Die neue EU-Kommission kann mit ihrer Arbeit beginnen. Leicht dürfte der Job für Ursula von der Leyens umstrittenes Team nicht werden: Vielerorts warten Konflikte.

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Das Europaparlament hat das neue Team um Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ins Amt gewählt. Die Abgeordneten bestätigten die 26 Kommissarinnen und Kommissare am Mittwoch in Strassburg. Die nächste EU-Kommission kann damit wie geplant zum 1. Dezember ihre Arbeit aufnehmen.

Für die künftige EU-Politik war dieser Schritt entscheidend: Als einzige Institution der Europäischen Union kann die Kommission Gesetze für die Staatengemeinschaft vorschlagen. Ausserdem überwacht sie die Einhaltung des EU-Rechts.

Das Europäische Parlament votierte mit 370 von 688 abgegebenen Stimmen in Strassburg für das Team, das neben der Deutschen aus zehn Frauen und 16 Männern besteht. 282 Abgeordnete stimmten dagegen, 36 enthielten sich.

Von der Leyens Team bekam in Strassburg Unterstützung aus ihrer Fraktion, der Europäischen Volkspartei (EVP) um CDU und CSU, und von grossen Teilen der Sozialdemokraten und Liberalen. Auch einige Grüne und Rechtsaussen-Politiker aus der Fraktion der italienischen Regierungschefin Giorgia Meloni hatten angekündigt, der neuen Kommission ihre Stimme zu geben.

Von der Leyen macht Autokrise zur Chefsache

Von der Leyen versprach den Abgeordneten in Strassburg, die neue Kommission werde "mit allen demokratischen, pro-europäischen Kräften" des Parlaments zusammenarbeiten. In ihrer zweiten Amtszeit wolle sie die europäische Wirtschaft ankurbeln und mehr Geld für Verteidigung aufbringen.

War bei von der Leyens erstem Amtsantritt 2019 die Klimakrise vorrangiges Thema, rücken nun andere Probleme in den Fokus. Als eine ihrer Prioritäten für die nächsten fünf Jahre nannte von der Leyen den Kampf um das Überleben der Autoindustrie in Europa. Dazu soll es zunächst unter ihrer Leitung einen strategischen Dialog geben. "Die europäische Automobilindustrie ist ein Stolz Europas. Millionen von Arbeitsplätzen hängen von ihr ab." Gemeinsam müsse man sicherstellen, dass die Zukunft des Autos weiterhin in Europa gestaltet werde.

Dies dürfte besonders relevant sein für den schwelenden Handelskonflikt mit China, den der neue Handelskommissar Maros Sefcovic lösen muss: Die EU wirft Peking Wettbewerbsverzerrung durch Subventionen vor und beschloss im vergangenen Monat Extrazölle auf chinesische E-Autos. China prüft derzeit Gegenmassnahmen, von denen auch deutsche Autobauer betroffen sein könnten. Ein weiteres Riesenthema könnten neue US-Zölle werden, die der designierte Präsident Donald Trump einführen will.

Zudem kündigte von der Leyen eine Strategie für mehr Wettbewerbsfähigkeit an. "Ein Start-up aus Kalifornien kann expandieren und in den gesamten Vereinigten Staaten Kapital aufnehmen. Aber ein Start-up in Europa muss mit 27 verschiedenen nationalen Hürden umgehen", kritisierte von der Leyen. Es müsse einfacher gemacht werden, in Europa zu wachsen. Dazu sollen auch weitere Initiativen für niedrigere Energiepreise dienen.

Von der Leyens Stellvertreter Stéphane Séjourné aus Frankreich und Teresa Ribera aus Spanien sollen darüber hinaus ein Gesetzespaket ausarbeiten, um die Industrie in Europa klimafreundlicher zu machen.

Erstmals gibt es einen EU-Kommissar für Verteidigung

Ein Zeichen für ihre veränderten Schwerpunkte setzte von der Leyen bereits vor der Abstimmung - und zwar mit der Schaffung des neuen Postens des Verteidigungskommissars. Litauens Ex-Ministerpräsident Andrius Kubilius soll künftig dafür sorgen, dass Europa militärisch unabhängiger wird und leichter in europäische Rüstungsprojekte investiert werden kann.

Von der Leyen warb angesichts des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine um höhere Verteidigungsausgaben der EU-Staaten. "Russland gibt bis zu neun Prozent seines Bruttoinlandsprodukts für die Verteidigung aus. Europa gibt im Durchschnitt 1,9 Prozent aus. Da stimmt etwas nicht in dieser Gleichung", sagte die CDU-Politikerin. Dass die Unterstützung der kriegsgebeutelten Ukraine nicht nachlässt, liegt nun auch in den Händen von Kaja Kallas. Die Estin wird neue Chefdiplomatin der Europäischen Union.

Fraktionen stehen nicht geschlossen hinter der Kommission

Nach einem wochenlangen Streit um die Besetzung der Kommissionsposten stehen die Fraktionen allerdings nicht geschlossen hinter der Kommission. Von der Leyen hatte ihr Wunschteam im September vorgestellt und dafür viel Kritik geerntet.

Für besonderes Aufsehen sorgte die Nominierung des Italieners Raffaele Fitto, der künftig unter anderem für Reformen und den Fördertopf für regionale Entwicklung zuständig sein soll. Zwar gilt der Rechtspolitiker vielen in Brüssel als politisch gemässigt und proeuropäisch. Die Sozialdemokraten im Parlament wehrten sich aber heftig dagegen, dass ein rechter Politiker aus der Regierung von Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni eine herausgehobene Position wie die des Vizepräsidenten bekommt.

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Im Gegenzug blockierte die EVP, dem auch CDU und CSU angehören, zunächst die Berufung der Sozialistin Teresa Ribera als Kommissarin für Wettbewerbspolitik und grünen Wandel. Konservative und rechte Abgeordnete werfen der bisherigen spanischen Umweltministerin Versagen bei den schweren Überschwemmungen in der Region Valencia vor.

Umstritten war auch der Ungar Olivér Várhelyi, der wegen seiner Loyalität gegenüber dem autoritär regierenden ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán in der Kritik stand. Letztlich einigten sich die grossen Fraktionen im Parlament nach langen Verhandlungen jedoch, sodass Fitto, Ribera und Várhelyi nun ihr Amt antreten können.

Extreme Rechte votierte gegen die neue EU-Kommission

Politiker der extremen Rechten votierten gegen die Kommission von Ursula von der Leyen. Die deutsche AfD-Abgeordnete und parlamentarische Geschäftsführerin der ESN-Fraktion, Christine Anderson, etwa beschimpfte das Team ohne Angabe konkreter Gründe als "reinste Trümmertruppe".

FPÖ-Politiker Harald Vilimsky warf ihr - ebenfalls ohne konkrete Belege - vor, für Massenmigration, Freiheitsentzug, Kriegstreiberei und Deindustrialisierung zu stehen. Zudem kritisierte er die Grösse der Kommission als aufgeblasen. "Sie hätten Geld sparen können, Sie hätten deregulieren können, Sie hätten Ihre Kommissare mit irgendwelchen Orchideenreferaten hier weglassen können und dieses Geld für europäische Bürger verwenden können", sagte er in Richtung von Ursula von der Leyen. (AFP/dpa/bearbeitet von ank)

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