Teheran hat Staatstrauer für den am Sonntag bei einem Hubschrauberabsturz gestorbenen Präsidenten verhängt. Ebrahim Raisis Gegner betrauern seinen Tod aus einem anderen Grund: "Er hat es ihm ermöglicht, sich der Rechenschaft für seine vielen Verbrechen zu entziehen", sagt Hadi Ghaemi, der Leiter des New Yorker Zentrums für Menschenrechte im Iran. So wie ihn bedrückt viele Oppositionelle im Exil, dass Raisis Opfer nun keine Gerechtigkeit erfahren werden.

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"Er hätte wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt und in einem fairen Prozess für die zahllosen Gräueltaten, die er in vier Jahrzehnten begangen hat, zur Rechenschaft gezogen werden müssen", erklärt Mahmood-Amiry Moghaddam, Direktor der in Norwegen ansässigen Gruppe Iran Human Rights, gegenüber der Nachrichtenagentur AFP. "Ebrahim Raisi war ein Symbol für die Straffreiheit von Kriminellen und den Mangel an Rechenschaftspflicht innerhalb des Systems der Islamischen Republik."

Raisi war nach der islamischen Revolution 1979 schnell aufgestiegen. Für die Exil-Opposition ist sein Name unauslöschlich mit Massenhinrichtungen von Marxisten und anderen Linken 1988 verbunden, als Raisi stellvertretender Staatsanwalt des Revolutionsgerichts in Teheran war.

Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International beschuldigen Raisi, damals einem vierköpfigen "Todeskomitee" angehört zu haben, das die Exekutionen genehmigte. Er stritt eine persönliche Beteiligung ab, lobte aber die Hinrichtungen. Im September 2020 forderten sieben UN-Sonderberichterstatter die iranische Regierung auf, die Verantwortlichen für die Tötungen zur Rechenschaft zu ziehen, da es sich um Verbrechen gegen die Menschlichkeit handeln könnte.

Von 1989 bis 1994 war Raisi Generalstaatsanwalt in Teheran, ab 2004 ein Jahrzehnt Vize-Justizchef, auch während der Niederschlagung der Massenproteste 2009. Zehn Jahre später wurde er zum Chef der Justiz ernannt, 2021 zum Präsidenten. 2022 ging seine Regierung mit aller Härte gegen die von Frauen angeführten Proteste vor, bei denen nach Angaben von Menschenrechtsgruppen Hunderte zu Tode kamen.

Mit der "gewaltsamen Unterdrückung" von Protesten und der Diskriminierung von Frauen habe Raisis Regierung Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen, stellte eine unabhängige UN-Untersuchungsmission dieses Jahr fest.

"Raisi war eine Stütze eines Systems, das Menschen einsperrt, foltert und tötet, weil sie es wagen, die staatliche Politik zu kritisieren", urteilt Ghaemi.

Shadi Sadr verurteilt deshalb die Beileidsbekundungen einiger westlicher Politiker, unter ihnen EU-Ratspräsident Charles Michel. "Solche Reaktionen werden von den zahllosen Opfern von Menschenrechtsverletzungen als Verrat empfunden und vertiefen die Enttäuschung der iranischen Bevölkerung über die internationale Gemeinschaft", sagt die Mitbegründerin der Gruppe Gerechtigkeit für den Iran, die sich für die Ahndung von Menschenrechtsverbrechen einsetzt.

"Mitgefühl für ihn ist eine Beleidigung für seine Opfer und die iranische Nation, die nur bedauert, dass er nicht lange genug gelebt hat, um den Sturz der Islamischen Republik zu erleben und für seine Verbrechen vor Gericht gestellt zu werden", sagt Reza Pahlavi, der Sohn des 1979 gestürzten Schahs und einer der führenden Oppositionellen im Ausland.

Der New Yorker Menschenrechtsaktivist Ghaemi befürchtet, dass die iranische Führung den Schock durch Raisis plötzlichen Tod für noch mehr Repression missbrauchen könnte. "Die internationale Gemeinschaft darf jetzt nicht zulassen, dass die Islamische Republik diesen Zeitpunkt ausnutzt, um das iranische Volk weiter zu unterdrücken", fordert er.  © AFP

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