Das im Westen umstrittene "Zweite Gipfeltreffen des ökonomischen und humanitären Russland-Afrika-Forums für Frieden, Sicherheit und Entwicklung", kurz Russland-Afrika-Gipfel, im russischen Sankt Petersburg hatte eine volle Agenda. Abgesehen von symbolischen Gesten und lockeren Zusammenarbeitsbekundungen ist nicht viel herausgekommen.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von David Bieber sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfliessen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Womöglich sind viele afrikanische Staaten verunsichert ob des Putschversuches der Wagner-Gruppe in Russland oder über das kürzlich von Russland aufgekündigte Getreideabkommen mit der Ukraine. Wovon massiv die Versorgungssicherheit in Afrika bedroht ist.

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Vielen ist frisch in Erinnerung, wie Putin im Juni Kiew genau dann beschiessen liess, als drei afrikanische Präsidenten und Vertreter weiterer afrikanischer Regierungen angereist waren, um zwischen der Ukraine und Russland zu vermitteln. Von diesbezüglichen Irritationen auf Seiten der Afrikaner zu sprechen, würde die Verärgerung der Afrikaner verharmlosen.

1.000 Offizielle erschienen im parallel stattfindenden Forum

Dennoch schickten viele Staaten ranghohe, zwar nicht die höchsten, Vertreter zum zweiten Gipfeltreffen zwischen Russland um Afrika nach 2019. Dafür kamen aber etwa 1.000 Offizielle zu dem parallel stattfindenden Forum.

In zahlreichen Arbeitsgruppen wurde dort nicht nur zu sicherheits- und energiepolitischen Fragen, sondern "intensiv zu Hochtechnologien, geologischen Erkundungen, Nuklearenergie, chemischen Industrie, Bergbau, Gesundheit, Verkehrswesen, Landwirtschaft sowie zu Bildung" gearbeitet, vernahm man aus St. Petersburg.

Auch soll es um den "Aufbau einer eigenen Produktion auf dem afrikanischen Kontinent" gegangen sein, als russische Bankenchefs sowie Vertreter russischer Lebensmittel- und Agrarkonzerne mit den Delegationen aus Afrika in Putins Geburtsstadt diskutierten.

Wladimir Putin will vertiefende Zusammenarbeit mit Afrika

Russlands Präsident Putin will eine intensive Zusammenarbeit mit den Staaten Afrikas. Das hat er jüngst vor dem zweiten russischen Afrika-Gipfel verkündet.

Aber was hat der Gipfel konkret gebracht – insbesondere für die Länder Afrikas?

Es ging nach Russlands einseitiger Aufkündigung des Getreideabkommens mit der Ukraine vor allem um Afrikas Lebensmittelsouveränität. Russlands Präsident Putin hat auf dem Gipfeltreffen dezidiert versprochen, sechs afrikanischen Staaten bis zu 50.000 Tonnen Getreide kostenfrei zu liefern. Als Kompensation quasi für fehlende Lieferungen aus der Ukraine seit dem ausgelaufenen Getreideabkommen.

In den kommenden Monaten werden Burkina Faso, Simbabwe, Mali, Somalia, die Zentralafrikanische Republik und Eritrea von den Lieferungen im Umfang von 25.000 bis 50.000 Tonnen Getreide profitieren.

Das sind fast alles Länder, die offen mit Russland politisch, wirtschaftlich oder militärisch kooperieren oder in den bereits Russland oder die Söldnertruppe Wagner aktiv ist. Ägyptens Präsident Al-Sisi etwa drängte auf die Wiederaufnahme des Getreideabkommens.

"Aus Sicht der afrikanischen Länder ist es wichtig, dass das Getreideabkommen verlängert wird, damit der internationale Getreidehandel stabil bleibt und es zu keinen Preissprüngen kommt wie im vergangenen Jahr", sagt der Generalsekretär der Welthungerhilfe, Mathias Mogge. Bereits jetzt sind seit dem Ende des Abkommens die Getreidepreise weltweit um neun Prozent gestiegen, schreibt die "taz".

Der Dialog mit dem russischen Präsidenten könnte Mogge zufolge, für die Teilnehmer eine Möglichkeit sein, dieses Interesse noch einmal deutlich zu machen. Viele Länder seien zudem hoch verschuldet und dies mache sie empfänglich für Angebote auch von Russland, erklärt Mogge, dessen Organisation in Bonn sitzt.

Die zugesagten Mengen von bis zu 50.000 Tonnen sind "eine symbolische Geste"

Auf die Frage, was der Gipfel noch konkret eingebracht habe für Afrika, sagt Mogge, dass die afrikanischen Länder sehr genau beobachteten, ob das Versprechen von kostenlosen Getreidelieferungen an die sechs Länder in Afrika wirklich umgesetzt werde. "Dies gilt sicherlich auch für die Staats- und Regierungschefs, die der Einladung nach Sankt Petersburg nicht gefolgt sind."

Für Mogge sind die zugesagten Mengen von bis zu 50.000 Tonnen "je nach Bedarf in den Ländern vor allem eine symbolische Geste". Allein im ersten Jahr des Getreideabkommens, führt Mogge weiter an, sei mehr als zwölfmal so viel, also rund 625.000 Tonnen, aus der Ukraine an besonders arme Länder wie Somalia oder den Sudan gegangen.

Was sind da bis zu 50.000 Tonnen könnte man also meinen. Zumal im Westen des afrikanischen Kontinents laut Mogge die Bedeutung von Getreide für die tägliche Ernährung der Menschen nicht so hoch sei wie etwa im Osten.

2024 erwartet Russland ein Exportpotenzial von bis zu 55 Millionen Tonnen Getreide

In anderen Medienberichten ist zu lesen, Russland habe ganz bewusst kurz vor dem Gipfel das Getreideabkommen aufgekündigt, um Afrika von russischem Getreide abhängig(er) zu machen. Während die Getreideexporte der Ukraine 2022 einbrachen, steigerte Russland seine weltweiten Getreideexporte im vergangenen Jahr. Wie die Nachrichtenagentur dpa berichtet, hat Putin selbst gesagt, 2022 habe Russland 11,5 Millionen Tonnen Getreide nach Afrika exportiert, in den ersten sechs Monaten dieses Jahres fast zehn Millionen Tonnen.

2024 erwartet Russland ein Exportpotenzial von bis zu 55 Millionen Tonnen Getreide, vor allem Weizen. Eine Kompensation nach dem Wegfall von Einnahmen aus der Gaslieferungen nach Europa.

Angesichts der westlichen Wirtschaftssanktionen gerät Russland also weiter in Zugzwang und muss seine Verbündeten bei Laune halten. Oder besser: weiter neue Allianzen schmieden und dabei neue Absatzmärkte für seine Agrar- und Erdölprodukte oder sogar Nukleartechnologie für den möglichen Bau von Atomkraftwerken in Afrika erschliessen. Afrika ist da besonders interessant und attraktiv für Russland.

Hat es doch eine schnell wachsende Bevölkerung, massig Rohstoffe und enormes Potenzial. Ausserdem sind viele afrikanische Staaten mit Russland historisch durch die Zeit des Kalten Krieges und der Unterstützung der afrikanischen Unabhängigkeitsbewegungen verbunden. Und sind des Westens überdrüssig.

Svenja Schulze äusserte Kritik

Der Politikwissenschaftler und Sicherheitsexperte Nico Lange etwa sagte im Deutschlandfunk, dass Russlands anti-kolonialistische Rhetorik bei einigen afrikanischen Staaten immer noch verfange. Dabei verhalte sich der russische Präsident Putin selbst kolonialistisch und wie ein Krimineller, wenn er gestohlenes Getreide aus der Ukraine anbiete.

Kritik gab es auch von Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD). Sie bezeichnete den zweitägigen Russland-Afrika-Gipfel als "PR-Show Putins" und warnte die teilnehmenden Länder vor Russlands Absichten. Putins Russland habe "entwicklungspolitisch wenig zu bieten", sagte Schulze vor dem Gipfel der Funke Mediengruppe. Wer afrikanischen Ländern billigen russischen Weizen verspreche und zugleich ukrainische Getreidehäfen bombardiert, wolle nicht den Hunger bekämpfen, sondern nur neue Abhängigkeiten schaffen.

Sie forderte die afrikanischen Länder zugleich auf, während des Gipfels klar Stellung zum russischen Angriffskrieg in der Ukraine zu beziehen. Das geschah indes nicht wirklich.

Welthungerhilfe-Generalsekretär Mathias Mogge stellt infrage, ob hier "wirklich auf Augenhöhe verhandelt wurde" und ob Russland an einer "echten Partnerschaft" interessiert sei. "Genau dies aber werden die afrikanischen Länder brauchen, wenn sie die grundlegenden Probleme wie Hunger und Armut überwinden wollen."

Es ist ein Wettstreit um Afrika entbrannt

Die Frage ist auch, ob Afrika unbedingt Russland in Zukunft braucht, um wirtschaftlich zu wachsen und um mehr politisches Gewicht im internationalen Kontext zu erhalten. Die Afrikaner werden von diversen Akteuren umworben und teils hofiert – China an allererster Stelle, USA, die EU, Iran, Israel, Türkei und auch Indien.

Es ist ein regelrechter Wettstreit um Afrika entbrannt, scheint es. Um Investitionen, aber auch um geopolitische Machtkämpfe. "Afrika ist zu einer Arena für den Wettbewerb zwischen den Weltmächten geworden", sagt Jakkie Cilliers, politischer Analyst des Instituts für Sicherheitsstudien (ISS) in Südafrika gegenüber der dpa.

Ein weiterer zentraler Punkt des Gipfels bildete die bilaterale militärische Kooperation. So wurden laut Angaben des Kremlchefs mit insgesamt 40 afrikanischen Staaten Abkommen über eine militärtechnische Zusammenarbeit geschlossen, die Waffenlieferungen sowie die Teilnahme afrikanischer Vertreter an russischen militärtechnischen Foren und Manövern umfassen.

Zudem soll es am Rande des Gipfels zu einem Treffen zwischen einem hochrangigen Vertreter der Zentralafrikanischen Republik und Wagner-Chef Prigoschin gekommen sein, dessen Söldnertruppe dort über grossen Einfluss verfügt.

Wie das Magazin "Jeune Afrique" (Junges Afrika) am Freitagnachmittag berichtet, sollen die Präsidenten von Guinea-Bissau, Kongo, Senegal und den Komoren sowie der Kommissionspräsident der Afrikanischen Union das bei solchen internationalen Gipfeln traditionelle Familienfoto verweigert haben. Der Grund: Diese Herren wollten nicht neben den Führern der von der Afrikanischen Union sanktionierten Länder posieren. Eine rein symbolische Geste, versteht sich.

Zur Person:

Mathias Mogge ist Generalsekretär der Welthungerhilfe mit Sitz in Bonn.

Verwendete Quellen:

  • taz.de: Afrikas bedrohlicher Freund
  • taz.de: Wo endet Freundschaft?
  • jeuneafrique.com: Au sommet Russie-Afrique, Embaló, Sassou Nguesso, Macky Sall et Assoumani boycottent la photo de famille avec Poutine
  • deutschlandfunk.de: Putin verspricht mehreren afrikanischen Staaten Gratis-Getreidelieferungen
  • sueddeutsche.de: Schulze nennt Afrika-Gipfel in Russland "PR-Show Putins"
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