Die im Dezember gewählte pro-europäische Tusk-Regierung hat einen schwierigen Start: Während der Ministerpräsident versucht, Massnahmen der ehemaligen PiS-Regierung rückgängig zu machen, schöpft der PiS-nahe Staatspräsident Andrzej Duda seine Macht voll aus, um abzusichern, was geht. Eine Expertin erklärt, was Polen drohen könnte und welcher Streit ein Kipppunkt sein dürfte.
Die Nachrichten, die derzeit aus Polen kommen, beunruhigen Kenner des Landes. Denn sie deuten auf nichts Geringeres als eine Staats- und Verfassungskrise hin. Denn die im Dezember gewählte Tusk-Regierung stösst bei ihrem Ziel, Massnahmen der früheren nationalkonservativen PiS-Regierung wieder zurückzudrehen, zunehmend an ihre Grenzen.
Nur einige Beispiele: Tusk wollte die Medienlandschaft wieder neu aufstellen und vielfältiger machen, doch das Verfassungsgericht lehnte die geplante Umstrukturierung der früheren öffentlich-rechtlichen Medien ab. Die Vorgängerregierung hatte einen Nationalen Medienrat installiert, dessen alleiniges Recht es ist, den staatlichen Radiosender, das Fernsehen und die Nachrichtenagentur aufzulösen.
Präsident schöpft Macht voll aus
Gleichzeitig sagte Warschau eine bereits geplante Reise von Ministerpräsidentin
Mit Sorge beobachten Polen-Kenner auch, wie Staatspräsident Andrzej Duda, jüngst zum zweiten Mal den Ex-Innenminister Mariusz Kaminiski und seinen früheren Staatssekretär Maciej Wasik begnadigte. Sie kamen aus dem Gefängnis frei, in dem sie wegen Amtsmissbrauch sassen. Duda soll ihnen nahestehen, vor seinem Präsidentenamt gehörte er selbst der nationalkonservativen PiS an.
Grosse Herausforderung für Regierung
"Das hängt alles miteinander zusammen", ist sich Politikwissenschaftlerin Gabriele Abels sicher. Die neue Regierung versuche, möglichst viel von den Massnahmen der früheren PiS-Regierung rückgängig zu machen, die auf eine Deformation von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit abgezielt hatten – stosse dabei aber auf viel Gegenwind.
"Das ist eine grosse Herausforderung, denn viele Bereiche sind betroffen – etwa das Verfassungsgericht, die Medien und der Kulturbereich. Mit den Mitteln der Rechtsstaatlichkeit ist es bei einigen Massnahmen schwierig, sie zurückzunehmen", beobachtet Abels.
Streit um öffentlich-rechtliche Medien
Tusk wolle beispielsweise zurück zu einer grösseren Medienvielfalt – denn das sei zentral für die Meinungsvielfalt. "Das hat die PiS vorher verunmöglicht, da sie die Medien zu Propagandaorganen gemacht hat", erinnert Abels. Doch nun könne Tusk den Status der Medien nicht einfach zurückdrehen – weil die PiS die Aufsicht über die Medien einem nationalen Medienrat gegeben hat, der die alleinige Autorität besitzt, bei den öffentlich-rechtlichen Medien Veränderungen vorzunehmen.
"Deshalb ist es jetzt so problematisch, wenn der neue Justizminister die Medien umstrukturieren möchte", erklärt Abels. Zuvor hatte Präsident Duda bereits ein Veto gegen ein Gesetz der Regierung von Tusk eingelegt, welches die Subventionierung der Öffentlich-Rechtlichen mit rund 690 Millionen Euro vorsah.
PiS hat Errungenschaften abgesichert
"Die PiS hat durchaus in einer klugen Weise ihre Errungenschaften abgesichert", sagt Abels. Problematisch ist aus Sicht von Abels auch die Besetzung des Verfassungsgerichts. "Es ist mit PiS-Getreuen besetzt worden und unterstützt weiterhin die alte Linie der PiS-Regierung. Deshalb steht die Tusk-Regierung vor dem Problem, dass sie Massnahmen ergreift, diese dann aber vom Verfassungsgericht nicht für verfassungskonform erklärt werden", erklärt die Expertin. An diesem Punkt könne man bereits von einer Verfassungskrise sprechen.
Das Verhältnis zwischen Ministerpräsident Tusk und den Anhängern der ehemaligen Regierungspartei PiS sei bereits sehr angespannt. "Bei ihren Demonstrationen berufen sich die PiS-Anhänger jetzt auf Meinungsfreiheit – obwohl sie diese für die Opposition in den letzten acht Jahren selbst eingeschränkt haben", erinnert Abels. Alles, was derzeit passiere, würden sie nicht nur für nicht verfassungskonform erklären, sondern für antipolnisch. "Hier beobachten wir einen fast religiös aufgeladenen Nationalismus", sagt die Expertin.
Beispielloses Vorgehen von Duda
Das Vorgehen von Präsident Duda, auch etwa in Bezug auf die Begnadigungen, nennt die Expertin "beispiellos". Aus ihrer Sicht schöpft Duda alle seine Möglichkeiten aus, um die Macht der PiS weiterhin abzusichern. "Die PiS erkennt zwar den Wahlsieg der Opposition an, versucht aber über den Präsidenten und über den Druck der Strasse zu torpedieren ", sagt Abels. Die Tusk-Regierung habe sich keine Illusionen darüber gemacht, wie schwierig es werden würde.
Man dürfe nicht vergessen, dass der polnische Präsident eine andere Rolle als der deutsche Bundespräsident hat, der sehr zurückhaltend und stark repräsentativ ist. "Polen hat ein semipräsidentielles System. Der polnische Staatspräsident hat durch seine Direktwahl schon eine hohe Legitimation und hat eine viel stärkere Rolle im Gesetzgebungsprozess", sagt Abels. Er könne zum Beispiel selbst Gesetzesinitiativen einbringen und habe ein starkes Vetorecht.
Haushaltsstreit als Kipppunkt
"Das nutzt Duda gerade im aktuellen Konflikt um den Haushalt gnadenlos aus", beobachtet sie. Das Parlament müsse zeitnah einen Haushalt vorlegen – doch Duda habe bereits sein Veto angekündigt. "Wenn der Haushalt nicht rechtzeitig vorliegt, kann der Präsident sogar das Parlament auflösen. Man kann sich fragen, ob Duda absichtlich darauf zielt, um dann durch eine neue Mobilisierungskampagne der alten Regierung wieder zur Macht zu verhelfen", sagt Abels.
Im Haushalt fänden sich eine Reihe sozialpolitischer Massnahmen – etwa eine Erhöhung der Gehälter für Lehrerinnen und Lehrer oder Massnahmen im Bereich Kindergesundheit. Diese Massnahmen seien für die Tusk-Regierung zentral, um in der Breite zu wirken.
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Lage könnte sich zuspitzen
"Denn ein Teil des Erfolges der PiS-Partei kam auch daher, dass sie so stark auf Sozialpolitik und Familienförderung gesetzt hat. Das ist in einem Land, das im Vergleich zu Deutschland sehr viel ärmer ist, gut angekommen", analysiert Abels. Deshalb sei es für die Tusk-Regierung entscheidend, auch ihre haushaltspolitischen Prioritäten setzen zu können.
Abels rechnet mit einer weiteren Zuspitzung der Lage. "Wenn Duda tatsächlich entscheiden sollte, das Parlament aufzulösen, weil es seiner Meinung nach keinen ordnungsgemässen Haushalt gibt, dann ist das ein massiver Konflikt", warnt sie. Es würde zu vielen Demonstrationen und Unsicherheit im Land führen. "Dann hat man da sehr offen eine Verfassungs- und Staatskrise, bei der die Handlungsfähigkeit infrage steht", warnt sie.
Über die Gesprächspartnerin
- Prof. Dr. Gabriele Abels ist Professorin für vergleichende Politikwissenschaft und europäische Integration an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen. Sie studierte Politikwissenschaft, Soziologie und Englische Philologie.
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