In seinem ersten Jahr als Präsident der Vereinigten Staaten hat Donald Trump viel Staub aufgewirbelt, gedroht und sich regelmässig daneben benommen. Doch längst nicht alle Befürchtungen seiner Kritiker sind wahr geworden. Drei USA-Experten ziehen eine teils überraschend positive Bilanz.

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Ein Tweet macht noch kein Gesetz und in Donald Trumps Politik liegen auch Chancen. Dieses Fazit zogen die USA-Experten Laura von Daniels, Andrea Rotter und Gunther Schmid bei einer Podiumsdiskussion der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung am Montagabend in München.

  • Laura von Daniels ist stellvertretende Leiterin der Forschungsgruppe Amerika der Stiftung Wissenschaft und Politik
  • Andrea Rotter ist Mitarbeiterin der Akademie für Politik und Zeitgeschichte mit dem Forschungsschwerpunkt US-Aussenpolitik
  • Gunther Schmid ist eremetierter Professor für internationale Politik, hat an der Fachhochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung gelehrt und für das Bundeskanzleramt gearbeitet

Ihre fünf Lehren aus einem Jahr USA unter Donald Trump:

1. Der Weltuntergang ist fern

Das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" sah mit der Wahl Donald Trumps "das Ende der Welt, wie wir sie kennen" gekommen. Diese Überschrift ist seither oft wiederholt worden - heute scheint sie übertrieben.

"Der radikale Wechsel in der Aussenpolitik ist ausgeblieben", stellt Andrea Rotter fest und führt Beispiele an:

Anstatt US-Truppen - wie angekündigt - schnell aus Afghanistan abzuziehen, schickte Trump weitere Soldaten. Auch haben die USA im Rahmen eines Nato-Verbands weiterhin Truppen in Osteuropa stationiert, womit das Bündnis gegenüber Russland seine militärische Stärke demonstriert. Die Strategie der Obama-Administration im Kampf gegen den IS haben die Vereinigten Staaten unter Trump nicht etwas über den Haufen geworfen, sondern intensiviert.

2. Was Trump twittert, ist nicht, was er tut

Viele der Beispiele für Kontinuität in der Aussenpolitik sind in der medialen Berichterstattung und damit wohl auch in der Wahrnehmung vieler Menschen untergegangen. Zumindest teilweise dürfte das daran liegen, dass es "einen grossen Unterschied gibt, zwischen dem, was Trump sagt beziehungsweise twittert, und dem, was er tut", so Rotter.

In Reden, vor allem aber in seinen täglichen Tweets, wählt der US-Präsident wenig staatsmännische Worte, provoziert, schürt Ängste. Die Handlungen seines Landes fielen dann häufig viel harmloser aus. Oft beschwichtigten Minister umgehend.

Beispiel Nordkorea: Trump nannte Machthaber Kim Jong Un einen "Raketenmann" und drohte mit seinem Atomknopf, der "grösser und mächtiger" sei als Kims "und ausserdem funktioniert". Aussenminister Rex Tillerson hingegen bot dem Land Gespräche ohne jegliche Vorbedingungen an und betonte, Ziel der USA sei nicht eine militärische Konfrontation mit Nordkorea, sondern dessen nukleare Abrüstung.

Beispiel Iran: Der Atomdeal mit dem Iran sei "schrecklich" und "sehr schlecht", hat Trump wiederholt gesagt und getwittert. Die Befürchtung, er werde das Abkommen aufkündigen und so einen mühsam beruhigten Konflikt neu befeuern, war und ist international gross. Bislang aber halten die USA an der Vereinbarung fest.

3. Der Trump-Alarmismus ist übertrieben

Gunther Schmid kommt zu dem Schluss, dass "die deutsche Diskussion über Trump hysterisch und masslos überzogen" ist.

Allzu oft drehten sich Berichterstattung und Gespräche zu wenig um Inhalte und stattdessen um die Person Donald Trump, seinen Gesundheitszustand, seine Essgewohnheiten, seine Fauxpas auf Staatsbesuchen.

Zuweilen, findet Schmid, wäre "weniger Alarmismus dringend angebracht", zumal sich gezeigt habe, dass die US-Bürger, das politische System und sogar die eigene Partei dem Präsidenten regelmässig Grenzen aufzeigen:

Am Jahrestag der Amtseinführung am 20. Januar protestierten in Los Angeles 600.000 Menschen, in Chicago 300.000 Menschen gegen Trumps Politik. "Amerika verdankt Trump eine liberale Bürgerbewegung", sagt Schmid. Auch dass die Abozahlen von "New York Times" und "Washington Post" im vergangenen Jahr in die Höhe geschnellt sind, wertet er als Beweis, dass vielen Amerikanern daran gelegen ist, ihrem Präsidenten auf die Finger zu schauen.

Auch Legislative und Judikative lassen Trump nicht einfach gewähren. Das Justizministerium hat einen Sonderermittler eingesetzt, der Trumps mögliche Verstrickungen in die Russlandaffäre untersucht. Zwar ist der Muslim-Bann in Kraft und die Steuerreform durchgesetzt, doch andere grosse Projekte Trumps sind am Widerstand der Demokraten gescheitert - und zuweilen auch an dem einzelner Republikaner, siehe Gesundheitsreform.

4. Die Spaltung der Gesellschaft ist gefährlich

Sollen sich Deutschland und die EU also einfach entspannt zurücklehnen und Trump ungestört Trump sein lassen? Nein, das nun auch wieder nicht, so die einhellige Meinung von Rotter, Schmid und von Daniels. Es gelte, die tatsächlichen Gefahren und Chancen zu erkennen.

Zu den grössten Gefahren zählt Schmid die tiefe Spaltung der US-Gesellschaft, die Trump zwar verstärke, für die er aber zunächst nicht verantwortlich gewesen sei. Trumps Wahlversprechen, dem Establishment den Kampf anzusagen, habe nur deshalb so gezündet, weil sich viele US-Bürger von der politischen Elite nicht vertreten fühlten und das Kapital zunehmen ungerechter verteilt sei. Eine ähnliche Entwicklung vollzieht sich aus Schmids Sicht auch in Deutschland.

5. Die USA haben ihre Führungsposition aufgegeben

Als vielleicht grösste Veränderung unter Trump nennt Rottner die Abkehr der USA vom globalen Führungsanspruch. "Dieses Selbstverständnis der vergangenen Jahrzehnte ist abhandengekommen."

Besonders deutlich, so die Meinung der Experten, zeige sich dies im fast schon devoten Verhalten gegenüber Russland und China. Nicht umsonst habe das US-Magazin "Times" nach Trumps Besuch bei Chinas Präsident Xi Jinping im November getitelt "China won" ("China hat gewonnen"), meint Schmid.

Hatte Trump im Wahlkampf noch unfaire Handelspraktiken Chinas angeprangert, machte er vor Ort nicht länger China, sondern die Regierung Obama für das Handelsdefizit verantwortlich. Von mangelnden Menschenrechten im Reich der Mitte war kein Wort zu hören.

Schmid spricht von einer "Selbstdemontage der USA". "Die Zugeständnisse an Russland und China sind das, was mir, wenn ich Amerikaner wäre, am meisten zu denken geben würde", sagt Rotter.

Aus Schmids Sicht ergibt sich aus dem Rückzug der USA jedoch nicht nur für China und Russland die Chance, die vakante Führungsrolle zu übernehmen, sondern auch für die Europäische Union. Das Bündnis werde, mit Frankreich und Deutschland als Zugpferden, zu neuer Stärke finden, ist er überzeugt: "Trump wird wie ein Potenzmittel auf die EU wirken."

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