Die Forderung des französischen Präsidenten nach einer unabhängigeren Rolle Europas in der Taiwan-Frage sorgen hierzulande für scharfe Kritik. Nach seiner China-Reise hatte der Staatschef gefordert, Europa dürfe kein "Mitläufer" sein. Aussenpolitiker bezeichnen Macrons Aussagen als "unverantwortlich" und "grotesk". Ein Experte ordnet Macrons Aussagen ein und erklärt, worauf es nun ankommt.
Die Äusserungen des französischen Präsidenten Emmanuel Macron im Anschluss an seine dreitägige China-Reise sorgen in Europa zunehmend für Empörung. Macron hatte in zwei Interviews geforderte, Europa solle eine unabhängigere Rolle gegenüber den USA und China einnehmen und in der Taiwan-Frage kein "Mitläufer" sein.
Konkret sagte Macron in einem am 9. April veröffentlichten Interview mit der französischen Zeitung "Les Echos": "Das Schlimmste wäre es zu denken, dass wir Europäer Mitläufer seien und uns dem amerikanischen Rhythmus und einer chinesischen Überreaktion anpassen müssten." Europa müsse "aufwachen".
Auch in der US-Zeitschrift "Politico" forderte Macron ein eigenes europäisches Tempo. Europa dürfte sich nicht der Agenda von anderen in allen Weltregionen anpassen, sonst riskiere es, "zu Vasallen zu werden, während wir der dritte Pol sein können", sagte der Staatschef.
Scharfe Kritik aus Deutschland
Scharfe Kritik kam von CDU-Aussenpolitiker
Taiwan stehe für den globalen Machtanspruch Chinas. "Eine Weltordnung nach chinesischen Vorstellungen ist sicher nicht im Interesse Europas. Wie soll Europa mit solchen Vorstellungen jemals zu einer gemeinsamen Linie finden?", so Röttgen weiter.
Strack-Zimmermann: Macron hat "Europa massiv geschadet"
Erst kürzlich hatte China bei einem dreitägigen Militärmanöver offenbar die Abriegelung Taiwans geprobt. Im chinesischen Fernsehsender CCTV hiess es, mehrere Dutzend Militärflugzeuge seien vor Taiwan im Einsatz, um eine "Luftblockade" der Insel durchzusetzen.
Auch FDP-Politikerin
CDU-Politikerin
Als Hoffnungsträger enttäuscht
"Dabei geht es nicht darum, sich mit China anzulegen", betonte sie. China sei aber "nicht nur Partner, sondern auch Systemrivale". Macron habe sich unreflektiert und unkritisch verhalten. Güler schrieb weiter: "Die EU ist kein 'Mitläufer', wenn sie hier eine klare Position einnimmt." Wenn man sich neutral verhalte, würde man hingegen zum Mitläufer von China.
"China ist weder der Ort noch der Partner, um unsere Freundschaft und enge Verbundenheit mit den USA infrage zu stellen", betonte Güler. Historiker und SPD-Politiker Henning Kulbarsch zeigte sich ebenfalls enttäuscht: "Es gibt keinen anderen Politiker, von dem man als Proeuropäer derart enttäuscht sein muss wie von Macron", kritisierte er. Die Position zu China und Taiwan sei "geradezu grotesk" und die Ukraine-Unterstützung "mangelhaft".
Sei Macron 2017 noch als Hoffnungsträger angetreten, habe er spätestens seit seiner Wiederwahl 2022 das Gespür verloren. "Dass er etwa ausgerechnet jetzt, wo mit Biden der europafreundlichste Präsident seit Langem agiert, immer wieder antiamerikanische Sprüche bringt, ist völlig Panne", so Kulbarsch.
Tatsächlich sorgten Macrons Äusserungen auch in den USA für Aufsehen. US-Senator Marco Rubio sagte in einem Video auf Twitter: "Wenn Europa sich in der Taiwan-Frage nicht auf die Seite Chinas oder der USA stellt, dann sollten sich die USA im Ukraine-Konflikt vielleicht auch nicht auf eine Seite stellen.
Ein Sprecher der französischen Botschaft in Washington bezeichnete Macrons Äusserungen hingegen als überinterpretiert. "Die USA sind unsere Verbündeten, mit denen wir unsere Werte teilen", wird er zitiert.
Experte: "Macrons China-Reise ist für Europa geopolitisches Desaster"
China-Experte Roderick Kefferpütz sagt im Gespräch mit unserer Redaktion: "Macrons China-Reise ist für Europa in ein geopolitisches Desaster geendet." Macron suche Chinas Unterstützung, um Russland einzuhegen und den Krieg zu beenden, und distanziert sich dafür von den USA in der Taiwan-Frage.
"Er sieht nicht, dass vor der Kulisse eines geostrategischen Systemwettbewerbs China und Russland an einem Strang ziehen, und dadurch die Ukraine und Taiwan verbunden sind", analysiert Kefferpütz. Es handele sich hier um einen geopolitischen Gesamtschauplatz und nicht um zwei verschiedene.
Lesen Sie auch:
- "Good Cop, Bad Cop"?: Macron und von der Leyen in China
- Macron empfiehlt chinesischen Studierenden "kritische Geisteshaltung"
- Taiwan bekräftigt angesichts chinesischer Militärübung Zusammenarbeit mit den USA
Hoffnung und Verantwortung jetzt auf EU-Aussenbeauftragten Josep Borrell
"Seine Äusserungen zu Taiwan sind brandgefährlich und Wasser auf den Mühlen Pekings", sagt der Experte. Macron unterminiere damit Europas geopolitische Position weiter und reduziere das Abschreckungspotenzial in Sachen Taiwan. "Vor der Kulisse des geostrategischen Systemwettbewerbs sollte Europa nicht die Rolle eines allianzneutralen swing states einnehmen", warnt Kefferpütz.
Es liege jetzt an dem EU-Aussenbeauftragten Josep Borrell mit seiner anstehenden China-Reise, Peking aufzuzeigen, dass Macron nicht für Europa spreche und dass Europa sehr wohl rote Linien in Sachen Taiwan habe. Er müsse Peking auffordern, sich von Moskau zu distanzieren.
Verwendete Quellen:
- lesechos.fr: Emmanuel Macron: "L'autonomie stratégique doit être le combat de l'Europe"
- Politco: Europe must resist pressure to become ‘America’s followers,’ says Macron
- bild.de: Macrons gefährlicher Kniefall vor China
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.