht für ein Programm mit dem Titel 'Alternative 2024 pour un Congo uni, démocratique, prospère et solidaire' (dt. 'Alternative 2024 für einen vereinten, demokratischen, wohlhabenden und solidarischen Kongo'), das darauf abzielt, schrittweise wieder einen zuverlässigen und stabilen kongolesischen Staat aufzubauen", erklärt Langkamp.

Der Sohn eines griechischen Juden, der den Holocaust überlebt hat, und einer schwarzen Kongolesin ist reich, hat als Unternehmer auf gleich mehreren Ebenen (Wirtschaft und Sport) reüssiert. Von 2007 bis 2015 war der 58-jährige Gouverneur der wirtschaftlich stärksten Provinz im Land, von Katanga im Süden. Als er aber 2015 die Partei von Langzeitmachthaber Joseph Kabila verliess, wurde er verurteilt, bedroht und floh ins Exil. Auch Katumbi wurde immer wieder Korruption und Vetternwirtschaft vorgeworfen. Von der vergangenen Wahl wurde er noch ausgeschlossen. Nun ist er zurück in der Politik und will Kongo regieren.

"Die Opposition beabsichtigt, eine Politik der institutionellen und wirtschaftlichen Umgestaltung des Landes umzusetzen. Ein besonderer Schwerpunkt liegt auf der Wiederherstellung des Friedens und der staatlichen Autorität im gesamten Land", sagt Langkamp. Dies gelte vor allem im Osten, wo seit bald 30 Jahren bewaffnete Konflikte vorherrschen und nach Angaben von Langkamp "etwa 6,1 Millionen Menschen auf der Flucht" sind.

Blutige Unruhen im Osten des Landes

Kongos Osten ist Schauplatz blutiger bewaffneter Konflikte. "Die Anzahl der bewaffneten Gruppen wird auf mehr als 100 geschätzt, von denen einige in einem sehr eng begrenzten Territorium und andere grossflächig agieren", erklärt Langkamp. Auch die direkten Nachbarländer sind von den Auswirkungen des kriegerischen Konflikts betroffen.

Die Rebellengruppe "Mouvement 23" (Bewegung des 23. März) ist die vielleicht prominenteste dieser Milizen. Sie hat sich einst aus dem Genozid in Ruanda im Jahre 1994 formiert und besteht weitgehend aus Angehörigen der Ethnie Tutsi, die während des Genozids mit knapp 800.000 Toten aus Ruanda nach Kongo geflohen sind. Unzufriedene Tutsi-Generäle in Kongos Armee traten 2012 in den Aufstand, ihre "Bewegung des 23. März" eroberte weite Teile der Provinz Nord-Kivu. 2013 zog sich die M23 im Gegenzug für Friedensgespräche nach Uganda zurück.

Der Frieden hielt nicht lange an. "Die Regierung hat mehrfach mit der Gruppe verhandelt, leider wurden Verhandlungsergebnisse nicht umgesetzt, was dazu führte, dass die M23 im Jahr 2021 wieder zu den Waffen gegriffen hat und erheblich Gebiete in den Territorien Rutshuru und Masisi, nördlich von Goma, der Provinzhauptstadt von Nord-Kivu, erobert hat." Die kongolesische Regierung bekämpft sie.

Ruanda unterstützt die M23-Rebellen, was die bilateralen Beziehungen nachhaltig verschlechterte und beide Ländern in Kriegsbereitschaft versetzte. Präsident Tshisekedi versucht, mit der Armee und mit paramilitärischen "patriotischen" Jugendmilizen die M23 zu besiegen, was ihm aber nicht gelingt. Diese Gruppen dürften ihm indes Wählerstimmen einbringen.

Versöhnung scheint kaum möglich

In den Nachwehen des Genozids und der erneuten Machtübernahme der Tutsis sind ebenfalls Hutus aus Ruanda in den benachbarten Kongo geflohen, was zu ethnischen Spannungen geführt hat. Kongo unterstützt folglich die Hutus – viele unter ihnen sind frühere Völkermordtäter –, damit der Konflikt "dahin zurückgetragen wird, wo er herkam", nach Ruanda, heisst es. Alles in allem ist die Versöhnung eine schier unlösbare Aufgabe; die Befriedung kommt nicht voran.

Verständlich, dass alle Kandidaten Pläne haben, diese Krisenregion endlich zu befrieden. So hat Katumbi kürzlich erst betont, er wolle mehr als fünf Milliarden Euro für die betreffenden Provinzen North Kivu und Ituri bereitstellen. Amtsinhaber Tshisekedi verspricht die "totale Befreiung des Osten".

Ob die Wahlen tatsächlich stattfinden, war lange nicht sicher. Gerüchte machten die Runde, der Verfassungsrat könnte die Wahlen verschieben. Die Verteilung der Wahlmaschinen und der Stimmzettel verzögerte sich, die verfügbaren Transportkapazitäten waren gering. Teile der Bevölkerung im Osten sind durch die dortigen Konflikte von den Wahlen ausgeschlossen. "Die Regierung hat eigentlich keine Präsenz, die es ermöglicht, die Wahlen ordnungsgemäss durchzuführen", sagt Ursula Langkamp.

Irritationen hat auch der Abzug der EU-Wahlbeobachter ausgelöst. Ihnen wurde vor drei Wochen die Nutzung von Satellitentelefonen aufgrund von Datensicherheit untersagt. Die Europäer haben daraufhin ihren Einsatz abgesagt.

Über die Gesprächspartnerin

  • Ursula Langkamp ist seit April 2022 Landesdirektorin der Welthungerhilfe in der Demokratischen Republik Kongo. Sie lebt im ostkongolesischen Goma. Ein grosser Fokus ihrer Arbeit liegt auf der Bekämpfung von Hunger, Ernährungsunsicherheit und Armut, von der vor allem die vielen intern Vertriebenen und sie aufnehmenden Gastfamilien betroffen sind. Insgesamt arbeitet die Welthungerhilfe mit 12 lokalen Organisationen im Osten des Kongo zusammen.

Verwendete Quellen

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