Der historische INF-Atomabrüstungsvertrag ist in grosser Gefahr: An eines der wichtigsten Abkommen mit Russland sehen sich die USA nicht länger gebunden. Russland soll seit langem gegen die Vorgaben des Vertrags verstossen. Moskau weist jegliche Schuld von sich und droht mit Konsequenzen. Kommt es jetzt wirklich zum Bruch?
Die USA sehen sich von Samstag an nicht mehr an eines der wichtigsten Abrüstungsabkommen mit Russland gebunden und wollen Moskau ihre neue Haltung offiziell übermitteln.
Eine entsprechende Note soll auch an andere Rechtsnachfolger der früheren Sowjetrepubliken gehen, hiess es vorab aus dem Weissen Haus.
Bis der INF-Vertrag zum Verzicht auf atomare Mittelstreckenwaffen endgültig ausläuft, bleiben aber - zumindest theoretisch - noch sechs Monate Zeit für eine mögliche Beilegung des Streits.
Der Vertrag verbietet Marschflugkörper mit einer Reichweite zwischen 500 und 5.500 Kilometern und untersagt auch die Produktion und Tests solcher Systeme.
Die Abkürzung INF steht für "Intermediate Range Nuclear Forces", auf Deutsch: nukleare Mittelstreckensysteme. Die USA und die damalige Sowjetunion hatten den Vertrag 1987 geschlossen.
Nato steht geschlossen hinter USA
US-Präsident
Sie werfen Russland Vertragsuntreue vor und sehen ihr Militär durch das Abkommen einseitig benachteiligt.
Die Nato-Partner stellten sich geschlossen hinter die Forderung der Amerikaner an Russland, einzulenken und die Vertragsbedingungen bis spätestens August einzuhalten. Moskau drohte umgehend mit Konsequenzen - ohne aber konkret zu werden.
Sorge vor neuem Wettrüsten
In vielen Teilen der Welt löste die Ankündigung aus Washington Sorge vor einem neuen atomaren Wettrüsten aus. Zwar sagte Trump auch, er wünsche sich, dass es zu einem neuen, besseren Vertrag komme.
Allerdings hatte er in der Vergangenheit wiederholt erklärt, dafür müsse auch China zum Vertragspartner werden - und dazu lässt Peking keinerlei Bereitschaft erkennen.
Als Konsequenz aus der Aufkündigung zeichnet sich in Europa Streit ab. Polens Aussenminister Jacek Czaputowicz sagte dem Nachrichtenmagazin "Der Spiegel": "Es liegt in unserem europäischen Interesse, dass amerikanische Truppen und Atomraketen auf dem Kontinent stationiert sind."
Bundesaussenminister Heiko Maas (SPD) hielt dagegen: "Europa ist nicht mehr geteilt wie in Zeiten des Eisernen Vorhangs und deshalb sind alle Antworten aus dieser Zeit völlig ungeeignet, die Herausforderungen, mit denen wir es jetzt zu tun haben, zu beantworten."
Stoltenberg: Keine neuen Atomwaffen in Europa geplant
Die Nato hat nach den Worten von Generalsekretär Jens Stoltenberg keine Absicht, neue Atomwaffen bodengestützter Art in Europa zu stationieren.
"Wir müssen aber klarmachen, dass wir eine glaubwürdige Abschreckung und Verteidigung haben in einer Welt auch ohne INF-Vertrag", sagte Stoltenberg am Freitagabend im ZDF-"heute journal".
Er kündigte eine "angemessene Reaktion" an, die "defensiver" Natur sein "und im Verhältnis stehen" werde.
Die Amerikaner und die Nato werfen den Russen seit langem vor, mit ihren Raketen vom Typ 9M729 (Nato-Code: SSC-8) gegen die Vorgaben des Vertrags zu verstossen. Die Raketen sollen nach Angaben aus den USA mindestens 2.600 Kilometer weit fliegen können und wären damit in der Lage, nahezu alle Hauptstädte in Europa zu treffen.
Die russische Regierung weist die Vorwürfe zurück und versichert, die Reichweite der 9M729 liege knapp unter 500 Kilometern, was vertragskonform wäre.
Die USA hatten Russland Anfang Dezember ein 60-Tage-Ultimatum bis zu diesem Samstag gesetzt, um sich wieder an die Vertragsbedingungen zu halten. Pompeo beklagte, die USA hätten über Jahre auf den Vertragsbruch der Russen hingewiesen und sich um Klärung bemüht. Russland habe sich aber nicht bewegt.
Verhandlungsspielraum für Rettung
In einer schriftlichen Mitteilung erklärte Trump, die USA gingen nun voran bei der "Entwicklung eigener militärischer Antwort-Optionen". Das Pentagon hat bereits Ende 2017 die Grundlage gelegt, Forschungspläne für ein neues mobiles landgestütztes System vorantreiben zu können.
Aus US-Regierungskreisen hiess es am Freitag aber, man sei noch ein Stück weit von konkreten Schritten entfernt.
Offiziell aufgelöst wird das INF-Abkommen laut Vertragstext erst sechs Monate nach der Aufkündigung. Damit bleibt noch etwas Verhandlungsspielraum, um den Vertrag womöglich doch zu retten.
Aus dem Weissen Haus hiess es, dies sei nun "Russlands letzte Chance". Kanzlerin Angela Merkel sprach sich dafür aus, die Zeit zu nutzen.
Den USA wird vorgeworfen, selbst kein besonders grosses Interesse an dem INF-Vertrag in seiner derzeitigen Form zu haben. Das liegt vor allem daran, dass der aus der Zeit des Kalten Krieges stammende Deal nur Amerikaner und Russen bindet, nicht aber aufstrebende Militärmächte wie China. (ff/dpa)
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