Sie sind streng gläubig – und legen die Bibel wörtlich aus: Unter den Anhängern Donald Trumps finden sich viele Evangelikale. Was treibt sie an? Und wie viel Einfluss haben sie auf die US-Politik?
"To say 'no' to President Trump would be saying 'no' to God." Ein Nein zu Trump wäre ein Nein zu Gott: Diese Aussage stammt von Paula White, Fernseh-Predigerin, spirituelle Beraterin von US-Präsident
White gehört der Glaubensbewegung der Evangelikalen an. Darunter gibt es tatsächlich Anhänger, die in Trump einen Gesandten Gottes auf Erden sehen. "Das wurde auch schon über George W. Bush gesagt, doch diese Auslegung ist unter Evangelikalen bei weitem nicht mehrheitsfähig. Nur eine sehr kleine Gruppe glaubt daran", betont Michael Hochgeschwender, Professor für Nordamerikanische Kulturgeschichte, Empirische Kulturforschung und Kulturanthropologie an der Universität München.
Wichtige Zielgruppe für Donald Trump im Wahlkampf
Dass Trump Paula White ins Team geholt hat, dürfte auch mit der Präsidentschaftswahl im November – und dem bevorstehenden Wahlkampf – zusammenhängen. Hochgeschwender geht davon aus, dass von den rund 35 Prozent Trump-Wählern, die absolut überzeugt von ihrem Präsidenten sind, etwa die Hälfte Evangelikale sind.
Die Bewegung gehört zu den besonders konservativen im Protestantismus. Ihre Anhänger nehmen die Bibel sehr ernst und legen sie wörtlich aus. Sie glauben an den bevorstehenden Weltuntergang – und an Jesus Christus als Retter und Erlöser.
Die National Association of Evangelicals (NAE) vertritt nach eigenen Angaben mehr als 45.000 Ortskirchen aus 40 verschiedenen Konfessionen – und damit rund 30 Millionen Gläubige. Dabei gibt es jedoch nicht "die" Evangelikalen, sondern es handelt sich um einen Sammelbegriff für ganz verschiedene Gemeinschaften.
Nach Angaben von Michael Hochgeschwender geht der Anteil an Evangelikalen an der Gesamtbevölkerung seit 2005 allerdings stark zurück. Während er damals noch bei 25 bis 26 Prozent gelegen habe, sei er inzwischen auf 20 Prozent gesunken.
Als einen Grund für den Rückgang sieht der Historiker das apokalyptische Denken: "Viele merken: Das Ende tritt doch nicht ein, Christus kommt nicht wieder." Sie spalten sich ab und finden sich eher im konservativen Mainstream wieder. 70 bis 80 Prozent der weissen Evangelikalen, die vor allem aus der Mittelschicht stammen, gehören dem Experten zufolge dem rechtsevangelikalen Milieu an, 20 bis 30 dem linksevangelikalen.
Abtreibungsverbot bei Evangelikalen ganz oben auf der Agenda
Ein Thema eint die Evangelikalen, auch wenn sie in vielen anderen politischen Fragen nicht einer Meinung sind: Abtreibung. "Aus ihrer Sicht ist Abtreibung Mord – und dabei gehen die meisten von ihnen auch keinen Kompromiss ein", erklärt Hochgeschwender. "Die Ehe zwischen Homosexuellen ist für viele von ihnen ebenfalls ein Gräuel, aber diese Debatte wird bei weitem nicht so emotional und radikal geführt wie die über Abtreibung."
Dass es in politischen Fragen durchaus Streit unter Evangelikalen gibt, macht Hochgeschwender am Beispiel Todesstrafe deutlich: Während die einen dafür sind, sagen die anderen, man könne Abtreibung nicht als Mord verteufeln, gleichzeitig aber die Hinrichtung von Straftätern befürworten.
In Trumps Team ist Paula White nicht die einzige Evangelikale: Aussenminister Mike Pompeo oder Bildungsministerin Betsy DeVos gehören der Glaubensbewegung beispielsweise ebenfalls an. Seit George W. Bush waren die Evangelikalen allerdings nicht mehr in der Lage, einen eigenen Kandidaten für die Präsidentschaftswahlen aufzustellen, gibt Hochgeschwender zu bedenken. Sie hätten heute keinen allzu grossen Einfluss mehr auf Entscheidungen im Weissen Haus.
"Aber – und damit meine ich ein grosses Aber: Donald Trump hat verstanden, wie er sie an sich bindet, ohne ihre Ziele zu seinen eigenen zu machen." Etwa mit der Besetzung des Supreme Courts mit konservativen Richtern. Oder dem Nein zur Abtreibung. "Die Evangelikalen sind leicht mobilisierbar und Trump weiss, wie. Dadurch sind sie in seiner Wählerschaft deutlich überrepräsentiert", erklärt der Experte. Mit seiner "Desaster"- und "Make America Great Again"-Rhetorik bediene der Präsident den Glauben an das bevorstehende Ende, das eine Umkehr nötig mache.
Konservative Inhalte wichtiger als moralische Bedenken
Dass Trump Strenggläubigen in Moralfragen nicht immer gefallen dürfte, hält viele Evangelikale nicht davon ab, für ihn zu stimmen: "Sie begründen es damit, dass sie nicht den Menschen Trump wählen, sondern die Ideen hinter ihm", so der Münchner Professor.
Was viele allerdings tatsächlich anspricht: Dass Trump sich nicht an Expertentum, nicht an die politische Korrektheit der Eliten hält. "Die Evangelikalen haben eine sehr eingefleischte anti-intellektuelle, anti-hierarchische Haltung." Ausserdem ein stark ausgeprägtes Verständnis von Freiheit, viele von ihnen sind gegen Verstaatlichung, Bürokratie oder den Wohlfahrtsstaat. Deswegen seien die Demokraten aus Sicht vieler Evangelikaler nicht wählbar.
Selbst Trumps offene Hetze gegen Minderheiten schreckt viele der Gläubigen keineswegs ab. Religiös aufgeladener Ethnozentrismus und Rassismus sind aber Hochgeschwender zufolge kein auffällig grosses Problem in den Reihen der Evangelikalen.
Eher beobachte er "Tribalismus": "In bestimmten Milieus schottet man sich ab, nicht primär nach ethnischen Aspekten, sondern über Klasse und Weltanschauung." Die religiösen Gemeinschaften vermittelten in der hochmobilen Welt von heute mit vielen Wohnortswechseln ein familiäres, warmes Gefühl. "Die Nestwärme vieler Gemeinden bestimmt allerdings gleichzeitig die parteipolitische Zugehörigkeit."
Verwendete Quellen:
- Gespräch mit Michael Hochgeschwender, Professor für Nordamerikanische Kulturgeschichte, Empirische Kulturforschung und Kulturanthropologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München
- Video mit Paula-White-Statements auf Twitter
- Webseite der National Association of Evangelicals (NAE)
- Tagesschau: "Die Evangelikalen: Einflussreiche Christen in den USA"
- Zeit.de: "Evangelikale Christen – weil Gott es will"
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.