Drei von fünf Stimmberechtigten sagten Nein: Die nationalkonservative Schweizerische Volkspartei ist mit ihrem Anliegen deutlich gescheitert, die Bedingungen für eine Ausschaffung straffälliger Ausländer zu verschärfen. Eine beispiellose Aufholjagd der Gegnerschaft zum Schluss des Abstimmungskampfs führte schliesslich zu diesem klaren Resultat.
Einen Nein-Anteil von fast 60 Prozent, das hätte im Vorfeld der Abstimmung zur Durchsetzungs-Initiative wohl niemand erwartet. Die Umfragen vor dem Urnengang hatten zuerst eine Annahme, später zumindest einen knappen Ausgang des Urnengangs prognostiziert.
Nun kam das Anliegen der SVP, ihre 2010 vom Stimmvolk angenommene Ausschaffungs-Initiative zu verschärfen, nicht nur bei 58,9 Prozent des Stimmvolks nicht an, sondern scheiterte auch am Ständemehr: Für die Initiative sprachen sich lediglich sechs Kantone aus. Für diese Initiative lag die Stimmbeteiligung gemäss Bundeskanzlei bei hohen 63,1 Prozent.
Das Stimmvolk erteilte mit dem klaren Nein auch eine Abfuhr an die neue politische Idee, mit einer zweiten Volksinitiative eine bereits in einer Abstimmung angenommene Initiative zu konkretisieren und zu verschärfen.
Nach der Ablehnung der Durchsetzungs-Initiative tritt das vom Parlament angenommene Gesetz zur Ausschaffungs-Initiative frühestens Anfang 2017 in Kraft. Auch dieses bedeutet eine Verschärfung des Ausländerrechts, womit die Schweiz eines der härtesten Ausländergesetze Europas haben wird.
Reaktionen
Bundesrätin Simonetta Sommaruga, Vorsteherin des Eidgenössischen Justiz -und Polizeidepartements (EJPD), zeigte sich bei einer Pressekonferenz in Bern erleichtert. "Das Volk hat entscheiden", sagte sie. "Ob Befürworter, ob Gegner. Diese Abstimmung hat die Schweiz bewegt."
Aus drei Gründen sei der heutige Urnengang eine besondere und wichtige Abstimmung gewesen, betonte sie: "Erstens hat die Mehrheit der Stimmbürger heute ein Bekenntnis zu den Ausländerinnen und Ausländern in der Schweiz abgegeben, besonders zu den Secondos und Secondas. Sie gehören zu uns und sollen auch so behandelt werden."
Es sei aber auch ein wichtiger Tag für die Schweiz als Rechtsstaat gewesen. "Und drittens haben die Stimmbürger heute gesagt: Auch in einer direkten Demokratie darf niemand allmächtig werden, auch die Stimmbürger nicht. Oder anders gesagt: Die Gewaltenteilung gehört zur Demokratie. Diese Selbstbeschränkung ist ein Zeichen von demokratischer Mündigkeit." Die Kampagne habe breite Teile der Bevölkerung mobilisiert und zudem viele, besonders junge Menschen politisiert, so die Justizministerin.
Für die SVP ist das klare Nein zur Durchsetzungs-Initiative ein Grund zur Sorge: Der Praxistest für das vom Parlament verabschiedete Ausschaffungsgesetz stehe noch aus, sagte der designierte Parteipräsident Albert Rösti. Er hoffe, dass seine Prognose nicht eintreffe, wonach Ausschaffungsentscheide der Richter weiterhin die Ausnahme als die Regel blieben. Er erklärte die Niederlage mit der erstarkten Gegnerschaft. Rösti erwartet nun eine "pfefferscharfe" Umsetzung der Ausschaffungs-Initiative.
"Die Zivilgesellschaft ist erwacht und hat klar gemacht, dass sie Rechtsstaat, Minderheitenschutz und Menschlichkeit über Fremdenfeindlichkeit und den totalitären Machtanspruch einer einzelnen Partei stellt", freute sich Christian Levrat, Präsident der Sozialdemokratischen Partei (SP). Zahlreiche Verbände und Interessengruppen äusserten sich ebenso erleichtert.
Gemäss dem Politologen Claude Longchamp führten die gross angelegte Schlusskampagne und die breite Mobilisierung der Gegnerschaft auch über soziale Medien schliesslich zu diesem deutlichen Nein.
Philipp Müller, Präsident der Freisinnig-Demokratischen Partei (FDP.Die Liberalen), pflichtete ihm bei: "Alle Milieus inklusive der sonst eher zurückhaltenden Wirtschaft haben sich gegen das Volksbegehren gestellt", sagte er gegenüber der Nachrichtenagentur SDA.
Die Initiative
Noch selten hatte eine Volksinitiative die Schweiz derart in Aufruhr zu versetzen vermocht. Die Durchsetzungs-Initiative war seit Anfang Jahr das dominierende Thema im Land. Wo man auch hinkam oder hinsah, wurde darüber diskutiert oder hingen Plakate von Befürwortern und Gegnern. Der Abstimmungskampf war äusserst intensiv und geprägt von zahlreichen Appellen und Aktionen, die über das übliche Mass hinausgingen.
Die Volksinitiative "Zur Durchsetzung der Ausschaffung krimineller Ausländer", eingereicht von der nationalkonservativen SVP, hatte gefordert, dass die 2010 vom Stimmvolk angenommene Ausschaffungs-Initiative wortgetreu in der Bundesverfassung umgesetzt werden soll.
Mit der Volksinitiative "für die Ausschaffung krimineller Ausländer" erreichte die SVP, dass Ausländerinnen und Ausländer unabhängig von ihrem ausländerrechtlichen Status ihr Aufenthaltsrecht sowie alle Rechtsansprüche auf Aufenthalt in der Schweiz verlieren sollen, falls sie wegen gewisser krimineller Taten rechtskräftig verurteilt worden sind. Laut Initiativtext sollte der Gesetzgeber, also das Parlament, die Tatbestände näher umschreiben.
Doch weil dieses eine Härtefall-Klausel ins Gesetz geschrieben hatte, warf die SVP dem Parlament vor, den Volkswillen von 2010 verwässert zu haben, zumal damit ein Richter in aussergewöhnlichen Fällen von einer Ausweisung absehen kann.
Bereits 2012 lancierte die SVP deshalb eine neue Initiative, um Druck auf das Parlament auszuüben, was in einigen Punkten auch gelang. Neu bei der Durchsetzungs-Initiative ist, dass der Katalog jener Strafen, die zu einem Landesverweis führen sollen, ausgebaut wurde und nun direkt in der Bundesverfassung verankert werden soll. Normalerweise werden solche Normen in Gesetzen festgehalten.
Die Hauptargumente
Die SVP war bei dieser Vorlage praktisch allen anderen Parteien gegenüber gestanden. Im Parlament unterstützt wurde sie einzig von den beiden kleinen Rechtsaussen-Parteien Lega dei Ticinesi und Mouvement Citoyen Genevois. Besonders die Härtefall-Klausel in der Umsetzung der Ausschaffungs-Initiative war den Initianten ein Dorn im Auge. Die aktuelle Gerichtspraxis zeige, dass Richter von dieser Möglichkeit regen Gebrauch machten und somit kaum kriminelle Ausländer ausgeschafft würden, hatte es geheissen.
Zu den Gegnern der Initiative zählten alle Wirtschaftsverbände, Gewerkschaften, Menschenrechts-Organisationen und Gruppen zur Verteidigung der Rechtsstaatlichkeit. Diese hatten auf das Prinzip der Verhältnismässigkeit gepocht, das in der Rechtsprechung garantiert bleiben solle. Zudem verletze die Durchsetzungs-Initiative die Gewaltenteilung und lähme so Parlament und Gerichte, war argumentiert worden. © swissinfo.ch
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