Die USA sind Krisen gewachsen, die sie militärisch oder wirtschaftlich bewältigen können – Corona sei deshalb ein einzigartiger Gegner, sagt der Amerikawissenschaftler Michael Hochgeschwender. Ein Gespräch über das Krisenmanagement von Donald Trump, das Versagen der Demokraten und die Frage, wem im November wohl die Schuld an Corona zugeschoben wird.
Über eine Million bestätigte Corona-Infizierte, über 70.000 Tote – und US-Präsident
Michael Hochgeschwender: So direkt hat er das ja gar nicht gesagt. Trump hat seine Beraterin Deborah Birx öffentlich gefragt, ob Desinfektionsmittel, wenn es in den Körper gespritzt wird, von innen reinigend wirken könne.
Allein die Frage ist natürlich schon idiotisch, und sie war auch nicht sarkastisch gemeint, wie er das später versucht hat zu relativieren. Aber es war keine direkte Aufforderung an die Amerikaner, jetzt massenweise Desinfektionsmittel zu trinken.
Donald Trump vermittelt mit so einer Aussage das naive Bild eines Neunjährigen, der glaubt, man könne dieses Virus mit einem pathetischen Zauber bekämpfen, statt mit rationaler Wissenschaft. Diese einfache Weltsicht trifft in den USA auf viele Anhänger, das macht sie so gefährlich.
"Die Menschen sind Donald Trump egal"
Dennoch häufen sich die Todesfälle, weil Menschen aus Angst vor dem Virus zum Beispiel Aquarien-Reiniger trinken. Einem Politikprofi hätte die fatale Wirkung dieser "Frage" klar sein müssen. Steckt hinter Trumps Vorschlag eine Strategie?
Seit die ersten Meldungen über Corona aufflackerten, sendet Trump täglich die Botschaft aus, er habe die Lage im Griff. Wenn man sieht, dass die USA mittlerweile ein Viertel aller Toten beklagen, muss man zu dem Ergebnis kommen, dass er die Kontrolle längst verloren hat.
Aber die Menschen sind Donald Trump egal, ihm geht es vor allem um sich selbst. Trumps Linie ist, sich, komme was wolle, als Macher zu inszenieren, der handelt und damit einen Kontrapunkt setzt zu den Wissenschaftlern, die zögern und um den richtigen Weg ringen.
Er ist in einem Kreislauf, in dem er sein eigenes Versagen durch immer schrillere Vorschläge und Behauptungen kaschiert, um sein Image als Macher aufrecht zu erhalten.
Gouverneure etwa aus New York oder Maryland kritisieren Trump öffentlich und emanzipieren sich von der Regierungslinie, auch Teile seiner eigenen Partei distanzieren sich. Wer führt die USA gerade?
Die USA sind ein föderal organisierter Staat, Krisen werden auf lokaler und regionaler Ebene gelöst. In New York handelt der dortige Gouverneur Andrew Cuomo sehr besonnen und bekommt die Lage zunehmend besser in den Griff.
Aber auch die Gouverneure sind auf funktionierende Institutionen angewiesen. Es macht ja keinen Sinn, wenn jeder Staat auf eigene Rechnung Schutzanzüge bestellt und so den Marktpreis in die Höhe treibt.
Trump hingegen erweist sich in dieser Krise eher als Störfeuer. Wenn er wenige Tage, nachdem fast alle, darunter viele republikanische Staaten, das öffentliche Leben stillgelegt haben, zur "Befreiung" von Michigan, Wisconsin und Virginia auffordert, dann ist das fatal.
"Störfeuer" ist ja fast schon eine Untertreibung. Wir haben die Bilder der Menschenschlangen vor Waffenläden in den USA gesehen. Was, wenn jemand die "Befreiung" wörtlich nimmt und durchdreht? Kann ein Präsident dafür zur Rechenschaft gezogen werden?
Nein, denn die USA haben eine sehr liberale Definition von Meinungsfreiheit. Schon 1964 urteilte der Oberste Gerichtshof, dass die hetzerischen Äusserungen des Ku-Klux-Klans gegen Afroamerikaner und Juden von der Verfassung geschützt seien.
Solange man in den USA nicht zu einem Verbrechen aufruft, hat man das Recht, beinahe alles zu sagen. Auf einem anderen Blatt steht natürlich die politische Verantwortung.
Es ist nicht die Aufgabe eines Präsidenten, auch nicht im Wahlkampf, so zu hetzen, dass sich die massive Spaltung im Land noch intensiviert. Damit muss man aber politisch umgehen, das ist keine Frage, die vor Gerichten geklärt werden kann.
Biden wirkungslos - Cuomos Zustimmungswerte steigen
Statt sich öffentlich als Stimme der Vernunft zu präsentieren, sendet Joe Biden, der designierte Präsidentschaftskandidat der Demokraten, Podcasts aus seinem Keller – und ist kaum wahrnehmbar. Weshalb versagt die Opposition gerade jetzt?
Krisen sind die Stunde der Exekutive, das ist in Washington nicht anders als in Wien oder Bayern. Die Demokraten können natürlich Vorschläge machen. Wenn diese überhaupt durchdringen, haben sie schnell den Anschein einer ritualisieren Kritik von der Seitenlinie. Das ist eine Position, in der die Demokraten aktuell fast nur verlieren können.
Anders sieht es für einzelne Akteure innerhalb der Demokratischen Partei aus. Denken Sie beispielsweise an Andrew Cuomo aus New York. Dessen Zustimmungswerte steigen von Woche zu Woche, weil er Verantwortung an einem Corona-Hotspot übernimmt. Wenn es den Demokraten gelingt, solche Figuren ins Schaufenster zu stellen, kann diese Krise auch eine Chance sein.
Die USA waren in der Vergangenheit immer ein Land, das in der europäischen Wahrnehmung jedem Problem gewachsen war. Corona scheint dieses Prinzip, auf das wir auch aus militärischer Sicht zählen, völlig auf den Kopf zu stellen.
Die USA können jedes Problem lösen, dem sie finanziell, wirtschaftlich, technologisch oder militärisch überlegen sind. Sie sind konventionell und nuklear unschlagbar. Aber bei der asymmetrischen Kriegsführung stossen die USA an ihre Grenzen. Das sieht man im Krieg mit dem Iran, das sieht man jetzt bei der Bekämpfung des Coronavirus, das sich verhält wie eine Guerilla-Truppe.
Dazu kommt, dass die USA in dieser Krise auch an ihre inneren Grenzen stossen. Ein Land, in dem junge, gesunde, wohlhabende, weisse Menschen enorme Profite machen können, in dem aber jeder, dem nur einer dieser Aspekte fehlt, aus dem sozialen Netz fällt, ist einer solchen Krise nicht gewachsen.
"Wenn die zweite Welle Amerika noch härter trifft, ist Trump erledigt"
Wenn in der Vergangenheit Mitarbeiter Donald Trump öffentlich kritisiert haben, endete das für sie selten gut. Anthony Fauci, dem medizinischen Regierungsberater, scheint es erstmals zu gelingen, Trumps Vorschläge ungestraft öffentlich zu kontern. Wie macht er das?
Fauci ist in seiner Kritik an Trump sehr geschickt, man merkt ihm an, dass er eine Jesuitenschule besucht hat. Statt Trump offen anzugreifen, arbeitet er viel lieber mit Andeutungen und gibt damit Trump keine Angriffsfläche.
Gleichzeitig ist Trump ja gewissermassen von seinen Experten abhängig, die zu den Gesichtern dieser Krise geworden sind und innerhalb der Bevölkerung ein grosses Vertrauen geniessen.
Sie könnten aber doch noch zum Bauernopfer werden, wenn die Corona-Strategie der US-Regierung scheitert.
Trumps Wiederwahl wird sicherlich davon abhängen, ob er ein Narrativ entwickelt, das es ihm erlaubt, sein Versagen anderen zuzuschieben. Wäre ich Anthony Fauci, würde ich mir zumindest Sorgen über die nächsten Monate machen.
Trump wird mit absoluter Sicherheit eine Legende stricken, in der die bösen medizinischen Experten für fast alles verantwortlich sind, was schiefgelaufen ist, auch ökonomisch. Da wird in den nächsten Monaten ein wahrer Deutungskrieg toben. Und Trump ist bislang in gar keiner so schlechten Position.
Das heisst, er wird im November womöglich erneut zum Präsidenten gewählt werden?
Bis dahin werden beide Parteien ihre medialen Geschütze so positionieren, dass jeweils der andere Schuld am Schlamassel trägt. Wenn es den Experten gelingt, die zweite Welle niedrig zu halten, wird das Trump sicherlich in die Karten spielen.
Dann kann er sich als grosser Krisenmanager inszenieren. Wenn die zweite Welle Amerika noch härter trifft als die erste, ist Trump erledigt. Dann werden selbst seine grössten Anhänger ins Nachdenken kommen.
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