Die Finanzmarktkrise 2008 hat mehrere EU-Staaten schwer getroffen. Jetzt geht erneut die Angst vor einer Krise um - wegen der neuen Regierung in Italien. Dabei stehen die ehemaligen Krisenländer eigentlich wieder gut da. Oder?
Seit in Italien eine europakritische Regierung das Ruder übernommen hat, geht an den Finanzmärkten wieder die Angst um. Das schwache Wirtschaftswachstum und die hohe Staatsverschuldung nähren die Sorge vor einem neuen Krisenfall.
Dabei glaubte Europa eigentlich, dass es die schwersten Folgen der Finanzkrise 2008 überstanden hat.
Ein Blick auf die bisherigen Krisenländer der EU
Griechenland: Mühsamer Weg Richtung Wachstum
In Griechenland hat die Schuldenkrise besondere Ausmasse angenommen. Das Land stand kurz vor der Staatspleite - EU-Kommission, Europäische Zentralbank und Internationaler Währungsfonds (IWF) mussten der Regierung mit drei Rettungspaketen helfen, Zahlungsverpflichtungen zu erfüllen.
Im Gegenzug verlangten sie harte Sanierungsprogramme: gekürzte Staatsausgaben, eine Rentenreform, eine Modernisierung der Wirtschaft. Viele Griechen litten unter den Folgen, die Arbeitslosenquote stieg 2013 auf fast 28 Prozent.
Inzwischen seien die Nachrichten "vergleichsweise positiv", sagt Jürgen Matthes, Experte für internationale Wirtschaftsordnung und Konjunktur am Institut der deutschen Wirtschaft Köln, im Gespräch mit unserer Redaktion. In diesem Jahr könnte die Wirtschaft um knapp zwei Prozent wachsen, die Arbeitslosenquote liegt bei rund 20 Prozent.
Anfangs habe die Regierung unter Alexis Tsipras Reformen verschleppt oder verzögert, so Matthes. "Inzwischen ist die Liste der Reformen, die durchs Parlament gebracht wurden, sehr lang. Wie sie umgesetzt werden, ist noch sehr schwer einzuschätzen."
Damit ist das Land noch nicht aus der Krise. Die Gesamtverschuldung erreicht mit fast 180 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) weiter einen Spitzenwert. "Die Modernisierung von Staat und Wirtschaft und die Effizienzgewinne, die man sich im Norden Europas erhofft, treten nicht ein", glaubt Roland Czada, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Osnabrück, gegenüber unserer Redaktion: Der Staat habe nicht die Kraft, tiefgreifende Reformen durchzusetzen.
Irland: Exportstarker Sonderfall
Mitte der 90er Jahre hatten üppige Wachstumsraten Irland den Spitznamen "keltischer Tiger" eingebracht. Ab 2007 aber traf die Finanzkrise das Land schwer: Die Immobilienblase platzte – was für die lax regulierten Banken und viele Privathaushalte schwerwiegende Folgen hatte. 2010 musste auch Irland Hilfskredite in Anspruch nehmen.
Inzwischen ist das Wachstum zurück. Die konservative Regierung hat den Bewohnern eine strenge Sparpolitik zugemutet. 2014 wuchs das BIP wieder um fünf Prozent. Irland gilt als Sonderfall: Die international vernetzte Wirtschaft exportierte auch in den Krisenjahren kräftig – ganz im Gegensatz zu Griechenland.
"Irland hat eine gut funktionierende Marktwirtschaft und musste ,nur' das Finanzsystem aufräumen", sagt Ökonom Matthes. Das habe das kleine Land aber vor grosse Herausforderungen gestellt. "Die Bankenrettungspakete liessen die Staatsschuld enorm in die Höhe schnellen."
Spanien: Schneller Aufschwung, aber hohe Arbeitslosigkeit
2012 nahm die konservative spanische Regierung von Mariano Rajoy einen Kredit in Höhe von rund 41 Milliarden Euro in Anspruch, um seine Banken zu stützen. 2013 erreichte die Arbeitslosenquote mit rund 26 Prozent fast griechische Dimensionen.
Rajoy hat das Land dann schnell aus der Krise geführt. Ende 2013 begann die Wirtschaft wieder zu wachsen. Die Arbeitslosenquote ist mit rund 16 Prozent noch immer hoch – das war sie allerdings auch schon vor der Krise.
Wie die anderen Schuldenländer setzte Spanien auf eine angebotsorientierte Wirtschaftspolitik: Durch Deregulierung der Wirtschaft und eine Flexibilisierung des Arbeitsmarkts zum Beispiel versucht der Staat dabei die Bedingungen für Unternehmen zu verbessern - in der Erwartung, dass so Wachstum entsteht.
Der frischgebackene Ministerpräsident Pedro Sánchez von den Sozialisten will nun einen Teil der Kürzungen zurücknehmen und die Nachfrage auf Seiten der Bürger stärken. Ähnlich wie Portugal.
Portugal: Musterschüler im Südwesten
2011 mussten EU und IWF Portugal vor der Pleite bewahren – mit Finanzhilfen in Höhe von 78 Milliarden Euro. Drei Jahre später konnte das Land den Rettungsschirm wieder verlassen. 2017 war das Staatsdefizit so niedrig wie seit 40 Jahren nicht mehr, die Wirtschaft wuchs um 2,7 Prozent.
"Portugal ist eigentlich das beste Beispiel für ein Krisenland, das unter dem Euro-Rettungsschirm ein recht umfassendes Reformprogramm umgesetzt hat und so wirtschaftlich wieder auf die Beine gekommen ist", sagt Jürgen Matthes. "Anders als in Griechenland hat die damalige konservative Regierung den Reformkurs unterstützt. Auf diese Weise hat sie mit dazu beigetragen, dass neues Vertrauen entsteht und Firmen und Verbraucher wieder investieren und konsumieren."
Seit 2015 ist der Sozialist Antonio Costa an der Macht. Er hat den Mindestlohn angehoben und Sozialkürzungen zurückgenommen: um die Nachfrage zu steigern und der Bevölkerung das Gefühl zu geben, das auch sie vom Aufschwung profitiert.
Grosse Erfolge, aber viele Unwägbarkeiten
"Insgesamt sind die Erfolge in den Schuldenländern grösser als wir zwischenzeitig gedacht haben", sagt Jürgen Matthes. Ein Problem blieben aber die hohen Staatsschulden – vor allem in Griechenland, Portugal und eben auch in Italien.
Politikwissenschaftler Roland Czada weist auch auf die politischen Folgen hin: Wenn Menschen nach Krisen keine deutliche Verbesserung ihrer Lebenslage verspüren, kann sich das in Wahlerfolgen von populistischen Parteien niederschlagen.
In Spanien, Portugal und Irland spielen systemkritische Parteien keine grosse Rolle. In Italien dagegen haben sie gerade die Regierung übernommen. Und Experten sind sich einig, dass die italienische Wirtschaft bisher am wenigsten reformiert wurde.
"Wenn die ökonomische Krise auch eine politische Krise wird und das Parteiensystem durcheinanderwirbelt, ist sie nicht mehr so einfach zu lösen", so Czada.
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