Andreas Scheuer drängte bei der EU-Kommission auf eine Lockerung der Grenzwerte für saubere Luft. Doch der Schuss ging mächtig nach hinten los, wie ein Brief aus Brüssel an den Bundesverkehrsminister zeigt.

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Dass Politiker, vor allem die der bayerischen Regierungspartei CSU, beim sogenannten "Derblecken" auf dem Münchner Nockherberg zum jährlichen Starkbieranstich einen vor den Latz geknallt bekommen, ist zur beliebten Tradition in der Fastenzeit geworden.

Auch Andreas Scheuer bekam auf kabarettistisch-humoristische Weise am Dienstagabend sein Fett weg und nahm die Kritik mit Humor.

Weniger witzig war die Post, die der Bundesverkehrsminister aus Brüssel zugestellt bekam. Laut einem Bericht der "Süddeutschen Zeitung" hat der CSU-Politiker einen Brief der EU-Kommission mit unmissverständlichem Inhalt erhalten, der dem Blatt vorliegt.

Darin werden Scheuers Zweifel an den geltenden Grenzwerten für Stickstoffdioxid und Feinstaub in der Luft mit deutlichen Worten klar ins Reich der Fabel verwiesen.

Verbale Ohrfeige: EU-Kommission antwortet Scheuer

Der Verkehrsminister hatte Ende Januar - unter Berufung auf einen Bericht einer Gruppe von Lungenärzten - EU-Verkehrs-Kommissarin Violeta Bulc angeschrieben.

Er bat darum, "dass sich die Europäische Kommission aktuell und auf geeignete Weise mit den vorgebrachten Zweifeln auseinandersetzt und eine Neubewertung der Grenzwerte prüft", es gehe um nichts weniger als die "Gewährleistung der Mobilität".

Dass sich die Lungenärzte in ihren Berechnungen teilweise auf falsche Zahlen beriefen und offensichtliche Kalkulationsfehler begingen, brachte Scheuer nicht von seinem Vorhaben ab. Nun hat er die Antwort in Form einer verbalen Ohrfeige erhalten.

Unter die Stellungnahme an Scheuer setzten gleich drei EU-Kommissare ihre Unterschrift, neben Bulc auch Umwelt-Kommissar Karmenu Vella und Binnenmarkt-Kommissarin Elżbieta Bieńkowska.

EU: Kein Zweifel an Gefahr durch Stickstoffdioxid und Feinstaub

"Unser gemeinsames politisches Ziel ist ein Europa, das die Menschen vor Luftverschmutzung schützt, innerhalb eines verständlicherweise dringlichen Zeitrahmens", zitiert die SZ aus dem Schreiben.

Ergebnisse aus wissenschaftlichen Untersuchungen zu Stickstoffdioxid und Feinstaub würden "immer wieder auf negative Auswirkungen auf die Gesundheit" hinweisen. Daher gebe es die rechtliche Verpflichtung, die Grenzwerte für die Luftqualität einzuhalten.

Die Kommissare verweisen auf einen Beschluss der Mitgliedsstaaten, "einschliesslich Deutschlands", der sich dieser Maxime verschrieben habe.

Der Grenzwert liegt bei 40 Mikrogramm Stickstoffdioxid pro Kubikmeter Luft im Jahresmittel und beruht auf einer Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation WHO.

"Wichtige Berechnungen fehlerhaft"

Auch einen Seitenhieb auf die Fehler in dem Bericht der Lungenärzte, den Scheuer praktischerweise gleich mit nach Brüssel geschickt hatte, können sich die EU-Politiker nicht verkneifen.

Sie danken Scheuer, "dass Sie uns als Anlage zu Ihrem Schreiben eine Darstellung der Kritikpunkte mehrerer Mediziner in Deutschland zugeschickt haben".

Doch gleich darauf heisst es in dem Brief: "Wir haben jedoch auch zur Kenntnis genommen, dass wichtige Berechnungen im Zusammenhang mit diesen Behauptungen in der Zwischenzeit als fehlerhaft erkannt worden sind."

Ganz anders die Ergebnisse, die der EU-Kommission vorliegen. Diese seien "umfassend durch Experten begutachtet" und "fachlich geprüft".

Der Vorsitzende des Verkehrsausschusses im Bundestag, Cem Özdemir (Grüne), schrieb auf Twitter, es sei ihm "einfach nur noch peinlich", dass ein Bundesminister von mehreren EU-Kommissaren auf grundlegende Rechenfehler hingewiesen werden müsse. "Wer schützt Andreas Scheuer demnächst davor, vorschnell Briefe an Leute zu verschicken, die es besser wissen?"

Bundesregierung kommt EU-Aufforderung nicht nach

Damit nicht genug: Die Kommission verweist darauf, dass die von Scheuer geforderte Überprüfung der Grenzwerte bereits im vergangenen Jahr begonnen habe. Die EU-Länder wurden "wiederholt eingeladen, relevante Erkenntnisse" dazu nach Brüssel zu übermitteln.

Offenbar aber hat sich aber ausgerechnet das Bundesverkehrsministerium dieser gemeinschaftlichen Zusammenarbeit bislang verweigert.

Die Kommissare schreiben, sie "würden den Beitrag der Bundesregierung so bald wie möglich begrüssen", schliesslich solle die Überprüfung noch in diesem Jahr abgeschlossen werden.

Schadstoff-Grenzwerte können auch strenger werden

Und noch eine weitere Spitze in Richtung des CSU-Ministers können sich Bulc, Vella und Bieńkowska nicht verkneifen: Sie informierten Scheuer darüber, dass bei dem sogenannten "Fitness-Check" auch überprüft werde, "ob die derzeitigen EU-Grenzwerte ausreichend streng sind".

Wenn es also überhaupt eine Änderung gibt, dann werden die bestehenden Regelungen verschärft.

Der Deutschen Presse-Agentur sagte Scheuer am Mittwoch, er werde nicht nachlassen, die Debatte um die Grenzwerte auf europäischer Ebene zu führen.

"Denn wenn es zu Einschränkungen für Europäerinnen und Europäer im Alltag kommt, sollte die Europäische Kommission die Anliegen eines Mitgliedstaates ernst nehmen", forderte er.

Verwendete Quellen:

  • www.sueddeutsche.de: "Ohrfeige für Scheuer"
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