In der Diskussion um eine Lösung in der Flüchtlingskrise erweist sich die Türkei als harter Verhandlungspartner. Die zerstrittene EU könnte für eine Einigung einen hohen Preis zahlen - und läuft Gefahr, ihre eigenen Werte zu verkaufen.

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Wenn sich zwei Seiten handelseinig werden wollen, dann ist immer derjenige in der schlechteren Position, der diese Einigung dringender benötigt. Der Andere kann dann hohe Forderungen stellen, je nachdem, wie sehr etwas Bestimmtes von ihm gewünscht wird.

Insofern könnte das, was wir im Moment zwischen der EU und der Türkei erleben, als ein Musterbeispiel für hartes Verhandeln zwischen gleichberechtigten Partnern durchgehen, wenn es bei dem EU-Türkei-Deal nicht um das Schicksal von Millionen von Menschen gehen würde.

Menschen, die ganz unmittelbar von den Fortschritten der Gespräche betroffen sind. Vor diesem Hintergrund erscheint das gegenseitige Feilschen und Taktieren zynisch.

Türkei hat Europa was zu bieten

Gerade weil die Türkei der EU tatsächlich einiges anzubieten hat, was die Flüchtlingskrise entschärfen und Menschenleben retten könnte. Ankara schlägt zum Beispiel vor, jeden "irregulären Migranten" wieder zurückzunehmen, der von der Türkei aus die griechischen Inseln erreicht.

Wenn sich unter den Schutz suchenden Menschen rumsprechen würde, dass eine Flucht über das Meer nicht nur gefährlich, sondern auch sinnlos ist, werden weniger Menschen diesen lebensgefährlichen Fluchtweg auf sich nehmen, so das Kalkül. Den Schleppern, die bewusst das Ertrinken ihrer Kunden in Kauf nehmen, könnte so das Handwerk erheblich erschwert werden.

Damit die Türkei nicht mit der grossen Zahl der flüchtenden Menschen alleine bleibt, soll die EU die Möglichkeiten einer legalen Einreise ausweiten. Für jeden "zurückgenommenen" illegalen Migranten, soll Europa ganz legal einen syrischen Bürgerkriegsflüchtling aufnehmen, der dann nicht mehr wie bisher sein Leben riskieren müsste, um irgendwie in das Hoheitsgebiet eines EU-Landes zu gelangen.

Diplomaten sprachen nach Medienberichten von einer "eins zu eins Formel". Es wäre ein Deal, mit dem beide Seiten leben könnten - und den Bürgerkriegsflüchtlingen wäre auch geholfen.

Die Türkei ist aber ganz offensichtlich nicht an einer Einigung interessiert, die für sie keinen über eine Lösung der Flüchtlingskrise hinausreichenden Vorteil bringt. Für ihr Entgegenkommen verlangt sie von der EU eine Reihe von Gegenleistungen, die teilweise überhaupt nichts mit der Krise zu tun haben. Sie kann das tun, weil sie am längeren Hebel sitzt und eine Einigung derzeit viel weniger braucht als die in sich zerstrittene EU.

So fordert der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu Visa-Erleichterungen für türkische Staatsbürger, die sich genauso leicht innerhalb der EU bewegen dürfen sollen, wie EU-Bürger. Nach seiner Darstellung hätten die EU-Staatschefs in dieser Frage bereits Entgegenkommen signalisiert, heisst es in verschiedenen Medienberichten.

Das Zugeständnis wäre allerdings ein vergleichbar kleines, da Reiseerleichterungen ohnehin bereits mit der Türkei vereinbart sind. Eine Beschleunigung wäre ein Preis, den die EU durchaus zahlen könnte.

Ganz anders sieht es dagegen mit der zweiten, viel weitreichenderen Forderung aus: Die Türkei bemüht sich bereits seit fast zwanzig Jahren um die EU-Mitgliedschaft und besitzt seit 1997 einen sogenannten Kandidatenstatus. Allerdings waren die Verhandlungen zuletzt immer wieder ins Stocken geraten, sehr zum Ärger der türkischen Regierung.

Beschleunigung des Beitrittsverfahrens

Als eine Gegenleistung für ihr Entgegenkommen in der Flüchtlingsfrage fordert die Türkei jetzt eine Beschleunigung dieser Beitrittsverhandlungen, die allerdings nach Angela Merkels Worten zur Zeit überhaupt nicht "auf der Agenda" stehen.

Die Diskussion über einen mögliche EU-Beitritt der Türkei wurde bereits in der Vergangenheit leidenschaftlich geführt. Gegner hatten immer wieder argumentiert, dass die EU sich als eine Wertegemeinschaft mit gemeinsamen geschichtlichen Wurzeln versteht.

Die Türkei käme sowohl aufgrund ihrer anders gestalteten Geschichte, aber vor allem aufgrund ihrer aktuellen politischen und gesellschaftlichen Entwicklung überhaupt nicht als Beitrittskandidat in Frage.

Die EU würde mit einem Beitritt den Wertekonsens aufgeben, der sie jenseits der wirtschaftlichen Interessen zusammenhalte, hatten Gegner eines Türkei-Beitritts immer wieder argumentiert. Einschliesslich Angela Merkel, die bereits Anfang des Jahrtausends, damals noch als Oppositionsführerin, eine "Privilegierte Partnerschaft" an Stelle einer Mitgliedschaft ins Spiel brachte.

Die Situation hat sich seitdem kaum zu Gunsten eines Beitritts verändert. In puncto Pressefreiheit, Demokratieverständnis, Religions- und Meinungsfreiheit herrschen in der Türkei durchaus andere Vorstellungen als in der westlichen Welt.

Es ist deshalb nur schwer vorstellbar, dass die EU mitten in der grössten Krise ihrer Geschichte einer Erweiterung um einen durchaus zweifelhaften Kandidaten zustimmt.

Dazu passt, dass Angela Merkel Medienberichten zufolge erklärte, der Konflikt in Syrien und andere Krisen hätten klargemacht, wie wichtig es sei, mit der Türkei eine strategische Beziehung zu entwickeln. Denn eine strategische Beziehung ist etwas ganz anderes als eine konkrete Mitgliedschaft.

Die andere grosse Forderung der türkischen Regierung ist für die EU dagegen durchaus leichter zu erfüllen, auch wenn sie den Beigeschmack eines Kuhhandels hat. Die Türkei verlangt für Ihr Entgegenkommen in der Flüchtlingsfrage Geld - und zwar sehr viel Geld.

Fast sechs Milliarden Euro bis Ende 2018

Drei Milliarden Euro hat Brüssel der türkischen Regierung bereits für die Versorgung von Flüchtlingen bis Ende 2017 in Aussicht gestellt. Für die Versorgung von syrischen Bürgerkriegsflüchtlingen sollen nach den neuesten Forderungen bis Ende 2018 noch einmal 2,7 Milliarden Euro fliessen.

Wohl auch aufgrund dieser Forderung wurde eine Einigung erstmal vertagt. Vielen Beobachtern drängt sich angesichts der neuen Forderungen sicherlich nicht ganz zu Unrecht der Verdacht auf, die Türkei wolle mit der Not der flüchtenden Menschen ein lukratives Geschäft machen.

"Die Türkei zelebrierte beim EU-Gipfeltreffen offen ihre Machtposition", sagte Linken Parteichef Bernd Riexinger am Dienstag nach einem Bericht der Deutschen Presse-Agentur. Die EU sei aufgrund ihrer Uneinigkeit in der Flüchtlingsfrage erpressbar - und habe beim vergangenen Gipfel die Gewalt gegen Demonstranten und Journalisten in der Türkei einfach ignoriert.

Von einem "höchst fragwürdigen Deal" spricht Sebastian Schöbel vom ARD-Studio Brüssel in einem Kommentar auf "tagesschau.de". Die türkische Regierung habe sich in den Verhandlungen endgültig als der befürchtete problematische Partner in der Krise erwiesen.

"Mit den Flüchtlingen als Druckmittel will sich Ankara zurück an den Brüsseler Verhandlungstisch in Sachen EU-Beitritt schachern", befürchtet der ARD Journalist. Eine Einigung wäre ein fatales Signal für die Pressefreiheit in der Türkei: Türkische Staatsbürger dürften sich über Visa-Erleichterungen bei der Einreise in die EU freuen - "während Ankara europäische Kritik an seiner Einschüchterungskampagne gegen kritische Journalisten selbstbewusst an sich abtropfen lässt".

Dass es Ankara bei den Verhandlungen sehr um eine starke Symbolik für die eigene Bevölkerung geht, glaubt auch Kristian Brakel. Der Türkei-Experte lebt als Leiter des Büros der Heinrich-Böll-Stiftung in Istanbul.

Die türkische Regierung könne jetzt triumphierend sagen: 'Schaut her, wir verhandeln wieder, wir haben es geschafft, die EU an den Verhandlungstisch zurückzuholen', sagte Brakel gegenüber unserer Redaktion.

Wirklich reformieren und so auf einen EU-Beitritt vorbereiten wolle die Regierung aber das Land überhaupt nicht, schon weil man nicht wisse, wie lange es eine EU in dieser Form überhaupt noch gebe. "Ich bin ziemlich sicher, dass der Präsident an einem richtigen Beitritt nicht interessiert ist", betont Brakel gegenüber unserer Redaktion.

Wenn der Experte Recht behält, könnte sich die EU einen Schritt in Richtung Lösung der Flüchtlingskrise also tatsächlich mit dem Scheck-Heft sowie einem vorläufigen Verzicht auf das Hochhalten der eigenen Werte gegenüber den türkischen Partnern erkaufen.



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