John Kelly, Ex-General und Stabschef von Donald Trump avanciert durch den Abgang enger Präsidentenberater zum wohl wichtigsten Mann im Weissen Haus. Muss sich der US-Präsident vor ihm fürchten?

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Vergangenen Oktober war US-Präsident Donald Trump wieder mal in ein Fettnäpfchen getreten. Erst schwieg er zwei Wochen lang, nachdem vier amerikanische Soldaten bei einer Antiterror-Aktion in Nigeria ums Leben kamen.

Dann rief er die schwangere Witwe eines der Getöteten an und kränkte die Frau mit einer taktlosen Ansage: "Ihr Mann wusste, worauf er sich einlässt."

Als ein Sturm der Empörung losbrach, versuchte sich Trump aus der Affäre zu ziehen. Er verwies vor Journalisten auf seinen Stabschef John Kelly, dessen Sohn 2010 im Irakkrieg ums Leben gekommen war.

Kelly solle über die Gefühle von Hinterbliebenen Auskunft geben und damit – so das durchschaubare Kalkül – Trump aus der Schusslinie bringen.

Bloss: Kelly hatte bis dato noch nie öffentlich über seinen Sohn gesprochen. Und das hatte er auch nie vor.

Der Präsident hatte ihn gegen seinen Willen geoutet und ihn ohne Not gezwungen, über seine Trauer Rechenschaft abzulegen.

Ein anderer hätte gekündigt. Kelly nicht. Der ehemalige General meisterte die Aufgabe souverän.

Von Journalisten gefragt, wie er die Aktion des US-Präsidenten bewerte, antwortete er schmallippig: Dieser habe "so gut er konnte" gehandelt.

John Kelly als Politik-Profi

Seit der 67 Jahre alte Marinegeneral im Sommer zum neuen Stabschef in Washington ernannt wurde, hat er mehrfach seine Loyalität bewiesen.

Der hochdekorierte Militär an der Schaltstelle des Weissen Hauses sticht aus der Menge der üblichen Verdächtigen rund um Trump hervor: keine seltsamen Tweets, keine Affären, keine unüberlegten Aussagen.

Ein Profi, dem auch die oppositionellen Demokraten zunächst unter der Hand Respekt zollten für die Herkulesaufgabe, einen verhaltensoriginellen Staatschef zu bändigen. "Der Stabschef als Präsident", betitelte die "Neue Zürcher Zeitung" im Herbst ein Porträt über Kelly.

Nicht wenige in Washington sehen in ihm den eigentlichen starken Mann. Dafür spricht, dass Kelly einige seiner Widersacher eiskalt entmachtet hat.

Trumps Schwiegersohn Jared Kushner zog gegen Kelly den Kürzeren. Er wurde als Präsidentenberater degradiert, nachdem er wegen seiner undurchsichtigen Privatgeschäfte einem Routinecheck des FBI nicht standhielt.

Zuvor flog schon der umstrittene Breitbart-Gründer Steve Bannon auf Kellys Betreiben hochkant raus. Auch beim Abgang von Trumps Sprecherin und engster Vertrauter Hope Hicks soll der Stabschef seine Finger im Spiel gehabt haben.

Wie mächtig ist Kelly nun? Könnte er am Ende sogar für den Präsidenten selbst zur Bedrohung werden? "Das glaube ich nicht", sagt der Wiener Strategieberater USA-Experte Yussi Pick im Gespräch mit unserer Reaktion.

Pick hat lange in den USA gelebt. Als Mitarbeiter der Clinton-Kampagne bekam er exklusive Einblicke in das politische System in Washington.

Kelly sei als Militär Disziplin und klare Hierarchien gewohnt. Wer sein Leben lang loyal war, plane keine Palastrevolution. "Er versteht seine Rolle eher als interner Organisator von Abläufen", sagt Pick.

Zudem würde Kelly die Verankerung der Republikanischen Partei fehlen. "Er hat im Militär Karriere gemacht und zuvor kein politisches Amt bekleidet."

Grosser Einfluss auf Donald Trump

Schwer zu leugnen ist hingegen, dass der Einfluss des Stabschefs auf den Präsidenten in den letzten Monaten gestiegen ist. Kelly hat sein Bestes getan, um Trump von Einflüsterern abzuschirmen.

"Seine Aufgabe war es, Ordnung zu schaffen", sagt Pick. "Die Tür zum Oval Office ist nicht mehr für jeden offen, Kelly managt Trumps Terminkalender und den Informationsfluss zum Präsidenten."

Auch habe er eine geradezu militärische Führungsstruktur im Weissen Haus etabliert – mit ersten Erfolgen: Die Zeiten, als täglich brisante Informationen an Journalisten durchgestochen wurden, sind vorbei.

Unbestreitbar ist, dass Kelly mit dem Abgang von Hicks, Kushner und Bannon zum vermutlich wichtigsten Berater des Präsidenten wird.

US-Experte Pick glaubt nicht, dass der Stabschef diese Machtposition aktiv angestrebt habe: Dass etwa Kushner gehen musste, sei weniger Ergebnis eines Machtkampfes als vielmehr eine offensichtliche Notwendigkeit. "Was hätte Kelly denn tun sollen, wenn dieser einer Sicherheitsüberprüfung nicht standhält?"

Tatsächlich hat Kelly gezeigt, dass er im Zweifel eher zu lange wartet, ehe er durchgreift. So etwa bei seinem Mitarbeiter Rob Porter, dem von zwei Ex-Frauen und einer Ex-Freundin Gewalttätigkeit vorgeworfen wird. "Kelly hat erwiesenermassen davon gewusst und ihn nicht gefeuert", sagt Pick.

Erst als die Sache öffentlich wurde, musste Porter gehen. Führungsstärke sieht anders aus. Die Sache sei für Kelly noch nicht ausgestanden, glaubt Pick. Vor allem bei moderaten Republikanern habe er an Ansehen verloren. "Der Lack ist ab."

Wie also könnte die Zukunft Kellys aussehen? Eine Gefahr für Trump dürfte der loyale General kaum werden. Wohl aber steigt durch den Abgang vieler Berater sein Einfluss auf den zunehmend einsamen Twitter-Präsidenten – vorläufig.

Zumindest Pick wagt aber keine Prognose über die Zukunft Kellys: "Bei dieser erratischen Administration ist es einfach nicht möglich, Vorhersagen zu treffen."

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