Vor der Wahl in Polen im Herbst hat die EU-Kommission dem Land gravierende Mängel im Kampf gegen die Korruption bescheinigt. Die Regierung in Warschau habe "keine Initiativen" ergriffen, um gegen "Korruption auf höchster Ebene" vorzugehen, heisst es in dem am Mittwoch in Brüssel veröffentlichten Rechtsstaatsbericht der Kommission. Damit könnte nach Ungarn theoretisch auch Polen ein Verfahren unter dem sogenannten Rechtsstaatsmechanismus drohen.

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Die EU-Kommission legte zum vierten Mal ihren Jahresbericht zu den 27 Mitgliedsländern vor. Das Zeugnis für die rechtsnationale Regierung in Warschau sticht als besonders negativ heraus. Von den sieben Brüsseler Empfehlungen zur Rechtsstaatlichkeit setzte Polen die sechs wichtigsten gar nicht um und eine weitere nur teilweise.

Im Zusammenhang mit der Korruption kritisiert Brüssel die "weitreichende Immunität von Spitzenbeamten" und neue "Straffreiheitsklauseln in der Gesetzgebung". Zudem gebe es seit 2020 kein Anti-Korruptions-Programm mehr in dem Land.

Gegen Ungarn hatte die EU-Kommission wegen ähnlicher Vorwürfe im April 2022 erstmals den sogenannten Rechtsstaatsmechanismus aktiviert, mit dem insbesondere das Veruntreuen von EU-Geldern geahndet werden kann. Die Mitgliedsländer blockierten daraufhin im Dezember Fördermittel in Höhe von 6,3 Milliarden Euro für Ungarn.

EU-Justizkommissar Didier Reynders antwortete in einer Pressekonferenz ausweichend auf die Frage, ob er auch gegen Polen ein solches Verfahren plane. Wenn die Kommission eine Entscheidung fälle, werde die Öffentlichkeit im Anschluss informiert, sagte er lediglich.

Im Fall Ungarn zeigt die Mittelkürzung Wirkung, wie es in dem Brüsseler Bericht heisst. Das Land habe "eine Reihe relevanter Anti-Korruptionsreformen" eingeleitet und bereite dazu eine nationale Strategie für 2023 bis 2025 vor. Zudem soll eine neue ungarische "Integritätsbehörde" über die EU-Mittel wachen.

Dennoch bleibt auch Budapest weiter im Visier der EU, wie Reynders dem belgischen Rundfunksender RTBF sagte. In Polen wie Ungarn gebe es weiter "sehr grosse Abweichungen bei der Rechtsstaatlichkeit", betonte er. Neben der mangelnden Unabhängigkeit der Justiz betrifft dies auch die Pressefreiheit. Wegen solcher Mängel war Brüssel in den vergangenen Jahren mehrfach juristisch gegen die beiden Länder vorgegangen.  © AFP

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