China hält Hunderttausende von Mitgliedern der Minderheit der Uiguren in Lagern gefangen. Die "China Cables" geben Auskunft darüber, mit welchen Methoden die chinesische Führung vermeintliche Regimegegner unterdrückt und sie einer massenhaften Gehirnwäsche unterzieht. Was ist wirklich neu an den Vorwürfen gegen China? Und wie kann der Westen reagieren? Wir haben mit der China-Expertin Sabrina Habich-Sobiegalla gesprochen.
Dass China Minderheiten unterdrückt und dass vor allem die Uiguren im Nordwesten des Landes unter Verfolgung zu leiden haben, ist seit vielen Jahren bekannt. Ebenso die Tatsache, dass viele Uiguren in Lagern festgehalten werden. Waren Sie überrascht von den Enthüllungen der sogenannten "China Cables"?
Prof. Dr. Sabrina Habich-Sobiegalla: Nein, ich habe mich gar nicht gewundert, als ich das gelesen habe. Dass die Minderheit der Uiguren in China unterdrückt wird, dass es Lager gibt – das alles ist nicht neu, darüber gibt es schon seit Langem Berichte. Neu, überraschend und bemerkenswert ist für mich aber, dass es offensichtlich Menschen in der Führungsspitze der KPCH – der kommunistischen Partei Chinas - gibt, die sich mit diesem Unterdrückungskurs nicht identifizieren können und die deshalb Dokumente nach draussen geschmuggelt haben.
Wer könnte der Informant gewesen sein?
Dass die Daten direkt aus dem Politbüro mit seinen nur 25 Mitgliedern kommen, halte ich für unwahrscheinlich. Ich vermute, dass die Informationen aus dem Zentralkomitee der Partei stammen, das 370 Mitglieder hat.
Was ist sonst noch überraschend an den "China Cables"?
Dass Staatschef
Wenn Bundeskanzlerin
Ja, und was mich deshalb seit der Veröffentlichung der "China Cables" am stärksten verwundert, ist die Tatsache, dass es am Wochenende keine Stellungnahme einer europäischen Regierung zu den Veröffentlichungen gab. Wenn man diese Dokumente liest, diese Sprache, diese Indoktrination, die Behandlung der Uiguren – das können die westlichen Staaten nur schwer auf sich beruhen lassen!
Wie sollte die Bundesregierung nach den Enthüllungen China gegenüber auftreten?
Ich denke, dass es nicht sinnvoll wäre, mit einer Reaktion so lange zu warten, bis Merkel und Xi Jinping sich wieder persönlich treffen. Die westlichen Regierungen wollen positive Beiträge zur Entwicklung der Menschenrechte leisten – es wäre sinnvoll, ihrer Haltung an dieser Stelle Nachdruck zu verleihen.
Ist diese Erwartung nicht naiv? Der Jemen-Konflikt beispielsweise liegt uns geografisch viel näher – trotzdem haben es weder die Bundesregierung noch die EU geschafft, nachdrücklich zu reagieren. Nicht einmal die Waffenlieferungen sind zur Gänze gestoppt.
Da gebe ich Ihnen durchaus Recht, man darf sich natürlich von europäischen Reaktionen nicht unbedingt grosse Erfolge versprechen. Aber man sollte doch wenigstens verbal reagieren und aussprechen, dass dem Westen Menschenrechtsverletzungen nicht gleichgültig sind. Im Augenblick erlebt die deutsche Bevölkerung, dass die Bundesregierung in vielen Bereichen protestiert und agiert, dass sie aber in anderen Bereichen auch sehr still ist, nämlich wenn eigene wirtschaftliche Interessen betroffen sind.
Was könnte ein gemeinsamer Appell der EU-Regierungen an China bewirken?
Eine Wirkung hätte so etwas natürlich nur, wenn es mit konkreten Sanktionen verbunden wäre. Ein gemeinsames Vorgehen der westlichen Nationen mit Wirtschaftssanktionen würde China beeindrucken, die Regierung würde Instabilität befürchten. Die Bundesregierung sollte jetzt zumindest mit deutlichen Worten reagieren – ein gemeinsames Handeln ist eher unwahrscheinlich.
Welche Handlungsmöglichkeiten gäbe es?
Ich denke, dass wirtschaftliche Sanktionen wie das Einfrieren von Konten der politischen Führungsspitze Chinas eine Möglichkeit wären. Man könnte die Auslandsaktivitäten Chinas einschränken. Und man müsste natürlich darauf achten, dass Repressalien nicht aufs eigene Land zurückschlagen.
So könnte man möglicherweise ein vorsichtigeres Vorgehen Chinas erzwingen, wenn es um die Rechte der Uiguren geht. Aber es ist natürlich sehr schwierig abzuschätzen, wie China reagieren würde und ob eine derartige Konfrontation nicht das Gegenteil bewirken würde.
Lassen sich möglicherweise auch im politischen Dialog Wege finden, Einfluss auf China zu nehmen?
Es gibt durchaus Plattformen, wo über solche Themen gesprochen werden könnte. Zum Beispiel den deutsch-chinesischen Rechtsstaatsdialog, durchgeführt von der DGWZ, der Deutschen Gesellschaft für wirtschaftlichen Zusammenarbeit. In diesem Gremium gibt es einen regelmässigen Austausch über rechtsstaatliche Entwicklungen. Es wäre jetzt wohl an der Zeit zu hinterfragen, ob so etwas sinnvoll ist. Vielleicht würden Gespräche über den Umgang mit religiösen Minderheiten helfen.
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.