- El Salvador hat als erstes Land der Welt den Bitcoin zum offiziellen Zahlungsmittel aufgewertet.
- Der internetaffine Staatspräsident Nayib Bukele will Investoren anziehen und Bürger entlasten.
- Fraglich ist jedoch, wer mehr profitiert: Das Land - oder sein Image.
El Salvador ist für vieles bekannt: Für die geschmackvolle Arabica-Kaffeebohne zum Beispiel, für eine reichhaltige Vulkanlandschaft oder für eine der höchsten Kriminalitätsraten der Welt. Hochtechnologie zählte bislang nicht zu den Dingen, mit denen man den zentralamerikanischen Staat in Verbindung bringt.
Das soll sich nach dem Willen des jungen Präsidenten Nayib Bukele ändern. Am 5. Juni kündige der Staatschef, der seine teils autokratische Politik vorzugsweise im Stil eines Influencers kommuniziert, per Zoom-Schalte an, den Bitcoin künftig neben dem US-Dollar als gesetzliches Zahlungsmittel zu verankern. Nur vier Tage später passierte Bukeles Gesetz mit knapper Mehrheit das Parlament. Für die knapp 6,5 Millionen Salvadorianer heisst es nun, dass vom ganz normalen Verkäufer über den Schuhputzer bis zum Finanzamt sämtliche Händler, Dienstleister und Behörden den Bitcoin akzeptieren müssen. Das wiederum, so wirbt Bukele für seinen Vorstoss, sorge für "finanzielle Inklusion, Investitionen, Tourismus, Innovation und wirtschaftliche Entwicklung".
Gewaltig erscheint dabei das Tempo, mit dem El Salvador bei der Digitalisierung seiner Währung vorprescht, insbesondere im internationalen Vergleich. Als in dieser Woche die Spitzen der Europäischen Zentralbank (EZB) den Startschuss für einen digitalen Euro gaben, steckten sie einen Zeithorizont von fünf Jahren ab. Bukele, der ein Land mit einer der schlechtesten Netzabdeckungen der Welt regiert, will die EU also mal eben um ein halbes Jahrzehnt überholen.
Dass diese Vorhaben ambitioniert ist, aber gelingen kann, dafür spricht, dass der Bitcoin in El Salvador nicht ganz neu ist. In Europa ist der alltägliche Zahlungsverkehr per Krypto-Wallet höchstens etwas für Nerds. Im Surferparadies El Zonte hingegen, einem Fischerdorf an der Pazifikküste, kann man bereits seit einiger Zeit in den Cafés, Restaurants oder Einkaufsläden der Stadt mit dem Bitcoin zahlen. An einem Krypto-Automaten können die Coins sogar unkompliziert in Dollars getauscht werden. Vor allem bei jungen Menschen kommt das Experiment gut an.
El Salvador lebt von Auslandsüberweisungen – und die werden teurer
Gleich mehrere Gründe, die über die Bezahlung des Cappuccino hinausgehen, sprechen dafür, dass sich der Einsatz von Bitcoin in El Salvador lohnen könnte. Einer ist, dass weite Teile der Bevölkerung auf Auslandsüberweisungen angewiesen sind, die hauptsächlich von den rund 1,5 Millionen Salvadorianern stammen, die in den USA leben und ihre Familienmitglieder finanziell unterstützen. Alleine im vergangenen Jahr kamen auf diesem Weg sechs Milliarden US-Dollar in das Land, was einem Anteil von 20 Prozent gemessen an der Wirtschaftsleistung entspricht. Weil jedoch nur eine Minderheit der Salvadorianer ein Bankkonto besitzt, haben Finanzdienstleister wie Money Gram oder Western Union freies Spiel, teilweise empfindliche Gebühren auf jede Abhebung draufzuschlagen. Wer ein Bankkonto besitzt, dem geht es kaum besser: Die Kontoführungs- und Überweisungsgebühren sind relativ gesehen höher als in jedem europäischen Land. Bukele verspricht, dass sich mit dem Bitcoin ein Grossteil dieser Gebühren einsparen liesse. Ausserdem erhielten die Menschen leichter Zugang zum Finanzsektor.
Soweit die Theorie. In der Praxis gibt es einige Hürden auf dem Weg zum Krypto-Hub zu überwinden. Denn Bitcoins können zwar problemlos in Dollars getauscht werden, kostenlos ist das aber nicht. Auch die Firmen, die die Infrastruktur für den Bitcoin-Kauf zur Verfügung stellen, verlangen Gebühren, auch wenn diese in der Regel niedriger sind als die Abhebungen am Geldautomaten. Dazu kommt die Schwankungsanfälligkeit des Bitcoins: Sinkt der Kurs so stark wie zuletzt, könnten viele Menschen zahlungsunfähig werden, wenn sie etwa gleichzeitig einen Kredit in US-Dollar bedienen müssen. Thorsten Hens, Professor für Financial Economics an der Universität Zürich, bezweifelt im Gespräch mit unserer Redaktion deshalb, dass sich die ambitionierten Ziele der Regierung mit dem Bitcoin unkompliziert erreichen lassen: "Aus Sicht von El Salvador hätte man vielleicht besser den Theta gewählt, weil dieser ein ‚Blockchain-Dollar‘ ist, also eine Krypto-Währung, die an den Dollar angebunden ist. Dann hätte man sich zumindest die Kursschwankungen des nun eingeführten Zahlungsmittels gegenüber dem Dollar gespart."
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Geringes Technologieverständnis, löchrige Netzabdeckung: Reicht die Akzeptanz?
Ungeklärt ist auch die Frage, wie die Salvadorianer den Bitcoin flächenmässig nutzen sollen, wenn mehr als 90 Prozent der Haushalte dort keinen Zugang zum Internet haben. Erst kürzlich zeigte eine Studie der Interamerikanischen Entwicklungsbank, dass die Internetabdeckung gerade in den ländlichen Gegenden schlecht bis gar nicht vorhanden ist. Ohne Internetanschluss verliert die Währung jedoch ihren Nutzen als tägliches Zahlungsmittel, sie kann dann - wenn überhaupt - als Wertspeicher verwendet werden. Dazu kommt die Frage, ob das Technologieverständnis in dem Land überall so ausgereift ist wie bei den Surfern in El Zonte, die ihren Kaffee in El Zonte schon seit zwei Jahren mit Bitcoins bezahlen. Roman Beck, Professor für Wirtschaftsinformatik an der IT-Universität Kopenhagen und Chef des European Blockchain Centers, zeigt sich skeptisch, ob sich der Bitcoin so schnell als Alltagszahlungsmittel in El Salvador etablieren lässt: "Es scheint klar, dass El Salvador nicht davon ausgeht, dass die eigene Bevölkerung Bitcoin nutzen wird", sagt Beck im Gespräch mit unserer Redaktion. "Vielmehr macht sich das Land attraktiv für Foreign Direct Investments in Bitcoin. Mit anderen Worten: El Salvador lädt Bitcoin-Besitzer ein, ihr Geld in El Salvador auszugeben".
Übersteigen die Probleme den Nutzen?
El Salvador kommt es entgegen, dass eine wachsende Zahl sogenannter Mining-Firmen, die ihr Geld mit dem Schürfen von Krypto-Geld verdienen, auf der Suche nach Flächen für ihre Serverfarmen ist. In vielen Ländern sind diese Unternehmen wegen ihres hohen Energiebedarfs in Ungnade gefallen und strenger Regulierung unterworfen, aus China wurden sie zuletzt sogar verbannt. Wenn El Salvador diesen Unternehmen gegenüber eine zugewandte Politik betreibt, könnten tatsächlich Arbeitsplätze entstehen. Die Probleme, die mit dem Bitcoin-Mining verbunden sind, hätte sich El Salvador dann aber auch ins Land geholt, zuvorderst den hohen Energieverbrauch. Gerade der Bitcoin gilt als die schmutzigste aller Digitalwährungen. Laut einer Analyse der Cambridge University verbraucht das globale Mining mehr Strom als die gesamte argentinische Nation im gleichen Zeitraum. Auch dafür hat Bukele bereits eine Lösung versprochen: Er will die Vulkane anzapfen, um billige und saubere Bitcoins zu schürfen. Von besonderem Interesse dürfte für El Salvador jedoch ein anderer Aspekt sein, auf den internationale Fahnder zuletzt immer wieder hingewiesen haben: Dass Krypto-Währungen ein mögliches Einfallstor für Geldwäsche sind. Insbesondere die organisierte Kriminalität, von der El Salvador wie kein zweites Land in Zentralamerika betroffen ist, nutzt den Bitcoin wegen seiner Pseudonymität als bevorzugtes Zahlungsmittel. Mit Verweis auf diese Problematik hatte es die Weltbank auch kürzlich abgelehnt, El Salvador bei der Implementierung der Bitcoin-Pläne zu helfen.
Blockchain-Experte Beck geht dennoch davon aus, dass El Salvador nicht das letzte Land sein wird, das mit dem Bitcoin experimentieren wird: "Mittelfristig werden wir wohl mehr Länder sehen, die neben der eigenen staatlichen Währung noch andere Krypto-Zahlungsmittel anerkennen." Unabhängig davon, welche Ergebnisse El Salvador vermeldet, stehe jedoch bereits fest, dass der digitalaffine Präsident von seinem Vorstoss profitieren dürfte: "El Salvador hat es mit der Ankündigung geschafft in die Medien zu kommen. Das ist schon ein ordentlicher Marketingerfolg", so Beck.
Verwendete Quellen:
- Manager Magazin – Kleines Land, grosses Experiment
- Inter-American Development Bank - At least 77 million rural inhabitants have no access to high-quality internet services
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