Die Mehrheitsentscheidung der EU-Innenminister zur Umverteilung von 120.000 Flüchtlingen in Europa sorgt für mächtig Zoff in Europa. Ungarn, die Slowakei, Tschechien und Rumänien stellen sich klar gegen einen Verteilschlüssel. Diese Länder wurden jedoch von den anderen EU-Staaten überstimmt. Eine solche Abstimmungsweise ist zwar erlaubt, aber unüblich - so kommentieren nationale und internationale Medien diese Entscheidung:
"Zerrissenheit der EU"
Die belgische Zeitung "De Standaard" schreibt zum Mehrheitsbeschluss der EU-Innenminister: "Dass überhaupt erst eine Abstimmung stattfinden musste, ist bezeichnend für die tiefe Kluft in der Asylproblematik. (...) Es gibt nun zwar einen Beschluss, aber die Zerrissenheit in der EU war nie zuvor so deutlich sichtbar. Das lässt nichts Gutes ahnen."
Auch die schweizerische "Neue Zürcher Zeitung" nennt den Quotenbeschluss eine "Zerreissprobe."
Eine Perspektive aus grösserer Distanz kann die "New York Times" aus den USA einnehmen. Die eher linksliberale Zeitung attestiert, dass die "Pläne zur Lösung der Flüchtlingskrise die Grenzen der Europäischen Einheit aufzeigen. Die Krise reizt die Grenzen der europäischen Fähigkeit aus, Konsens zu erstreiten. Diese Probleme sind die grössten, die die Union seit dem Fall des Kommunismus konfrontieren."
"Nicht die optimale Lösung"
"Spiegel Online" aus Deutschland kritisiert die Flüchtlingspolitik der EU: "Was die EU zuletzt in der Flüchtlingsdebatte geboten hatte, wirkte so kleinkariert wie hoffnungslos. Während Millionen auf der Flucht sind, stritt man sich über die Verteilung von 120.000 Menschen. Und das wochenlang."
Auch die liberal-konservative dänische Tageszeitung "Berlingske" übt Kritik an der Politik und dem Abstimmungsverfahren: "Es ist bestimmt nicht die optimale Lösung, vier EU-Mitgliedsländer zu zwingen, Flüchtlinge nach einer Quoten-Ordnung entgegenzunehmen (...) Man kann versuchen, sich vorzustellen, wie es vor sich gehen könnte, wenn Flüchtlinge auf Länder verteilt werden sollen, die sie nicht aufnehmen wollen und in denen diese vermutlich selbst auch nicht landen wollen. Auch wenn es möglich ist, eine qualifizierte Mehrheit dafür zu nutzen, einen Vorschlag durchzusetzen, hätten doch die wenigsten gedacht, dass die grossen Länder das in einer Sache tun würden, die so wichtig für die nationale Selbstbestimmung ist."
Die konservative tschechische Zeitung "Lidove noviny" kritisiert die heimischen Politiker: "Eine Regierung, welche die Ablehnung verpflichtender Flüchtlingsquoten zu ihrem festen Programm gemacht hat und dann in Brüssel überstimmt wird, kann das nicht als Kompromiss und schon gar nicht als Sieg ausgeben. Es ist sinnlos, sich etwas vorzumachen. Die tschechische Regierung hat es genauso wie die slowakische, ungarische und rumänische nicht geschafft, Verbündete zu gewinnen, um den Fluch der Quoten zu brechen. (...) Das grösste Problem ist, dass die europäischen Spitzenpolitiker Quoten als Lösung verstehen - statt den Schutz der EU-Aussengrenzen anzugehen."
Harte Kritik kommt auch von Seiten der konservativen ungarischen Tageszeitung "Magyar Nemzet": "Wenn Europa keine gemeinsame Flüchtlingspolitik hat, wenn man nicht klar sieht, wer Anspruch auf den Flüchtlingsstatus hat, dann könnten morgen von noch weiter her die noch Ärmeren aufbrechen, die man unter Berufung auf die - nicht existierenden - europäischen Werte und humanitären Gesichtspunkte eigentlich aufnehmen müsste. Nur ist die Belastbarkeit der ungarischen und europäischen Gesellschaft begrenzt. (...) Die internationalen friedensstiftenden Organisationen sind - wie immer - gelähmt, und die führende Weltmacht scheint kein Interesse an einer europäischen Regelung zu haben. Jetzt geht es bereits darum, dass Europa sich vor dem Selbstmord schützt.
"Einigung mit der Brechstange"
Die "Süddeutsche Zeitung" schreibt über die Entscheidung der Innenminister: "EU-Staaten erzwingen Verteilung vom Flüchtlingen."
Auch die "Bild" stellt den "Paukenschlag beim Treffen der EU-Innenminister in Brüssel" in den Mittelpunkt: "Eine Einigung mit der Brechstange. Denn: vier ost- und mitteleuropäische Staaten stellten sich quer."
Die liberale britische Zeitung "The Guardian" kritisiert die Mehrheitsentscheidung ebenfalls: "Die Entscheidung, die osteuropäischen Staaten zu überstimmen, (...) kann als Angriff auf die Souveränität dieser vier Länder wahrgenommen werden."
"Krise umfassend und dauerhaft (...) lösen."
Die österreichische Boulevardzeitung "Krone" verweist auf "viele Krisenherde auf der Welt (...), die in den nächsten Jahren nicht abreissen würden."
Auch das französische Blatt "Le Monde" vermisst langfristige Lösungen aus der Politik: "Es weist jedoch nichts darauf hin, dass die Mitgliedsstaaten bereit sind, die Krise umfassend und dauerhaft zu lösen."
Das italienische Blatt "La Repubblica" zitiert den Präsidenten Sergio Mattarella: "Die Solidarität muss erhalten bleiben!"
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