Die Vorwürfe gegen den Roy Moore wiegen schwer. Obwohl mehrere Frauen ihm sexuelle Belästigung vorwerfen, stellt sich der Republikaner heute zur Wahl - er möchte den Bundesstaat Alabama im amerikanischen Senat vertreten. Sein mächtigster Befürworter: Donald Trump. Wieso unterstützt der amerikanische Präsident einen derart umstrittenen Kandidaten?
Die vermeintlichen Belästigungen, die dem heute 70-jährigen Moore vorgeworfen werden, liegen lange zurück.
Doch treffen die Beschuldigungen zu, dann sind sie gravierend: Fünf Frauen werfen Moore vor, er habe ihnen nachgestellt, als sie noch Teenager waren, eines der Opfer war damals erst 14 Jahre alt.
Dr. Martin Thunert, Politikwissenschaftler am Heidelberg Center for American Studies, erklärt die Chancen des Kandidaten und das machtpolitische Kalkül des Präsidenten.
Herr Thunert, warum ist die Wahl in Alabama so wichtig für Donald Trump?
Dr. Martin Thunert:
Er hat auch in grossen Industriestädten gepunktet. Aber Alabama wählt heute einen Vertreter, der den Bundesstaat im Senat vertreten wird.
Und dort haben die Republikaner schon jetzt nur 52 von 100 Stimmen. Da es bei Abstimmungen auch unter den Republikanern oft Abweichler gibt, ist das eine sehr knappe Mehrheit.
Wenn Roy Moore in Alabama verlieren würde, wäre diese Mehrheit noch knapper - 51 von 100.
Roy Moore war schon umstritten, bevor die Belästigungsvorwürfe auftauchten. Er hat die Sklaverei gelobt, das Wahlrecht für Frauen in Zweifel gezogen. Wie konnte er überhaupt Kandidat der Republikaner werden?
In der Tat vertritt Moore einige seltsame Ansichten. Viele Republikaner waren deshalb der Ansicht, er werde ihnen mehr schaden als nützen.
Aber er hatte in der Partei auch wichtige Unterstützer, wie etwa den ehemaligen Trump-Berater Steve Bannon und mit ihm den stark national ausgerichteten Flügel der Partei, der eine entschiedene "America First"-Politik verfolgt.
War diese Unterstützung so massiv, dass ihm auch gravierende Belästigungsvorwürfe nicht schaden konnten?
Als diese Vorwürfe auftauchten, war es zu spät, ihn auszuwechseln. Viele in der Partei hätten das gerne getan, aber die Frist, um einen neuen Kandidaten aufzustellen, hätte man nur mit Moores Zustimmung einhalten können.
Und Moore wollte nicht zurücktreten, er bestreitet alle Vorwürfe.
Trumps Tochter Ivanka hat mit Blick auf Roy Moore gesagt, es gebe in der Hölle einen besonderen Ort für Menschen, die Kinder zum Opfer machen. Ihr Vater hat trotzdem nie Zweifel aufkommen lassen, dass er hinter Moore steht. Aus welchen Gründen hält er zu Moore?
Das ist eine rein machtpolitische Erwägung des Präsidenten. Er stützt nicht den Mann persönlich, aber er braucht den Sitz im Senat.
Wenn Moore die Wahl gewinnen würde und dann zurücktreten müsste, würde der Senatssitz trotzdem den Republikanern gehören.
Die Gouverneurin von Alabama ist Republikanerin. Sie müsste zunächst einen Nachfolger ernennen, dann würde es irgendwann Nachwahlen geben - und so lange wäre die die knappe republikanische Mehrheit im Senat gesichert.
Spaltet Donald Trump die amerikanische Gesellschaft, wenn er auf diese Weise sein Machtkalkül über das moralische Empfinden stellt?
Gespalten war die amerikanische Gesellschaft schon vor den Alabama-Wahlen. Eine verstärkte Spaltung lässt sich dagegen jetzt in der republikanischen Partei ausmachen.
Das Establishment der Partei wollte Moore ja schon vor den Belästigungsvorwürfen nicht haben. Man hielt ihn für einen Spinner, der nur Wähler abschreckt.
Sogar Richard Selby, der zweite Vertreter von Alabama im Senat, hat gesagt, der Mann ist uns zu toxisch, der ist vergiftet, der wird uns mittel- und langfristig schaden.
Aber Moore hat sich in den Vorwahlen gegen Luther Strange durchgesetzt. Strange stand für weniger Handelsbeschränkungen, für eine weniger restriktive Einwanderungspolitik.
Moores Sieg zeigt, dass die republikanischen Wähler in Alabama der Trump-Linie folgen.
Was würde es für Donald Trump bedeuten, wenn Moore heute die Wahlen verliert?
Es ist tatsächlich nicht sicher, dass Moore gewinnt. Die Wahlbeteiligung wird voraussichtlich bei etwa 50 Prozent liegen - wenn die Demokraten es schaffen, viele schwarze Wähler zur Stimmabgabe zu bewegen, könnten sie es knapp schaffen. Das wäre für Donald Trump fatal.
Mögliche Langzeitfolgen waren ihm bei der Entscheidung für Moore egal. Ich wäre deshalb gespannt, wie er die Niederlage erklären würde. Er würde wohl von Manipulation sprechen, und er würde Moore fallen lassen.
Wie überzeugend ihm das gelingen würde, steht auf einem anderen Blatt. Aber sein Ziel wäre es ja nicht, Sie oder mich oder die Presse zu überzeugen - es ginge ihm um seine Anhänger.
Umgekehrt: Was würde ein Sieg von Moore bedeuten?
Wenn Roy Moore gewählt wird, dann ist die Fraktion der Republikaner nicht unbedingt begeistert. Die können sich schwer vorstellen, ihn als einen der ihren bei sich aufzunehmen.
Und wenn die Belästigungsvorwürfe weiter anhalten, werden wir vor den Halbzeit-Wahlen im nächsten Herbst Wahl-Werbespots der Demokraten sehen, die zeigen sollen, dass Trump und die Republikaner einen "Kinderschänder" unterstützen.
Die Auseinandersetzungen um Roy Moore sind auf jeden Fall mit der Wahl nicht zu Ende.
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