Die Abhängigkeit Deutschlands von ausländischen Geheimdiensten prägt die sicherheitspolitische Debatte in der Bundesrepublik seit Jahrzehnten. Die Ursachen dafür sind vielschichtig und zum Teil tief in der deutschen Geschichte verwurzelt. Wie steht es angesichts einer weltweit komplexen Bedrohungslage um unsere Sicherheit?
Als Rheinmetall-Chef Armin Papperger 2024 "CNN" zufolge Ziel eines russischen Anschlagsplans werden sollte, soll zunächst der US-Geheimdienst, insbesondere die Central Intelligence Agency (CIA), die deutschen Behörden auf die Gefahr aufmerksam gemacht haben. Bereits ein Jahr zuvor hatte laut Informationen des "NDR" die National Security Agency (NSA) die deutschen Sicherheitsbehörden über einen Syrer informiert, dessen Online-Bestellungen Verdacht erregten. Nachdem er überwacht worden war, wurde er schliesslich verhaftet, zusammen mit seinem Bruder soll er einen Anschlag mit einem selbstgebauten Sprengstoffgürtel geplant haben.
Und 2018 hatte die CIA die deutschen Behörden auf ein Ehepaar aus Köln hingewiesen, das ebenfalls durch verdächtige Online-Bestellungen aufgefallen war. Diese deuteten auf die Herstellung von Rizin hin, der Hinweis an die deutschen Behörden verhinderte einen möglichen Giftanschlag.
"Alle grösseren Anschlagspläne der letzten 20 Jahre wurden nach ersten Hinweisen aus den USA vereitelt", kritisierte Terrorismus-Experte Guido Steinberg bereits 2021 im "Tagesspiegel" die Abhängigkeit Deutschlands von den Vereinigten Staaten. Doch warum scheinen die USA eine effektivere Gefahrenabwehr in Deutschland zu gewährleisten als die Bundesrepublik selbst?
Massives Ungleichgewicht zwischen Deutschland und den USA
Das liegt zum einen an den personellen Voraussetzungen – die sind grundsätzlich unterschiedlich. "Wenn man bedenkt, dass die NSA 100.000 Mitarbeiter hat, der BND jedoch nur 7.000, von denen 1.000 Stellen unbesetzt sind und höchstens ein Drittel in der fernmeldeelektronischen Aufklärung tätig ist, wird das Ungleichgewicht deutlich", betont Erich Schmidt-Eenboom, Sachbuchautor und Vorstandsvorsitzender des Forschungsinstituts für Friedenspolitik e.V., im Gespräch mit unserer Redaktion.
Der BND, zusammen mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) und dem Militärischen Abschirmdienst (MAD) einer der drei zentralen Nachrichtendienste Deutschlands, könne in vielen Bereichen, insbesondere im Bereich des internationalen Terrorismus, nur stichprobenartig aufklären, führt Schmidt-Eenboom, der sich seit Jahren mit der Welt der Geheim- und Nachrichtendienste befasst, weiter aus. Im Vergleich dazu überwachten die NSA und der operative technische Teil der CIA weltweit nahezu alles. Selbst eine drastische Erhöhung der finanziellen Mittel würde Deutschland nicht auf das Niveau der USA heben.
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Eine mögliche Alternative wäre Schmidt-Eenboom zufolge die Schaffung eines europäischen Nachrichtendienstes. Dieser Ansatz scheitere jedoch immer wieder an nationalen Eigeninteressen, beispielsweise der Briten, die in diesem Bereich fortschrittlicher aufgestellt seien als Deutschland und andere europäische Länder. Der Geheimdienstexperte erkennt jedoch einen möglichen Sinneswandel, da das enge Bündnis zwischen London und Washington unter
Datenschutz hat in Deutschland einen besonders hohen Stellenwert
Zum anderen spielt die deutsche Geschichte eine wesentliche Rolle. Der Datenschutz ist hierzulande eng mit den Erfahrungen aus der Zeit des Nationalsozialismus und der DDR verbunden. Diese beiden Epochen prägten das Bewusstsein für den Schutz persönlicher Daten und die Privatsphäre massgeblich. Während das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und Datenschutz in Deutschland besonders hochgehalten wird, ist die Gesetzeslage in den USA grundlegend anders. Der "Patriot Act", der nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 erlassen wurde, erlaubt den Sicherheitsbehörden den Zugriff auf Telefon-, E-Mail- und Internetdaten von Personen, die verdächtigt werden, in terroristische Aktivitäten involviert zu sein.
"Es ist offensichtlich, dass wir in gewisser Weise von den US-amerikanischen Nachrichtendiensten abhängig sind, da sie Zugang zu Informationen haben, die unseren europäischen Diensten aufgrund strengerer Regularien oft fehlen", erklärt Thilo Weichert, Vorstandsmitglied der Deutschen Vereinigung für Datenschutz e.V. und Mitglied des Netzwerks Datenschutzexpertise, unserer Redaktion. In Deutschland gehe es stets um die Abwägung zwischen dem Sicherheitsbedürfnis auf der einen und den Anforderungen des Datenschutzes auf der anderen Seite. "Grundsätzlich hat sich an dieser Herausforderung durch die aktuelle politische Lage nichts geändert", sagt Weichert.
Schmidt-Eenboom hält das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und Datenschutz in Deutschland im Gegensatz zu manchem Kritiker ebenfalls für angemessen. Er bemängelt vielmehr die Zersplitterung der deutschen Geheimdienstlandschaft, die aus dem Bundesamt für Verfassungsschutz und 16 Landesämtern besteht. "Das ist längst überholt. Man müsste die Verfassungsschutzämter der Länder abschaffen und alles unter dem Bundesamt in Köln vereinen. Das wäre schon ein grosser Gewinn für die Schlagkraft", sagt er, sieht aber kaum bis gar keine Chancen für eine Reform: "Diese Forderungen, die bereits frühere BND-Chefs erhoben haben, werden sich nicht durchsetzen, weil die Ministerpräsidenten auf diesem Sektor immer einen eigenen kleinen Geheimdienst haben wollen."
Wie viel Druck wird Donald Trump ausüben?
Nun haben die USA Donald Trump erneut zum Präsidenten gewählt. Wird sich das auf den Austausch zwischen den Diensten, der ja recht einseitig verläuft, auswirken? Schmidt-Eenboom befürchtet, dass Trump, ähnlich wie bei den Diskussionen um die Nato-Militärausgaben, mit Konsequenzen auf diesem Gebiet drohen könnte – beispielsweise, indem der Informationsfluss eingeschränkt wird, wenn die betroffenen Länder nicht mehr Ressourcen investieren und Informationen liefern.
Trotz dieser Sorge geht der Experte davon aus, dass die US-Geheimdienste unter Trump auch weiterhin Terrorwarnungen ohne Gegenleistung weitergeben werden. "Die US-amerikanischen Nachrichtendienste werden sich nicht vorwerfen lassen, von einem geplanten Attentat in Europa gewusst zu haben und es den Partnerdiensten nicht mitgeteilt zu haben", erklärt Schmidt-Eenboom. Das habe sich auch in der Vergangenheit gezeigt: Selbst gegenüber feindlichen Staaten wie Russland gaben die USA Warnungen vor Terrorbedrohungen weiter, etwa im Vorfeld des Anschlags auf ein Konzertzentrum in Krasnogorsk im März 2024, welche von russischer Seite nicht ausreichend ernst genommen und von Präsident Wladimir Putin gar als Propaganda zurückgewiesen worden waren.
Aus deutscher Sicht heisst es laut Schmidt-Eenboom zunächst einmal, die kommenden Wochen abzuwarten und zu schauen, ob der Austausch zwischen den Nachrichtendiensten weiterhin so ablaufen wird wie bisher oder ob tatsächlich grössere Einschränkungen seitens der USA erfolgen werden. Er fordert für diesen Fall ein Umdenken, das in einem gemeinsamen europäischen Nachrichtendienst münden könnte: "Dann müssten sich die Europäer zusammenraufen und über den Schatten ihrer widerstrebenden nationalen Interessen springen."
Über die Gesprächspartner
- Erich Schmidt-Eenboom ist Vorstandsvorsitzender des Forschungsinstituts für Friedenspolitik e. V. und Sachbuchautor mit dem Schwerpunkt Nachrichtendienste.
- Dr. Thilo Weichert ist Vorstandsmitglied der Deutschen Vereinigung für Datenschutz e. V. und Mitglied des Netzwerks Datenschutzexpertise.
Verwendete Quellen
- Gespräche mit Erich Schmidt-Eenboom und Thilo Weichert
- cnn.com: US and Germany foiled Russian plot to assassinate CEO of arms manufacturer sending weapons to Ukraine
- ndr.de: Vereitelter Anschlag: Hinweise kamen offenbar von US-Geheimdienst
- tagesspiegel.de: Terrorismusexperte zum Wahlkampf: "Es ist erstaunlich, dass Innere Sicherheit keine Rolle spielt"
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