Das neue Energiegesetz, über das die Schweiz am 21. Mai abstimmt, spaltet Industrie- und Wirtschaftskreise der Schweiz. Je nach Verband oder Sektor ist die Energiestrategie 2050 eine Chance für das Land oder eine ungeeignete und teure Lösung, die Unternehmen schadet. Welches sind die Argumente der wichtigsten Wirtschaftsverbände?
175 gegen 163 Stimmen bei fünf Enthaltungen. Diese Zahlen reichen, um den tiefen Graben zu illustrieren, der sich im Vorfeld der Abstimmung vom 21. Mai durch die Schweizer Wirtschaft zieht.
So knapp hat sich die traditionell wirtschaftsnahe Freisinnig-Demokratische Partei (FDP.Die Liberalen) entschieden, die Energiestrategie 2050 des Bundes (ES 2050) zu unterstützen.
Diese Meinungsverschiedenheiten sind keine Überraschung. Denn die von Bundesrat (Landesregierung) und Parlament gutgeheissene Strategie sieht eine epochale Umwandlung des Schweizer Energie- und Elektrizitäts-Sektors vor. Eine Veränderung, die einige stark bevorzugen und andere bestrafen wird.
Deshalb will der Wirtschafts-Dachverband Economiesuisse, der etwa 10'000 Unternehmen mit zwei Millionen Arbeitsplätzen in der Schweiz vertritt, keine Position beziehen. Die Stellungnahmen der verschiedenen Verbandsmitglieder widersprächen sich, sagt Dominique Rochat, Energie-Experte bei Economiesuisse.
"Wir sind nicht zurückhaltend wegen der Richtung, in die man gehen will, sondern wegen den Modalitäten. Die Schweizer Industrie hat ihre Energieeffizienz übrigens bereits stark verbessert und ihren CO2-Ausstoss drastisch vermindert – aus Kostengründen", sagt Rochat.
Im Gegensatz zu Economiesuisse haben die anderen wichtigen Verbände Unterstützung oder Opposition für oder gegen die ES 2015 bekanntgegeben.
Schweizerischer Gewerbeverband (SGV)
Das erste Paket der ES 2050 sei eine Entwicklung, die Ordnung in die Energiepolitik der Schweiz bringe. Die Ziele zur Energieeffizienz und Entwicklung erneuerbarer Energien erfüllten die wichtigsten Bedürfnisse des SGV. Dasselbe gelte für die Möglichkeit, die Kosten der Energiesanierung eines Gebäudes von den Steuern abzuziehen, wie auch für die Limitierung der kostendeckenden Einspeisevergütung (KEV) bis 2025.
Der Anstieg der Stromkosten "ist eine Kröte, die wir schlucken müssen. Wir wollen darum auch darauf hinarbeiten, dass der Strommarkt bald voll geöffnet wird. Dann können Haushalte und KMU ebenfalls den Strom auf dem freien Markt einkaufen und von günstigeren Tarifen profitieren", sagte SGV-Direktor Hans-Ulrich Bigler gegenüber der NZZ am Sonntag.
Verband Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen (VSE)
"Der VSE unterstützt die ES 2050. Sie ist ein demokratischer Kompromiss, das Resultat von drei Jahren intensiven Debatten im Parlament, während denen wichtige Anliegen unserer Branche berücksichtigt wurden. Die ES 2050 bietet einen soliden juristischen Rahmen, um die erneuerbaren Energien weiter zu entwickeln. Sie macht unsere Energieversorgung nachhaltiger, effizienter und lokaler. Ein Ja zur Energiestrategie 2050 ist auch ein Ja zur Wasserkraft, deren Existenz bedroht ist", schreibt VSE-Sprecherin Céline Reymond.
Schweizerischer Fachverband für Sonnenenergie (Swissolar)
"Mit einem Ja zur Energiestrategie 2050 setzen wir ein klares Zeichen: Weg von der enormen Abhängigkeit von klimaschädigenden und gefährlichen Energiequellen aus Krisengebieten, hin zu einer sicheren und sauberen Energieversorgung, die Wertschöpfung im eigenen Land schafft. Solarenergie wird dabei neben der Wasserkraft eine zentrale Rolle spielen. Das neue Gesetz sorgt dafür, dass Bauherren auch zukünftig Anreize erhalten, die Sonne auf ihren Dächern und Fassaden zu ernten. Der Eigenverbrauch des Solarstroms wird zudem stark vereinfacht", schreibt Swissolar-Direktor David Stickelberger.
Vereinigung zur Förderung der Windenergie in der Schweiz (Suisse Eole)
"Suisse Eole befürwortet die Energiestrategie 2050 ausdrücklich, weil sie die Rahmenbedingungen für die Erneuerbaren verbessert. Die Strategie stützt die Wasserkraft und fördert den Ausbau von Solar- und Windenergie. Die Kombination von Wasser, Sonne und Wind ermöglicht eine saubere, zuverlässige und bezahlbare Stromversorgung nach dem Wegfall der Kernkraftwerke. Die klimafreundliche Windenergie, die lokale Wertschöpfung schafft, ergänzt Wasserkraft und Solarenergie optimal, da zwei Drittel des Windstroms im Winterhalbjahr anfallen", argumentiert Sprecher Benjamin Szemkus.
Wirtschaftsverband für saubere Energien (Swisscleantech)
"Die Energiestrategie schafft Planungssicherheit. Grundsätzlich profitieren Wirtschaft, Gesellschaft und Politik davon, wenn klare Ziele gesetzt werden. Zweitens bringt das Paket Klarheit in verschiedenen Bereichen: Beispielsweise werden mit dem Energiegesetz die Rahmenbedingungen für den Eigenverbrauch verbessert. Dies bringt Vorteile nicht nur für Hausbesitzer, sondern auch für Mieter. Drittens können zwei Förderpakete – das Gebäudeprogramm und das Förderprogramm für erneuerbare Energien – über eine beschränkte Zeit weitergeführt werden. Dank dem Gebäudeprogramm wurden bereits insgesamt 80'000 Gebäude energetisch saniert. Dank dem Förderprogramm für Erneuerbare Energien bleibt gewährleistet, dass auch in Zukunft in einheimische Energien – Wasserkraft, Solar- und Windenergie – investiert wird", schreibt Swisscleantech-Direktor Christian Zeyer.
Dachverband der Schweizer Maschinen-, Elektro- und Metall-Industrie (Swissmem)
"Die ES 2050 beantwortet die Schlüsselfrage nicht", nämlich wie die Versorgungssicherheit nach dem schrittweisen Ausstieg aus der Kernenergie sichergestellt werden könne, sagte Swissmem-Präsident Hans Hess an einer Pressekonferenz. Die sichere Verfügbarkeit sei einer der Hauptfaktoren für die Wettbewerbsfähigkeit der Schweizer Industrieunternehmen. Während der Wintermonate würden die erneuerbaren Energien nicht genügend Strom produzieren.
"Damit entpuppt sich die Energiestrategie 2050 als reine Importstrategie von Gas oder Strom. Bereits ab 2025 dürften Deutschland und Frankreich nicht mehr in der Lage sein, der Schweiz im Winter Strom zu liefern", schreibt Hess in einer Medienmitteilung. Die starke Förderung der erneuerbaren Energien sei keine gute Lösung, denn "Planwirtschaft und Bürokratie sind das Resultat, welches den Wirtschaftsstandort Schweiz und die Exportwirtschaft massiv belasten wird".
Schweizerischer Baumeisterverband (SBV)
"Der Schweizerische Baumeisterverband lehnt die Energiestrategie ab, weil sie die Energie-Versorgungssicherheit der Schweiz gefährdet. Sie steckt völlig unrealistische Ziele zur Reduktion des Energieverbrauchs und zum Ausbau der Erneuerbaren Energien. Das Ganze ist ein Wunschkonzept, das höchstens mit einem weiteren massiven Ausbau des Subventionsapparates zu realisieren wäre. Höhere Energiepreise sowie enorme Kosten und Wachstumseinbussen für die Volkswirtschaft wären die Folge", schreibt SBV-Vizedirektor Martin A. Senn.
Schweizer Wirtschaftsverband Chemie Pharma Biotech (Scienceindustries)
"Scienceindustries lehnt das Energiegesetz aus ordnungspolitischen, aber auch wirtschaftlichen Gründen ab. Die Energiestrategie 2050 stellt die Versorgungssicherheit im Winter nicht sicher und setzt mit Subventionen auf den Staat statt auf die Marktkräfte. Die Erhöhung der KEV erhöht die Produktionskosten der Unternehmen in der Schweiz zusätzlich, was für den Standort Schweiz schädlich ist. Aus grundsätzlichen Überlegungen lehnt Scienceindustries auch das vorgesehene Technologieverbot ab", schreibt deren Sprecher Marcel Sennhauser.
Aktion für vernünftige Energiepolitik Schweiz (AVES)
Die AVES begründet ihre Opposition gegen die ES 2050 mit zwei Argumenten: "Grund dafür sind nicht nur die überbordenden Kosten von über 150 Milliarden Franken, um die im Energiegesetz festgelegten Produktions- und Verbrauchsziele umzusetzen. Die vorgesehenen Massnahmen schwächen auch die Versorgungssicherheit und schränken die wirtschaftliche und individuelle Freiheit von Unternehmen und Bürgerinnen und Bürgern ein", schreibt die Aktion in einer Mitteilung.
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