57% Ja: Die Schweizer Stimmbürgerinnen und Stimmbürger haben die Sanierung des Gotthard-Strassentunnels respektive den Bau einer zweiten Röhre für Autos und Lastwagen klar gutgeheissen. Die Stimmbeteiligung betrug 62%. Sie war damit so hoch wie seit 24 Jahren nicht mehr.
Den rund 1'883'741 Ja-Stimmen standen rund 1'420'481 Nein gegenüber, wie die Bundeskanzlei am Abend das vorläufige amtliche Ergebnis auswies.
Die Klarheit des Entscheides zeigt sich auch beim Blick auf die Schweizer Karte: Die beiden Westschweizer Kantone Waadt und Genf waren die einzigen Kantone, in denen eine Nein-Mehrheit überwog. Dort legten je rund 55% ein Nein ein. Die höchsten Ja-Anteile mit je rund 68% kamen aus den Kantonen Aargau und Schwyz.
Interessant ist der Blick auf Uri und Tessin, jene beiden Kantone also, die der Gotthardtunnel direkt verbindet: In Uri lag der Ja-Anteil bei vergleichsweise tiefen 53% - der Kanton an der Nordpforte des Tunnels war gespalten. Wie auch das Tessin, wo aber immerhin 57,8% für die neue Röhre votierten. Der Bau der zweiten Tunnelröhre soll um 2020 beginnen; die Eröffnung ist für 2027 geplant. Erst danach wird die Sanierung des jetzigen Tunnels angepackt. Ab 2030 soll der Verkehr dann den Gotthard durch zwei moderne Tunnel queren.
Sicherheit und Solidarität: Diese beiden Argumente gaben den Ausschlag zugunsten einer zweiten Gotthardröhre. Dennoch können sich Regierung und die bürgerlichen Parteien nicht zurücklehnen. Aus Sicht der Gegner müssen sie nun den Beweis erbringen, dass künftig keine noch grössere Blechlawine die Nord-Süd-Achse überrollt.
Bekenntnis zum Alpenschutz als Verfassungsauftrag
Verkehrsministerin Doris Leuthard zeigte sich erfreut über das Ergebnis. Das Schweizer Volk habe mit dem Ja signalisiert, dass es gute und sichere Strassenverbindungen wolle. Es habe aber auch ein klares Bekenntnis abgelegt, Rücksicht auf die Anliegen aller Landesteile zu nehmen, lobte sie.
Der Alpenschutz bleibe auch mit der zweiten Tunnelröhre gewahrt, versicherte Leuthard. "Die Befürchtung der Gegner, den Alpenschutz damit unterlaufen, ist dem Bundesrat sehr bewusst. Das Verlagerungsziel bleibt Politik des Bundesrates", sagte sie. Der Anteil des alpenquerenden Güterverkehrs werde jedes Jahr gesteigert und betrage heute 68%. "Wir werden diese Politik fortsetzen."
Hans-Ulrich Bigler, der als Direktor des Schweizerischen Gewerbeverbandes zuvorderst für ein Ja zum Bau eines zweiten Strassentunnels eintrat, führte den Erfolg auf ein "sauberes Strategiepaket" zurück. "Wir haben eine sichere Sanierungsvariante vorgelegt, die nachhaltig ist und Stau verhindert. Und wir haben die verschiedenen Varianten sehr sorgfältig geprüft." Das Verdikt will der freisinnig-bürgerliche Nationalrat ausdrücklich nicht als "Votum gegen den öffentlichen Verkehr" verstanden wissen.
"Keine Öffnung auf vier Spuren"
Befürchtungen der Gegner, dass die beiden Röhren später je zweispurig befahren würden, erteilte Bigler eine Absage. "In der Verfassung steht, dass sie nur einspurig durchfahren werden dürfen. Zudem wird auch das Tropfenzählersystem (die Begrenzung der Tunneldurchfahrt für Lastwagen, die Red.) künftig gesetzlich geregelt."
Auch Toni Brunner, Christophe Darbellay und Philipp Müller, die Präsidenten der bürgerlichen Regierungsparteien SVP, CVP und FDP, versicherten, dass die Verfassung respektiert würde und es beim Einspurverkehr durch den Gotthard bleiben werde.
Aufatmen herrschte auch im Kanton Tessin, der durch den Gotthardtunnel mit der übrigen Schweiz verbunden ist. Regierungspräsident Norman Gobbi sah die Sicherheit und den nationalen Zusammenhalt als entscheidend für den positiven Ausgang. Schweizweit habe die Bevölkerung davon überzeugt werden können, dass das Sanierungsprojekt ohne eine Kapazitätserhöhung am Gotthard vollzogen werde.
Tatbeweis von Leuthard gefordert
Auf der Verliererseite hat Jon Pult, Präsident der Alpen-Initiative, bereits angekündigt, nun die Politiker in die Pflicht zu nehmen. "Sie müssen nun zu ihren Versprechungen stehen, dass es wirklich nur um eine Tunnelsanierung und keinen Kapazitätsausbau geht."
Sie müssten zeigen, dass ein zweiter Gotthardtunnel in Zukunft nicht mehr Verkehr zur Folge habe. "Unsere Aufgabe wird es sein, im Rahmen der Neat (der Neuen Eisenbahn-Alpentransversalen, die Red.) die Verlagerung von Gütern von der Strasse auf die Schiene weiter voranzutreiben", sagte der Bündner.
Schwer enttäuscht zeigte sich Andreas Weissen, Ehrenpräsident der Alpeninitiative. "Wir erwarten nun vor allem von Verkehrsministerin Doris Leuthard den Tatbeweis, dass sie es ernst meint und jetzt in Sachen Alpenschutz Nägel mit Köpfen macht."
Sozialdemokraten und Grüne wollen künftig noch stärker auf den Vollzug des Verfassungsauftrags zur Verkehrsverlagerung von der Strasse auf die Schiene pochen. "Wir müssen verhindern, dass 60-Tönner künftig auf dieser Strecke fahren", sagte Grünen-Präsidentin Regula Rytz. Sie und die Sozialdemokraten forderten eine Garantie, dass die Tunnel auch künftig nur einspurig befahren werden dürfen.
Klare Erwartungen herrschen auch auf der Nordseite des Tunnelportals. Die Regierung des Kantons Uri, welche die Vorlage bekämpfte, fordere die Achtung des Alpenschutzes auch mit einer zweiten Röhre, machte der Urner Baudirektor Markus Züst klar.
Transalpine Verkehrsachse Nummer 1
Der Gotthard-Strassentunnel wird jedes Jahr von rund fünf Millionen Autos und 900‘000 Lastwagen durchquert. Der motorisierte Verkehr, der seit der Eröffnung 1980 durch die Röhre rollt, hat dem Bauwerk zugesetzt. Nach über 35 Jahren muss der Tunnel, der mit seinen knapp 17 Kilometern zu den längsten Strassentunnel der Welt zählt, saniert werden.
Die Schweizer Regierung und das Parlament haben sich für die Variante einer gänzlichen Schliessung der Röhre während der langwierigen Arbeiten entschieden. Damit der Verkehr auf der wichtigsten Nord-Süd-Achse aber nicht zum Erliegen kommt, soll vor dem Start der Erneuerungsarbeiten eine zweite Tunnelröhre gebaut werden. Und genau diese zweite Röhre für den Strassenverkehr war es, die im Abstimmungskampf für heisse Köpfe und laute Töne sorgte.
Die Befürworterseite mit den bürgerlichen Parteien an Bord verwies auf das beste Kosten-Nutzen-Verhältnis mit einem zweiten Tunnel sowie auf das Argument der Sicherheit. In den letzten 14 Jahren sind im Gotthardtunnel bei Verkehrsunfällen 21 Menschen umgekommen. Allein 11 Todesopfer hatte die Brandkatastrophe von 2001 gefordert. Auslöser war damals die Kollision zweier Lastwagen im Tunnel-Inneren.
Mit einer zweiten Röhre würde der seit 1994 bestehende Verfassungsauftrag zur Verlagerung des motorisierten Verkehrs durch die Schweizer Alpen von der Strasse auf die Schiene sabotiert, monierten dagegen die Gegner der Vorlage.
Sie glauben Verkehrsministerin Doris Leuthard nicht, die zugesichert hat, dass nach erfolgter Erneuerung beide Röhren nur je einspurig befahren werden dürften und somit kein Mehrverkehr entstünde.
Doch der Druck der Auto- und Strassenlobby sowie jener Europas würde schlicht zu gross, prognostizierte das gegnerische Lager. Gleichzeitig würde ein neuer Strassentunnel das milliardenschwere Projekt des Bundes für eine neue und schnelle Eisenbahnverbindung durch die Alpen, die Neat, sabotieren.
Dem gegnerischen Lager gehörten vorwiegend Linke und Grüne an. Aber vor der Abstimmung sprachen sich immer mehr Stimmen auch aus dem bürgerlichen Lager gegen das Vorhaben aus. © swissinfo.ch
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