In letzter Zeit häufen sich aufgedeckte Spionagefälle in Deutschland. Vor allem Russland und China stehen im Zentrum der Aufmerksamkeit. Doch warum ist Deutschland für sie so interessant und was macht das Land besonders anfällig? Experten geben Antworten.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Michael Freckmann sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfliessen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Erst wurden zwei Männer festgenommen, die für Russland spioniert und mutmasslich Anschläge auf militärische Ziele in Deutschland geplant haben sollen. Eine Woche später griff die Generalbundesanwaltschaft erneut zu. Diesmal stand unter anderem ein Düsseldorfer Ehepaar im Fokus, das Informationen über militärisch nutzbare Technologien weitergegeben haben soll, wie tagesschau.de berichtete. Der Vorwurf: Spionage für China. Ebenfalls für China spioniert haben soll nach Angaben des ZDF ein Mitarbeiter des AfD-Spitzenkandidaten für die Europawahl, Maximilian Krah.

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Diese Formen der Einflussnahme, insbesondere durch China und Russland, sind in Expertenkreisen seit Jahren bekannt. Ein wichtiger Faktor vonseiten Chinas sei die Industriespionage in Deutschland, sagt Frank Umbach, Sicherheitsexperte der Universität Bonn. Diese chinesischen Angriffe hätten oft auch mittels staatlicher oder staatlich unterstützter Cyberangriffe stattgefunden. Erst kürzlich meldete der Spiegel, dass VW offenbar über Jahre ausgespäht wurde. Dabei spreche einiges dafür, dass es sich dabei um staatliche chinesische Hacker gehandelt habe.

Industriespionage für China von hoher Bedeutung

Die Industriespionage richte sich laut Frank Umbach besonders stark auf Energietechnik und Entwicklungen im Bereich der Digitalisierung und der Künstlichen Intelligenz. Ebenfalls im Fokus chinesischer Geheimdienste stünden laut Umbach sogenannte "Dual Use Technologien". Dabei handelt es sich um Technologien, die sowohl zivil als auch militärisch genutzt werden könnten. Im Zuge der militärischen Aufrüstung Chinas habe die Spionage auf diesem Gebiet zuletzt stark zugenommen, sagt Umbach. Dies zeigte nicht zuletzt die Festnahmen in Düsseldorf.

Mit Blick auf Russland ergebe sich ein etwas anderes Bild, sagt Frank Umbach. Die Industriespionage sei immer schwächer ausgeprägt gewesen, als jene aus Peking. Russland sei es lange Zeit vorrangig um "das Ausspähen der politischen und wirtschaftlichen Entscheidungsprozesse" gegangen, sagt Umbach. Hierbei sei für die Russen besonders der Bau der Nordstream Pipelines von Bedeutung gewesen.

Kritische Infrastrukturen im Fokus

Doch nicht nur Russland hat seinen Fokus auf politische Entscheidungsprozesse gerichtet. So sei in den letzten Jahren auch das Ausspähen politischer Entscheidungen und Akteure durch chinesische Dienste als weiterer Faktor dazu gekommen, erklärt der Experte von der Universität Bonn. Hierzu zählten etwa das Kanzleramt, verschiedene Ministerien, der Bundestag, einzelne Agenturen und Industrieverbände. Auch EU-Institutionen seien im Fokus solcher Aktivitäten. Ziel der Spionage sei es, so Umbach, einzelne Akteure innerhalb dieser deutschen oder europäischen Institutionen im Sinne Pekings und seiner wirtschaftlichen und regionalpolitischen Ziele zu beeinflussen.

Neben der Industriespionage und den Versuchen politischer Einflussnahme sei aber auch eine weitere Entwicklung zu beobachten, sagt Umbach. "Seit einigen Jahren richtet sich die Spionage beider Länder auch zunehmend auf Verwundbarkeiten und Hintergrundinformationen zu kritischen Infrastrukturen", sagt der Bonner Experte. Diese Strukturen könnten vor allem in Krisen- und Konfliktfällen sabotiert werden. Mittel hierzu seien etwa sogenannte Schlafviren, die in Stromnetze und ähnlichen kritischen Energie- oder Internetinfrastrukturen platziert werden könnten.

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Deutschland biete "Sonderbedingungen" für ausländische Dienste

Doch steht Deutschland dabei im Vergleich zu seinen europäischen Nachbarn in einem besonderen Fokus? Es gäbe mehrere "Sonderbedingungen", warum Deutschland für Russland, aber auch China als Ziel besonders attraktiv sei, sagt der Geheimdienstexperte Erich Schmidt-Eenboom. Er ist Vorsitzender des Forschungsinstituts für Friedenspolitik in Weilheim. Deutschland sei deswegen so sehr im Zentrum ausländischer Spionageaktivitäten, weil es in der EU so eine zentrale Rolle spiele, sagt Erich Schmidt Eenboom. Zudem finde aktuell eine Neuausrichtung der China-Politik vonseiten Deutschlands, aber auch durch die EU statt. Die politischen Positionen der Akteure zu erfahren, sei für Agenten von besonderem Interesse.

Hinzu käme der Umstand, dass es während der Kanzlerschaften von Schröder und Merkel mit ihrer Nähe zur Russischen Föderation "Zugangserleichterungen" gegeben habe. Diese "Altlasten" wirkten noch fort. Zudem verbreiteten einzelne Akteure der AfD nicht nur immer wieder russische und chinesische Propaganda, so Schmidt-Eenboom. Vielmehr spiele die Nähe zur AfD für potenzielle Agenten für Russland und China mittlerweile eine ausschlaggebende Rolle.

Nicht zuletzt gäbe es auch immer wieder aus der in Deutschland recht grossen Community der Russlanddeutschen einzelne Personen, die sich dem russischen Geheimdienst anbieten würden. Wenngleich die übergrosse Mehrheit der Menschen aus dieser Community vollständig in Deutschland integriert seien, wie Schmidt-Eenboom betont. Diese ganzen Faktoren zusammengenommen unterschieden Deutschland von anderen EU-Staaten, so der Experte.

Seit Jahrzehnten ist deutsche Gegenspionage abgebaut worden

Dem gegenüber sieht Schmidt-Eenboom auch einige Versäumnisse deutscher Behörden. So erlebe man schon seit Jahrzehnten einen Abbau der Spionageabwehr. Gegenspionage habe der BND über Jahrzehnte gar nicht betrieben und erst im Jahr 2017 damit wieder angefangen – "bisher ohne grossen Erfolg", wie Schmidt-Eenboom beklagt. Beim Verfassungsschutz gäbe es derzeit 800 unbesetzte Stellen. "Das hängt natürlich auch damit zusammen, dass unsere Nachrichtendienste, der BND und der Verfassungsschutz, beide nicht den allerbesten Ruf in der Gesellschaft geniessen", so der Geheimdienstexperte.

In all diesen Baustellen sieht Erich Schmidt-Eenboom aber auch erste Lichtblicke. Bei der Cyberabwehr habe man sich etwa mit seinem neuen Abwehrzentrum "nachhaltig besser aufgestellt". Hier habe die Bundeswehr gute Fähigkeiten und arbeite mit dem Abwehrzentrum in Litauen und mit amerikanischen Diensten zusammen. Dies sei vielversprechend, sagt Schmidt-Eenboom, "es ist aber auch der einzige Sektor, auf dem wir grössere Erfolge verzeichnen können."

Was den gesamtgesellschaftlichen Bereich der Cybersicherheit angeht, sei jedoch noch viel zu tun, mahnt der Bonner Sicherheitsexperte Frank Umbach. Es gäbe immer noch ein mangelndes Problembewusstsein in Behörden, Ministerien, aber auch bei vielen Unternehmen. Investitionen in ausreichende Cybersicherheit seien zumeist unzureichend. Wichtig sei, so Umbach, dass "vom Vorstandschef bis zum einfachen Angestellten ein entsprechendes Sicherheitsbewusstsein vorhanden ist und dies auch in der täglichen Arbeit mitgedacht und umgesetzt wird."

Über die Gesprächspartner:

  • Dr. Frank Umbach ist Forschungsleiter des europäischen Cluster für Klima-, Energie- und Ressourcensicherheit (EUCERS) am CASSIS - Center for Advanced Security, Strategic and Integration Studies der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
  • Erich Schmidt-Eenboom ist Geheimdienstexperte und Vorsitzender des Forschungsinstituts für Friedenspolitik e.V. Weilheim

Verwendete Quellen:

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