Der US-Präsident ruft in seiner "State of the Union"-Rede überraschend zu Einheit und Zusammenarbeit über Parteigrenzen hinweg auf. Dass Trump selbst jedoch kaum von seiner Linie abrücken wird, wird noch in der Rede klar, als er erneut auf den Bau der Mauer pocht und gegen die Russland-Ermittlungen wettert. Was die Demokraten wiederum von Trumps Rede halten, wird auch in einer ersten Reaktion von Nancy Pelosi deutlich, deren Geste kurz darauf viral geht.
Schon als der Protokollchef des Abgeordnetenhauses die Rede von
"Madame Speaker, der Präsident der Vereinigten Staaten!", ruft Protokollchef Paul Irving in den Saal. Madame Speaker, das ist
Die Demokratin hat das Zeug, zu Trumps Angstgegnerin zu werden. Gerade erst hatte die 78-Jährige ihm eine krachende Niederlage beschert: Eigentlich wollte Trump bereits in der vergangenen Woche im Abgeordnetenhaus sprechen, doch Pelosi untersagte ihm das.
Am Dienstagabend liess sich Trump die Schlappe nicht anmerken. Es war seine zweite Ansprache zur Lage der Nation.
Pelosis Reaktion geht viral
Die Rede geht ohne Eklat über die Bühne. Hilfreich ist an diesem Abend, dass Trump vor beiden Kammern des Kongresses nicht wie üblich frei Schnauze spricht, sondern vom Teleprompter abliest.
Trump schüttelt Pelosi - die links hinter ihm sitzt - vor seiner Rede die Hand. Zu ihrem Vorsitz im Repräsentantenhaus gratuliert er ihr nicht.
Wenig später wird eine Szene um die Welt gehen, in der es den Anschein hat, als würde Pelosi Trump nach dessen Rede mit höhnischem Applaus verspottet. Eine Geste, die an Fussballer erinnert, die dem Schiedsrichter ironisch applaudieren.
Während der Ansprache hatte Pelosi gelegentlich wie versteinert gewirkt - zum Beispiel in dem Moment, als Trump mal wieder für seine Mauer zum Schutz vor illegaler Migration an der Grenze zu Mexiko wirbt.
"Mauern funktionieren, und Mauern retten Leben", sagt Trump. An einer anderen Stelle ruft er trotzig: "Ich werde sie gebaut bekommen."
Dem wird nicht so sein, wenn es nach Pelosi und den oppositionellen Demokraten geht - und Trump braucht deren Stimmen für die Finanzierung.
Mit einem "Shutdown" - dem längsten der US-Geschichte - wollte Trump die Demokraten zum Einlenken zwingen. Fünf Wochen lang standen Teile der US-Regierung still, rund 800.000 Bundesangestellte wurden nicht bezahlt.
Im Gegenzug für seine Zustimmung zu einer 13-wöchigen "Shutdown"-Pause bekam Trump seine ersehnte Mauer jedoch nicht, sondern nur die Zusage der Demokraten, Gelder für den technischen Ausbau der Grenzsicherung zur Verfügung zu stellen - eine sogenannte "Smart Wall" mit Drohnen und Sensoren.
"Es ist sehr deutlich dass wir alle verstehen, wie wichtig es ist, unsere Grenzen zu sichern", hatte Pelosi in der Vergangenheit betont, den Bau einer Mauer aber als unmoralisch erklärt.
Schumer spottet über Sinneswandel
Nun rief Trump in seiner Ansprache zur Einheit und zur Überparteilichkeit auf. Die Halbwertzeit dieser Appelle dürfte begrenzt sein. Als vereinender Präsident - das ist zur Hälfte seiner ersten Amtszeit gewiss - wird Trump nicht in die Geschichte der USA eingehen.
Schon bevor Trump überhaupt am Rednerpult im Abgeordnetenhaus stand, ergoss sich der Spott der Demokraten über ihn.
"Es scheint, als würde der Präsident am Morgen der State of the Union aufwachen und seinen Wunsch nach Einheit entdecken", spottet der Fraktionschef der Demokraten im Senat, Chuck Schumer, kurz vor der Ansprache. "Dann verbringt er die anderen 364 Tage des Jahres damit, uns zu entzweien."
Trumps Appelle zur Einheit seien "noch leerer als seine Politikversprechen", in Trumps Regierung herrsche Chaos. Trump hatte sich mit Schumer kurz vor der Ansprache noch auf Twitter gefetzt.
Nimmt man als Messlatte für Chaos die Geschwindigkeit des Personalkarussells in Trumps Regierung, dann hat Schumer wohl einen Punkt. Neun Kabinettsmitglieder, die dem Präsidenten im vergangenen Jahr bei der Rede zur Lage der Nation lauschten, sind inzwischen gefeuert worden oder haben freiwillig den Hut genommen - und Trumps Kabinett hat nur 16 Mitglieder.
Demokratinnen setzen Statement ganz in Weiss
Pelosi und viele weibliche Abgeordnete der Demokraten erschienen zu der Ansprache ganz in Weiss gekleidet - in Anlehnung an die Suffragetten-Bewegung Anfang des 20. Jahrhunderts in den USA, als Frauen für ihr Wahlrecht demonstrierten.
Als Trump sich wie so oft selber für die wirtschaftlichen Erfolge lobte, betonte er, dass Frauen 58 Prozent der neu geschaffenen Jobs im vergangenen Jahr besetzt hätten.
Auf das insgesamt 435 Sitze starke Abgeordnetenhaus dürfte er kaum angespielt haben: Für die Demokraten - die seit Januar die Kammer kontrollieren - sitzen dort nun 89 Frauen, für die Republikaner nur 13. Der weisse Block unter den Zuhörerinnen sprang auf und jubelte. Trump nahm es mit Humor.
Zwischendurch ist Trump ganz der Alte
Zwischenzeitlich präsentierte sich Trump als nicht so staatstragender Präsident: Kritik an den Untersuchungen zur Russland-Affäre - bei denen es um mögliche Geheimabsprachen des Trump-Lagers mit Vertretern Russlands im Wahlkampf 2016 geht - konnte er sich nicht verkneifen.
"In den Vereinigten Staaten findet ein Wirtschaftswunder statt - und das Einzige, was es aufhalten kann, sind dumme Kriege, Politik oder lächerliche, parteiliche Ermittlungen", sagte Trump. "Wenn es Frieden und Gesetze geben soll, kann es keinen Krieg und keine Ermittlungen geben."
Wie die Ermittlungen, die ihn zur Weissglut bringen, mit Krieg zusammenhängen, blieb Trumps Geheimnis.
Sich selber feierte Trump im aussenpolitischen Teil seiner Rede - der wenig Überraschendes bot - dafür als Friedensstifter. "Wäre ich nicht zum Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt worden, wären wir jetzt meiner Meinung nach in einem grossen Krieg mit Nordkorea", sagte er. Machthaber Kim Jong Un will Trump in drei Wochen in Vietnam zu einem erneuten Gipfel treffen, Trump spricht von einem "historischen Vorstoss für Frieden".
Dass seine eigenen Geheimdienste Trumps Einschätzung nicht nur zu Nordkorea, sondern auch zu seinem Erzfeind Iran infrage stellen - geschenkt. "Wenn meine Geheimdienstleute sagen, dass der Iran in Wirklichkeit ein wunderbarer Kindergarten ist, dann stimme ich mit ihnen zu 100 Prozent nicht überein", hatte Trump erst am Wochenende dem Sender CBS gesagt.
Ohnehin verlässt er sich gerne aufs Bauchgefühl. Der "Washington Post" sagte er im November: "Mein Bauch sagt mir manchmal mehr, als das Gehirn von jedem anderen mir jemals sagen kann."
Aussagen dieser Güte blieben am Dienstagabend aus, obwohl Trump satte 82 Minuten sprach. Es war eine ungewöhnlich lange Ansprache zur "State of the Union", was nicht nur am gut zwanzigseitigen Manuskript lag, sondern auch an dem immer wieder aufbrandenden Applaus, der mit "USA, USA, USA"-Sprechchören gespickt war. "Das klingt so gut", kommentierte Trump den lautstark vorgetragenen Patriotismus.
Gegen Ende seiner Rede erinnerte der selbsterklärte Nationalist seine Zuhörer dann noch an seinen alten Leitspruch: "Wir müssen 'America first' in unseren Herzen behalten."
Europa erwähnte Trump in seiner Ansprache indes nur ein einziges Mal: als er von der Befreiung von den Nazis durch die Alliierten im Zweiten Weltkrieg sprach. (ank/dpa)
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