Frankreichs neuer Präsident Emmanuel Macron sagt über sich: "Ich habe Europa im Herzen." Doch bei aller Liebe glaubt er, die EU habe nur dann eine Zukunft, wenn sie sich weitreichenden Reformen unterzieht. Welche Vorschläge Macron hat und wie Politiker und Experten diese bewerten.
Frankreichs künftiger Präsident Emmanuel Macron hat viel vor. "Unsere Aufgabe ist riesig", sagte der 39-Jährige am Abend seines Wahlsiegs an seine Landsleute gerichtet. Nicht nur Frankreich, ganz Europa will Macron umgestalten.
Nach einem inoffiziellen Treffen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel im März betonte er öffentlich, ohne weitreichende Reformen werde die Europäische Union die nächsten zehn Jahre nicht überleben.
Finanzminister
Das hat Emmanuel Macron mit der EU vor:
1. Gemeinsamer Finanzminister für die Euroländer
Als ehemaliger französischer Wirtschaftsminister sieht Macron vor allem in Finanzfragen Handlungsbedarf. So spricht sich der überzeugte Europäer für einen gemeinsamen EU-Finanzminister für die gesamte Eurozone aus.
Reaktionen: Neu ist dieser Vorschlag nicht. Bislang aber eben auch noch nie mehrheitsfähig gewesen.
EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger (CDU) lehnte die Forderung nach einem solchen Finanzminister erst kürzlich in der Rhein-Neckar-Zeitung wieder ab. Die EU-Kommission überwache die Haushaltsentwicklung, die Eurogruppe entscheide über Finanzhilfen und der Europäische Stabilitätsmechanismus finanziere diese, wenn nötig.
Für Oettinger und andere Konservative gibt es keinen Grund, an dieser Struktur etwas zu ändern.
2. Gemeinsamer Finanzhaushalt für die Währungszone
Der Euro ist einer der greifbarsten Beweise der europäischen Integration. Doch eine gemeinsame Währung allein geht Macron nicht weit genug. Er will einen gemeinsamen Finanzhaushalt für alle Euro-Länder etablieren.
Reaktionen: Der Vorschlag erfährt sowohl Zustimmung als auch Ablehnung.
Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) teilt mit Macron nicht nur seine Leidenschaft für die EU, sondern auch die Sorge darum. Im Gespräch mit amerikanischen Studierenden der Hopkins Universität in Washington resümierte er, die EU werde bei Europas Bürgern immer unbeliebter.
Aber Schäuble kommt zu einem anderen Schluss als Macron: "Unter den gegebenen Umständen ist es derzeit nicht realistisch, dass wir weitere Schritte in Richtung einer vertieften europäischen Integration gehen."
Sven Giegold, der finanz- und wirtschaftspolitische Sprecher der Grünen im Europa-Parlament, nennt den Eurozonen-Haushalt dagegen ein "geeignetes Mittel, um gemeinsame Investitionen in Europa voranzubringen und gegen Wirtschaftskrisen gewappnet zu sein".
3. Vergemeinschaftung von Staatsschulden
Frankreichs künftiger Präsident hält auch eine enger verzahnte Wirtschaftskooperation der Euroländer für unumgänglich.
Die Vergemeinschaftung von Staatsschulden und Ausgabe von Staatsanleihen, sogenannten Eurobonds, könne ärmeren Euroländern wie Griechenland und Italien helfen, auf internationalen Finanzmärkten an günstigere Kredite zu kommen.
Reaktionen: Mit dem Schlagwort Eurobonds macht sich Macron in Berlin derzeit kaum Freunde.
Unions-Fraktionsvize Michael Fuchs sagte im Deutschlandfunk, die Bundesregierung sei weiterhin gegen gemeinsame europäische Staatsanleihen. Jedes Land müsse für seine Schulden verantwortlich bleiben. Dass das Haftungsrisiko für Deutschland steige, "das wollen wir nicht".
Auch der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Eric Schweitzer, sprach sich gegen diese Idee aus. Der Rheinischen Post sagte er: "Das würde den Standort Deutschland und Europa schwächen, weil Kapitalanleger und Sparer das Vertrauen in den Euro verlieren könnten."
4. Finanzspritzen und Fördergelder dank Gemeinschaftssteuer
Ins Stolpern geratene, einzelne Wirtschaftsbranchen könnten aus einem speziellen Budget, das durch eine Gemeinschaftssteuer finanziert würde, Hilfsgelder erhalten und so wieder zu festem Boden unter den Füssen kommen, schlägt Macron vor. Vor allem Startups sollen von einem Risiko-Kapitalfonds profitieren, den Macron mit fünf Milliarden Fördergelder füllen will.
Reaktionen: Peter Hartz (SPD), ehemaliger Vorstand der Vokswagen AG und führender Kopf hinter der gleichnamigen Arbeitsmarktreform, sähe immerhin dann ein gute Sache in einem neuen europäischen Fördertopf, wenn daraus Massnahmen gegen die enorme Jugendarbeitslosigkeit in der EU bezahlt würden. Das sagte er dem französischen Wirtschaftsblatt Le Point.
Von Regierungsseite gibt es bislang lediglich Äusserungen Schäubles. Der kann sich allenfalls eine Art Europäischen Währungsfonds vorstellen, um Krisen, wie die in Griechenland, künftig ohne den Internationalen Währungsfonds (IWF) bewältigen zu können.
5. Investitionen aus Europa für Europa
Macron spricht sich für einen "Buy European-Act" aus. EU-Aufträge sollen nur diejenigen Firmen bekommen, die mindestens zur Hälfte in Europa produzieren.
Auch soll Deutschland, das im Vergleich zu seinen Nachbarn einen enormen Handelsüberschuss verzeichnet, weniger sparen und mehr in Europa investieren.
Reaktionen:
Der Bremer Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel sprach sich im Deutschlandfunk für mehr deutsche Investitionen in Frankreich aus, um das Land, das ein anhaltendes Staatsdefizit von mehr als drei Prozent aufweist, zu stabilisieren und Europa weiterzuentwickeln.
FDP-Chef Christian Lindner kritisierte in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung dagegen, Frankreich dürfe seine Probleme nicht auf Pump lösen, sondern brauche tiefgreifenden Wirtschaftsreformen. "Wir hoffen auf Macron, aber mehr Schulden als erlaubt darf auch er nicht machen."
Aussenminister Sigmar Gabriel (SPD) unterstützt einen deutsch-französischen Investitionsfonds. "Macron braucht Spielräume", so Gabriel in der ARD. Er könnte Frankreich nicht gleichzeitig reformieren und eisern sparen, wie es Finanzminister Schäuble fordere.
6. Ein europäischer Verteidigungsfonds
Zusammen mit Deutschland will der jüngste französische Präsident aller Zeiten ausserdem die europäische Verteidigungspolitik stärken.
Er schlägt einen Verteidigungsfonds für gemeinsame Rüstungsausgaben wie zum Beispiel Drohnen vor. Ein Operationszentrum soll in Abstimmung mit der Nato zudem selbst Militäreinsätze ausführen.
Reaktionen: Die Bundesregierung scheint einer europäischen Verteidigungsunion nicht abgeneigt. Die EU-Kommission hat bereits Ende November einen Verteidigungsfonds vorgeschlagen, um die rüstungspolitische Zusammenarbeit zu stärken.
Auf diesem Gebiet könnte sich also tatsächlich bald etwas tun. Die Mitgliedsstaaten haben erkannt, dass sie sich unter Donald Trump weniger darauf verlassen können, dass die USA für ihre Sicherheit sorgt, als unter seinen Vorgängern.
Jedoch: Über die Finanzierung dieses Vorhabens sind sich Paris, Rom und Berlin noch nicht einig.
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.