In Deutschland werde zu wenig gearbeitet, klagen nicht nur Teile der Politik, sondern auch manche Ökonomen. Doch stimmt dieser Befund, und woher könnte überhaupt mehr Arbeitskraft kommen?

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"In Italien, in Frankreich und anderswo wird deutlich mehr gearbeitet als bei uns", sagte Finanzminister Christian Lindner erst vergangenen Monat nach Informationen von "t-online". Auch vom arbeitgebernahen Institut der Deutschen Wirtschaft Köln kommt die Forderung an die Politik, bessere Anreize für eine höhere Arbeitsbereitschaft der Arbeitnehmer zu schaffen.

Doch wie steht es um die geleistete Arbeitszeit wirklich? Bei der durchschnittlichen Wochenarbeitszeit liegen Beschäftigte in Deutschland im EU-Vergleich nicht an der Spitze, wie Zahlen der europäischen Statistikbehörde Eurostat ergeben, die das Statistische Bundesamt veröffentlicht hat. So lag die durchschnittliche Wochenarbeitszeit in Deutschland für das Jahr 2022 bei 34,7 Stunden pro Woche. Das ist erkennbar weniger als beim EU-Durchschnitt. Der lag bei 37 Stunden. In Griechenland lag die durchschnittliche Wochenarbeitszeit gar bei 41, in Bulgarien bei 40,2 Stunden pro Woche.

Durchschnittliche Wochenarbeitszeit in Deutschland EU-weit nur im Mittelfeld

Doch wie aussagekräftig kann ein solcher Vergleich, der einzelne Länder gegenüberstellt, überhaupt sein? Je nach Land gäbe es unterschiedliche Modelle der Arbeitsorganisation, eine andere Wirtschaftsstruktur oder etwa unterschiedlich hohe Selbständigen-Quoten, sagt Susanne Wanger vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg. All dies habe Einfluss auf die Länge der Arbeitszeiten.

Zudem könnten längere Arbeitszeiten nicht per se als Standortvorteil gewertet werden, schliesslich seien als Massstab für die Wettbewerbsfähigkeit von Volkswirtschaften auch etwa die Produktivität entscheidende Faktoren, betont Wanger. Die konkrete Ausgestaltung von Kinderbetreuung, von Elternzeiten und von Erwerbsanreizen sei hier entscheidend.

Bei der Höhe der durchschnittlichen Wochenarbeitszeit in Deutschland spiele laut Mattis Beckmannshagen vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung die Struktur der Erwerbsarbeit von Frauen hierzulande eine ganze wesentliche Rolle. Der Arbeitsmarktexperte weist darauf hin, dass zwar die Erwerbsbeteiligung von Frauen in Deutschland vergleichsweise hoch sei, doch arbeiteten sie häufig in Teilzeit. "Es ist die Kombination aus beiden Faktoren – hoher Erwerbsbeteiligung von Frauen und hoher Teilzeitquote – welche die durchschnittliche Arbeitszeit der Beschäftigten in Deutschland niedrig erscheinen lässt", so der Experte.

Arbeitnehmer in Deutschland haben noch nie so viel gearbeitet wie im letzten Jahr

Ein anderes Bild zur Arbeitsleistung in Deutschland ergibt sich ohnehin, wenn man nicht auf die durchschnittliche Wochenarbeitszeit, sondern die Summe der geleisteten Stunden pro Jahr blickt. Hier zeigt sich: Die Beschäftigten in Deutschland haben "im Jahr 2023 insgesamt so viele Arbeitsstunden geleistet wie noch nie", erklärt Mattis Beckmannshagen vom DIW. So hat das DIW kürzlich errechnet, dass die Arbeitnehmer in Deutschland im Jahr 2023 knapp 55 Mrd. Stunden gearbeitet haben. 1991 waren es noch 52 Mrd. Stunden. Und in der Zwischenzeit war die Arbeitsleistung sogar schon einmal noch geringer. 2005 etwa lag das Arbeitsvolumen bei 47,1 Mrd. Stunden.

Dieses derzeit hohe Gesamtarbeitsvolumen hänge vor allem mit der hohen Erwerbsbeteiligung zusammen, erklärt der Arbeitsmarktexperte Beckmannshagen. Das bedeutet: Auch wenn bestimmte Gruppen eher in Teilzeit arbeiten, macht sich hier die schiere Masse der Menschen, die im Arbeitsmarkt sind, deutlich bemerkbar.

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Wie kann in der Zukunft die benötigte Arbeitskraft gedeckt werden?

Dennoch ist dies offenbar kein Grund, entspannt in die Zukunft zu sehen. Denn langfristig stellen sich ganz andere Fragen. Bis 2035 würde die dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehende Anzahl von Erwerbspersonen deutlich sinken, erklärt Alexander Kubis vom IAB Nürnberg. Und einfache Lösungen scheint es hierfür nicht zu geben.

Man müsse "viele verschiedenen Bausteine zum Gegensteuern ergreifen", so Kubis. Etwa könnte bei der Qualifikation der Menschen angesetzt werden. Zu viele Menschen hätten derzeit keinen passenden Bildungsabschluss, erklärt der Arbeitsmarktforscher vom IAB. Demnach seien die Themen Aus- und Weiterbildung, sowie insbesondere das "lebenslange Lernen" von hoher Bedeutung.

Dass der Arbeits- und Fachkräftebedarf aufgrund der Alterung der Gesellschaft sich zu einer besonderen Herausforderung entwickeln wird, sagt auch Mattis Beckmannshagen vom DIW. Um hier Abhilfe zu schaffen, müssten Potenziale gehoben werden. Diese lägen nach Ansicht des Experten vom DIW etwa in der Gruppe der Frauen und vornehmlich bei Müttern. In diesen Personengruppen seien die Arbeitszeiten gegenwärtig im Schnitt niedriger. Zudem sei bei manchen Müttern der Wunsch verbreitet, ihre Arbeitszeit ausweiten zu können. "Dies deutet darauf hin, dass eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf ein entscheidender Schlüssel sein könnte, um die vorhandenen Potenziale bei Frauen und Müttern zu heben", sagt Beckmannshagen. Notwendig sei in diesem Zusammenhang dann aber auch eine andere Verteilung der Care-Arbeit im Haushalt zwischen den Geschlechtern.

Ein anderer Baustein ist die Zuwanderung. Diese könne eine wesentliche Rolle dabei spielen, den Arbeitskräftebedarf zu decken, sagt der Experte vom DIW. "Dafür", mahnt Beckmannshagen, "müsste sich Deutschland stärker als Einwanderungsland präsentieren und attraktivere Bedingungen für Migrantinnen und Migranten schaffen."

Über die Experten:

  • Susanne Wanger, Wissenschaftlerin am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB)
  • Dr. Alexander Kubis, Wissenschaftler am Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung Nürnberg (IAB)
  • Dr. Mattis Beckmannshagen, Arbeitsmarktexperte am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung Berlin (DIW)

Verwendete Quellen:

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