• Nach dem Sturm auf das Kapitol in Washington D.C. am 6. Januar hat Twitter das Konto von Donald Trump gesperrt.
  • Mit seinen Tweets habe er gegen die Nutzungsbedingungen verstossen und zu Gewalt angestiftet, lautet die Begründung.
  • Medienexperte Rolf Schwartmann hält den Schritt des US-Unternehmens für einen gefährlichen Sündenfall.

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Es waren die Tweets vom 8. Januar, die das Fass zum Überlaufen brachten: "Die 75.000.000 grossartigen amerikanischen Patrioten, die für mich gestimmt haben, (...) werden eine gewaltige Stimme noch lange in der Zukunft haben" und "An alle, die gefragt haben, ich werde nicht zur Amtseinführung am 20. Januar gehen", hatte Donald Trump getwittert.

Vor dem Hintergrund, dass zwei Tage zuvor das US-Kapitol von Trump-Anhängern gestürmt worden war, zog Twitter die Reissleine: Das Unternehmen sperrte den Account @realDonaldTrump. Die Tweets müssten im Kontext der Vorkommnisse in den USA gelesen werden und könnten zu weiterer Gewalt anstiften, begründete das Unternehmen seinen Schritt.

Kritik aus aller Welt für Twitter-Sperre

Anhänger könnten Trumps Aussage, er bleibe der Amtseinführung von Biden fern, als Bestätigung verstehen, "dass die Wahl nicht legitim war" und als Verleugnung einer geordneten Machtübergabe, argumentierte Twitter. Ausserdem könnten gewaltbereite Anhänger die Amtseinführung so als "sicheres Angriffsziel" verstehen, weil Trump selbst nicht vor Ort sein werde.

Bei aller berechtigter Sorge um Trumps Twitter-Auswüchse: Die Sperrung seines Accounts steht weltweit in der Kritik. Frankreichs Wirtschaftsminister Bruno Le Maire, der russische Kremlkritiker Alexander Nawalny und auch Bundeskanzlerin Angela Merkel halten den Eingriff für problematisch und forderten, der Macht von Betreibern sozialer Netzwerke Einhalt zu gebieten.

Im Schnitt 36 Tweets pro Tag

"Twitters Vorgehen war zwar juristisch betrachtet keine Zensur, weil es sich dabei nicht um Meinungsverhinderung durch eine staatliche Einrichtung handelt, der Einschnitt in die Meinungsfreiheit von Donald Trump war jedoch intensiv", betont Medienexperte Rolf Schwartmann, Leiter der Kölner Forschungsstelle für Medienrecht an der Technischen Hochschule Köln. Dem Präsidenten der Vereinigten Staaten sei mit dem Entzug seiner wichtigsten Onlinekommunikationsplattform ein Sprachrohr genommen worden, welches ihm zuvor stets zur Verfügung stand.

Allein von Januar bis Dezember 2020 hatte Trump nach Angaben von "Statista.com" 12.239 Mal getwittertim Schnitt 36 Mal am Tag. "Die Willkür, mit der man hier vorgegangen ist, ist brandgefährlich", meint Experte Schwartmann. Er fürchtet: Der Bruch in der Geschichte der Online-Kommunikation könnte dramatische Folgen haben.

Gesetzliche Leitschnur fehlt

"Es handelt sich um einen Sündenfall", ist sich Schwartmann sicher. Twitter habe als Anbieter eines sozialen Netzwerkes nun demonstriert, dass es nicht nur eingreifen könne – sondern es auch tue. "Und das, ohne dass es staatlich bestimmte Regeln dafür gibt", betont Schwartmann. Die Entscheidung sei gefallen, ohne eine gesetzliche Leitschnur anzulegen. "Das Löschen von Meinungsäusserungen sollte nach Massgabe von Recht und Gesetz und nicht vom Küchenkabinett des Twitter-Chefs entschieden werden", findet Schwartmann.

Das kritisierte auch die Kanzlerin: Ihr Regierungssprecher Steffen Seibert teilte am Montag (11. Januar) in Berlin mit: "Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit ist ein Grundrecht von elementarer Bedeutung. In dieses Grundrecht kann eingegriffen werden, aber entlang der Gesetze und innerhalb des Rahmens, den der Gesetzgeber definiert – nicht nach dem Beschluss der Unternehmensführung von Social-Media-Plattformen."

Nicht mit deutschem Recht vereinbar

Experte Schwartmann ist sich sicher, dass die Aktion von Twitter mit deutschem Recht nicht vereinbar ist. Er sagt: "Im Rahmen des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes dürfen in Deutschland Äusserungen, die bestimmte Straftatbestände erfüllen, gelöscht werden. Einen ganzen Account dürfte man in Deutschland demnach aber nicht ohne Weiteres und vorschnell sperren."

Die Regeln, nach denen die Rechtsdurchsetzung bei Anbietern sozialer Netzwerke vollzogen würden, seien deren Hausrecht. "Die Nutzungsbedingungen sind die Allgemeinen Geschäftsbedingungen. In ihnen versuchen Unternehmen, ihr Hausrecht auszuloten", sagt Schwartmann. Im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) sei die Kontrolle von AGBs geregelt.

Gefährliche Solidarisierungs-Welle

Für Twitter und Facebook heisst das nach deutschem Recht: "Die AGB müssen so formuliert sein, dass der Nutzer absehen kann, ob ein Post gelöscht wird oder nicht und jeder Eingriff muss dem Recht entsprechen", sagt Schwartmann. Oft seien die Formulierungen jedoch sehr schwammig. "Mit der Sperre des Accounts einer rechtsradikalen Partei befasst sich aktuell das Bundesverfassungsgericht in der Entscheidung zum III. Weg. Die sollte Klarheit bringen", sagt Schwartmann.

In den USA erwartet er als Reaktion auf Twitters Entscheidung eine Solidarisierungs-Welle mit Trump. "Der Kollateralschaden könnte gewaltig sein, wenn Trump nun zum Märtyrer hochstilisiert wird", fürchtet Schwartmann. Seine Anhänger könnten sich hinter ihn stellen und sagen: "Wenn Trump das Wort abgeschnitten wird, dann sprechen und kämpfen wir jetzt für ihn."

Aktion auch für Twitter schädlich

Zwar könne Trump durch die Account-Sperrung nicht mehr selbst tweeten, seine Anhänger könnten ihn aber wiederauferstehen lassen. "Halb Amerika kann nicht abgeschaltet werden, deshalb hat das Vorgehen der sozialen Netzwerke eine enorme gesellschaftliche Brisanz", betont Schwartmann.

Auch zur weiteren Spaltung des Landes könnten sie beitragen: "Wenn sich nun viele den Kanal suchen, der für ihre Meinung am offensten ist und sich dort einrichten, wo sie sich gefühlt am freisten äussern können, entstehen Filterblasen", meint Schwartmann. Denn eine Art Tribalisierung der sozialen Netzwerke sei die Folge. "Der Dienst Twitter hatte immer den Vorteil, dass er nicht in eine Richtung Partei ergriffen hat. Deswegen ist die Aktion auch für den Dienst brandgefährlich", warnt Schwartmann.

Gründet Trump eigene Plattform?

Trump hat bereits angekündigt, einen eigenen Dienst gründen zu wollen. "Gut möglich, dass er es macht", schätzt Schwartmann. Ein Trump-Kanal sei technisch möglich. "Ob er sich tatsächlich eine Art Sparten-Sender schafft, hängt wohl davon ab, was seine weiteren Ambitionen als abgewählter Präsident sind", sagt der Experte.

Bei Twitter wären für Trump durch seine Abwahl ohnehin bedeutende Vorzüge weggefallen: Denn seine Wahlniederlage bedeutet gleichzeitig den Verlust des sogenannten "World leader"-Status bei Twitter, der gewählten Amtsträgern eine gewisse Immunität zuspricht. "Sie dürfen quasi schärfer sprechen als andere", erklärt Schwartmann. Auch im Parlament herrsche eine solche Immunität, um freiere Rede zu ermöglichen. "Dass aber Twitter über diesen Status und seine Aufhebung entscheidet, bedeutet eine ungeheure Macht", erinnert der Experte.

Über den Experten: Prof. Dr. Rolf Schwartmann ist Leiter der Kölner Forschungsstelle für Medienrecht an der Technischen Hochschule Köln und Inhaber der Professur für Bürgerliches Recht und Wirtschaftsrecht. Er ist zugleich Privatdozent an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz und Vorsitzender der Gesellschaft für Datenschutz und Datensicherheit (GDD) e.V. Prof. Dr. Rolf Schwartmann ist Mitglied der Datenethikkommission.

Verwendete Quellen:

  • Interview mit Prof. Dr. Rolf Schwartmann
  • Statista.de: Brandt, Mathias: Trump tweetet täglich 36 Mal
  • Twitter.com: Permanent suspension of @realDonaldTrump:
  • Twitter.com: World Leader on Twitter: principle & approach
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