Mit viel Mühe haben die Staats- und Regierungschefs der EU sich auf ein Milliardenpaket zur Überwindung der Coronakrise und einen mittelfristigen Haushalt geeinigt. Doch beschlossen ist das Paket damit noch nicht. Jetzt hat erstmal das EU-Parlament das Wort.

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Das Europaparlament will erst einmal Stopp zu dem beim EU-Gipfel vereinbarten europäischen Haushaltspaket sagen. Ziel ist, mehr Geld für Klimaschutz, Forschung, Gesundheit und Studenten herauszuholen.

"Wir sind derzeit nicht bereit, diese bittere Pille zu schlucken", sagte der Fraktionschef der Europäischen Volkspartei, Manfred Weber am Donnerstag. Ähnlich sehen das die anderen grossen Fraktionen.

Sie verlangen auch eine klare Regelung, dass EU-Geld bei Verstössen gegen die Rechtsstaatlichkeit künftig gekürzt werden kann. Die Entscheidung im Parlament fällt wahrscheinlich im September.

Die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union hatten sich bei ihrem Gipfel diese Woche auf ein Corona-Krisenprogramm im Umfang von 750 Milliarden Euro und einen siebenjährigen EU-Haushalt von 1074 Milliarden Euro geeinigt.

Der Haushalt braucht die Billigung des EU-Parlaments, das nun in einem Vermittlungsverfahren Änderungen durchsetzen will. Auch die Parlamente in allen 27 EU-Staaten müssen Ja sagen. Der Haushaltsrahmen soll zum 1. Januar in Kraft treten und bis Ende 2027 gelten. Das erste Geld aus dem 750-Milliarden-Paket soll ebenfalls im Laufe des Jahres 2021 fliessen.

Eindringliche Forderung Webers nach Nachverhandlungen

Weber hatte bereits im Vorfeld der Debatte Nachverhandlungen gefordert. "In der vorliegenden Form kann das Europäische Parlament den Beschlüssen des Rates nicht zustimmen", sagte Weber der "Welt" (Donnerstag).

Der CSU-Politiker kritisiert unter anderem, dass 90 Prozent des Hilfspakets direkt in Staatshaushalte fliessen und nicht an Projekt gebunden werden sollen. Er forderte eine EU-Agentur zur Überprüfung der Mittelverwendung. "Es darf keine Korruption geben, es darf nicht in die Schattenwirtschaft gehen und ineffizient verwendet werden."

Zudem müsst die Freigabe von Mitteln gegen die coronabedingte Wirtschaftskrise Webers Ansicht nach an Reformvorgaben gekoppelt werden. "Ich etwa bin nicht bereit, dass wir jetzt (dem spanischen Ministerpräsidenten) Pedro Sánchez und seiner linken, teilweise kommunistischen Regierung in Spanien Gelder überweisen, wenn sie nicht selber ihre Hausaufgaben machen. Das ist nicht akzeptabel", erklärte er im Gespräch mit der "Welt".

EU-Ratspräsident verteidigt historisches Milliardenpaket

EU-Ratspräsident Charles Michel und Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen verteidigten am Donnerstag die Ergebnisse es EU-Gipfels. "Wir haben geliefert - vielleicht über das hinaus, was noch vor wenigen Wochen vorstellbar war."

Der Belgier betonte erneut die historische Dimension des insgesamt 1,8 Billionen Euro starken Pakets und der Neuerung, dass die EU gemeinsam Schulden für das Corona-Krisenprogramm aufnimmt.

Von der Leyen betonte, dass viele Milliarden in die Modernisierung der Wirtschaft flössen und damit zum Beispiel in den Ausbau des 5G-Mobilfunknetzes oder in besser gedämmte Häuser.

Die Kommissionschefin räumte aber ein, dass es gegenüber ihrem ursprünglichen Entwurf schmerzliche Einschnitte gebe - vor allem beim Forschungsprogramm Horizon, bei Gesundheit, beim Investitionsplan InvestEU und beim Geld für die internationale Zusammenarbeit. "Dieser schmale Mehrjährige Finanzrahmen ist eine bittere Pille."

Das griff dann nicht nur Weber auf, sondern etliche weitere Redner in der Debatte. "Diese bittere Pille, die Sie heute erwähnt haben, die uns serviert wurde, werden wir so nicht schlucken", formulierte auch der SPD-Abgeordnete Tiemo Wölken.

Rückzahlung der Schulden könnte 130 Jahre dauern

In einer von allen grossen Fraktionen ausgehandelten Resolution wurden die Nachforderungen formuliert: mehr Ausgaben für Forschung, Gesundheit, das Studentenprogramm Erasmus und den "Fonds für einen gerechten Wandel" hin zur klimafreundlichen Wirtschaft - dazu ein stärkerer Rechtsstaatsmechanismus, mit dem Staaten wie Ungarn oder Polen bei Einschränkungen von Justiz, Medien oder Demokratie die Subventionen aus Brüssel gekappt werden könnten.

Eine solide Garantie, dass die Vergabe von EU-Mitteln an die Rechtsstaatlichkeit gebunden werde, sei Voraussetzung für die Zustimmung zum Haushalt, sagte der liberale Fraktionschef Dacian Ciolos. Die vom Gipfel formulierte Klausel wurde als zu vage gerügt.

Die Redner der grossen Fraktionen lobten, dass die 27 EU-Staaten trotz langen Streits überhaupt eine Einigung fanden. Sie würdigten auch das Corona-Konjunkturprogramm und die Finanzierung über gemeinsame Schulden. Linken-Fraktionschef Martin Schirdewan sagte jedoch: "Es wird Sie nicht überraschen, dass ich nicht enthusiastisch in Ihre Lobeshymnen einstimmen kann."

Das Corona-Paket falle zu klein aus und die Gegenfinanzierung der Schulden zu schwach. Bisher absehbar sei als neue europäische Einnahme nur die Abgabe auf Plastikabfälle, die nur drei Milliarden Euro pro Jahr bringen werde.

Damit würde die Rückzahlung der Schulden 130 Jahre dauern. Die Abgeordneten forderten einen klaren Zeitplan zur Einführung weiterer neuer Finanzquellen. Im Gespräch sind eine Digitalsteuer, eine Ausweitung des Emissionshandels und Klimazölle auf Importwaren, die im Ausland nicht umweltfreundlich produziert wurden. (dpa/lh/thp)

EU-Staaten einigen sich auf historisches Corona-Paket

Mehr als vier Tage stritten die 27 EU-Staaten ums Geld. Mehrfach stand der Brüsseler Sondergipfel vor dem Scheitern. Jetzt ist doch noch der Kompromiss gelungen: Beim EU-Sondergipfel haben sich die Länder nun auf ein historisches Corona-Finanzpaket geeinigt.
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